Internationales Workcamp in der Gedenkstätte Sachsenhausen

Konzentriert beugt sich Bigot Lavra aus Frankreich über ein von ihr erstelltes Kunstprojekt. Es zeigt zwei Pappfiguren mit stark abgemagerter Figur. „Die Figuren sollen weibliche Gefangene darstellen, die im Konzentrationslager Sachsenhausen zur Prostitution gezwungen wurden“, sagt Bigot. „Für die Frauen und für die anderen Gefangenen gab es kein Entrinnen und keinen Ausweg aus dem KZ. Das möchte ich in meinem Projekt rüberbringen.“ Die 20-Jährige Studentin für Politikwissenschaften ist eine von sieben jungen Leuten, die beim internationalen Sommer-Workcamp in den Gedenkstätten Sachsenhausen mitmachen. Die Zahl der Teilnehmer ist dieses Jahr um die Hälfte wegen Corona geschrumpft. Dieses Jahr steht das Workcamp unter dem Motto: „Young Interventions“ (Junge Intervention), das in Kooperation mit der Vereinigung Junger Freiwilliger e.V. durchgeführt wird. Die Künstlerin Doreen Stenzel aus Potsdam begleitet die jungen Leute aus Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland, die sich für das Workcamp beworben hatten. „Ich bin beeindruckt, wie intensiv sich alle mit der Geschichte Deutschlands auseinander setzen wollen“, sagt die Künstlerin. Schade finde sie, dass die Ausstellung im Neuen Museum aufgrund von Corona derzeit geschlossen ist, weil sie ausführlich auch die DDR-Geschichte erzählt. „Am ersten Tag des Workcamps gab es erstmal eine Führung durch die Gedenkstätte“, sagt Projektleiter Claude Hoffert (35). Neben der Stadt Oranienburg konnten die jungen Leute auch Berlin besichtigen, darunter auch das Holocaust-Mahnmal, das den Opfern der ermordeten Juden gedenkt. „Thema war da bei den jungen Leuten auch, ob Selfies an so einem Denkmal angebracht sind“, sagt Projektleiterin Marlene Jatsch. „Am Ende haben sich die jungen Leute dagegen entschieden. Sie fanden, dass das Denkmal im Vordergrund des Besuches stehen soll und nicht sie selbst.“ Im Rahmen des Workcamps konnten die jungen Leute auch im Depot der Gedenkstätte seltene Sammelobjekte wie originale Häftlingssachen oder Häftlingsbestecke digital katalogisieren - Gebbrauchssachen von damals, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. „Bei der Führung durch die Gedenkstätte hat mich besonders der ,Turm A’ betroffen gemacht“, sagt Carlotta Ceraulo. Die 19-jährige Italienerin hat darum in ihrem Kunstprojekt den „Turm A“ aus Pappe und Papier nachgestaltet. „Dieser Turm ist für mich der Turm des Leides. Er ist die erste Station, wo die Gefangenen landeten. Dort wurden ihnen die Köpfe rasiert. Viele Leute wurden dort auch zu Tode gefoltert. Man kann sich dieses Leid kaum vorstellen“, sagt die junge Frau. Im Herzen ihres Kunstprojektes hat Carlotta auf schwarzem Grund das Wort „Leid“ in vielen Sprachen geschrieben. Die unzähligen Schriftzeichen rund um den Turm sollen die unzähligen Menschen symbolisieren, die durch das Nazi-Regime zu Tode kamen. Ein ungewöhnliches Kunstprojekt hat sich auch Keana Jolanda Kastner (18) aus Kiel ausgedacht. Mittelpunkt ist eine schwarze Kuppel, die mit gefesselten Händen verbunden ist. „Die Kuppel symbolisiert die Angst. Einmal in der Dunkelheit gefangen, gibt es keinen Ausweg mehr nach draußen in die Freiheit. Die Menschen sind gefesselt vor Angst“, sagt die junge Frau. Sie habe sich für das Projekt beworben, um noch tiefer in die deutsche Geschichte einzutauchen. Nach dem Workcamp will sie in dem Verein „Vereinigung Junger Freiwilliger“ mitarbeiten, der als freier Träger für internationale Jugendarbeit im In- und im Ausland agiert. Die Kunstprojekte werden gegen Ende des Workcamps am 30. August 2020 bei einer Präsentation in den Gedenkstätten vorgestellt. Diese startet am 28. August 2020. Insgesamt drei Wochen geht das Projekt. In der Internationalen Jugendbegegnungsstätte“Haus Szczypiorski“ sind die jungen Leute untergebracht, das an den polnischen Schriftsteller erinnert, der nach dem Warschauer Aufstand 1944 in das KZ-Sachsenhausen verschleppt wurde. Einst war das Haus die Dienstvilla des Inspekteurs der Konzentrationslager Theodor Eicke. Eine von Bigos Lavra mageren Papp-Figuren schaut den Betrachter an und soll Selbstbewusstsein trotz all der Ausweglosigkeit im Konzentrationslager symbolisieren. Ein Umstand, der junge Leute von heute vielleicht hoffen lässt, dass es vielleicht früher so war. Denn wer, wie die meisten von uns, keinen Krieg erlebt hat, kann sich nur schwer vorstellen, welches unermessliche Leid die Gefangenen einst erfahren mussten. Von Jeannette Hix