Oberhavels Bündnisgrüne im Landtag: „Wir würden nicht tauschen wollen“

„Plötzlich in der Regierungspartei zu sein, das ist schon eine ganz neue Erfahrung“, sagt Heiner Klemp. Seit einem Jahr sitzt der 57-Jährige für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag. In der zehnköpfigen Fraktion bearbeitet er die Themenbereiche Wirtschaft, Europa- und Kommunalpolitik. Dabei befindet sich der Oranienburger aus Oberhavel-Sicht in bester Gesellschaft. Denn mit dem Hohen Neuendorfer Thomas von Gizycki (Finanzen, Vorsitzender des Sonderausschusses zum Flughafen BER) und Clemens Rostock (Energie, Verkehr und Infrastruktur, Arbeit) aus Hennigsdorf gehören zwei weitere Abgeordnete zu der Fraktion, die seit der konstituierenden Sitzung des Landtags am 25. September 2019 bündnisgrüne Politik auf Landesebene machen. Als Teil der Kenia-Koalition Themen zu platzieren: Die Lernkurve in den vergangenen zwölf Monaten sei hoch gewesen, sagt Clemens Rostock am Montagnachmittag beim Pressegespräch im Wahlkreisbüro in der Sachsenhausener Straße 1, bei dem die drei Abgeordneten ihr erstes Jahr im Landesparlament Revue passieren ließen. Spannend, sehr spannend sei die Arbeit in der Regierungspartei, findet von Gizycki. Wenngleich dies für die gesamte Fraktion Neuland sei, denn zuvor saßen die Bündnisgrünen viele Jahre in der Opposition. Als frisch ins Parlament gewählter Abgeordneter wäre es möglicherweise einfacher gewesen, in der Opposition zu starten, meinte Clemens Rostock, doch „wir würden nicht tauschen wollen.“ Schließlich habe man als Teil der sogenannten Kenia-Koalition die Möglichkeit gehabt, die Themen, für die man sich einsetzt, in den Koalitionsvertrag zu verhandeln und deren Umsetzung nun auch voranzutreiben. Viel Geduld von Nöten – Landtagsarbeit erfordert Denken in anderen Zeiträumen: Alle drei Abgeordneten sammelten vor ihrem Sprung ins Landesparlament bereits viele Jahre Erfahrungen in der kommunalen Politik. Die Arbeit im Landtag sei dennoch eine völlig neue Erfahrung, bilanzieren sie nach ihrem ersten Jahr. Aus vielen Gründen. „Es gibt sehr formale Regeln, es geht viel formaler als in der Kommunalpolitik zu“, sagt von Gizycki. Ein zentraler Fakt zudem: „Man fängt an, in anderen Zeiträumen zu denken“, räumt Clemens Rostock ein. „So einiges konnten wir bereits anschieben, sind aber mit den Themen noch lange nicht zu Ende.“ Das Grundgefühl sei dennoch: „Es wird, wenn auch viele Dinge lange Zeit dauern.“ Daran gewöhne er sich, auch wenn oft viel Geduld nötig sei. Kita-Gesetz, Radwegenetz, Radschnellverbindungen und vieles mehr: In viele Themen haben sich die drei, unabhängig voneinander, inzwischen eingearbeitet. „Ich bin sehr froh, dass wir am Kita-Gesetz arbeiten“, so von Gizycki. Das solle auf ganz neue Beine gestellt werden. „Wir wollen da was besseres machen, das ganze Prozedere deutlich vereinfachen.“ Eltern sollen genau erkennen können, wie ihre Beiträge berechnet werden. Auch Kita-Träger sollen zukünftig nur noch einen Ansprechpartner haben. Das neue Gesetz solle die Arbeit auch für die Kommunen vereinfachen. „Insgesamt muss und soll das Ganze viel transparenter werden“, so von Gizycki. Alle drei wissen, dass bei diesem Thema noch ein dickes Brett zu bohren sei. Ohne Geduld gehe das nicht. „Ende der Legislaturperiode soll das neue Gesetz stehen“, lautet dabei von Gizyckis Prognose. Es ist nur eines von den großen Themen, deren Entwicklung Oberhavels Abgeordnete begleiten und auch prägen wollen. Es liegt in der Natur bündnisgrüner Politik, dass das Thema Radwege allen Dreien besonders am Herzen liegt. Mehr Geld für Radwege stehe inzwischen bereit. „Nun müssen die Planungen für neue Radwege hochgefahren werden“, sagt Klemp. Derzeit fehle es dafür schlichtweg an Personal. Auch beim Thema Radschnellverbindungen sei man inzwischen einen großen Schritt vorangekommen. „Dafür notwendige Änderungen im Straßengesetz wurden aufgenommen, die Regierung ist nun damit beauftragt, einen Entwurf der entsprechenden Radschnellverbindungen zu erstellen. Der liegt hoffentlich bis Ende des Jahres vor“, erklärt Clemens Rostock. Nach Aufnahme dieser Radverbindungswege ins Straßennetz würden diese wie Straßen behandelt werden müssen – nicht unwichtig, wenn es um Wartung und Pflege der Wege geht. Dass es mal eskaliert, ist offenbar etwas ganz Normales: Die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Die Lernkurve im politischen Tagesgeschäft steige nach wie vor für alle drei nahezu jeden Tag weiter an. „Das Ringen um Entscheidungen in der Koalition ist offenbar etwas ganz Normales. Auch, dass es dabei mal eskaliert“, bilanziert Heiner Klemp mit Blick auf die Arbeit innerhalb des Kenia-Bündnisses. Beim ersten Mal habe ihm das noch sehr zu schaffen gemacht, räumt er ein. Inzwischen gehöre auch dies zu seinem neuen Alltag. „Ein stückweit ist das offenbar normal. Es gehört eben zur Willensbildung.“ Wichtig sei, am Ende einen Konsens zu finden, „den man erhobenen Hauptes vertreten kann“. Von Nadine Bieneck