Winterbaden in Zehdenick: Nach dem Training ab in die kalten Fluten

Wenn seine Laufschuhe erzählen könnten. Rainer Tiegel mutete ihnen bislang eine Menge zu. Hunderte, Tausende, Zehntausende Kilometer schrubbte er in den vergangenen Jahrzehnten. Fast ausschließlich in und um Zehdenick herum. Regelmäßig auch zu Wettkämpfen außerhalb der Stadtgrenze. Ein längst liebgewonnenes Ritual beim Laufen: der Sprung ins Wasser. „Das hat sich so ergeben. Mindestens einmal in der Woche steige ich in einen Stich“, sagt der Zehdenicker und ergänzt: „Mein Vorteil ist, dass ich direkt am Prerauer Stich wohne. Vom Haus bis zum Stich sind es 50 Meter.“ Auch jetzt – mitten im Winter – ist ihm keine Temperatur zu niedrig. So lange das Wasser nicht gefroren ist, taucht er ein. Die Kombination Laufen/Baden beschert dem 60-Jährigen ein wohliges Gefühl. Für die Nach-dem-Lauf-Erfrischung im Prerauer Stich markierte er die Einstiegsstelle sogar mit einem Schild: „Winterbadestelle“ steht drauf. Laufen als Lebenselixier: Genaugenommen kommt Rainer Tiegel aus der Läufer-Ecke. Zwar hatte er sich als 16-Jähriger beim Boxen ausprobiert und dann an den Kraftsport gewagt, hängengeblieben ist er aber schließlich beim Laufen. Matthias Schulz hatte ihn auf diese Spur gebracht und ihm den Triathlon schmackhaft gemacht. Der Sport wurde zu seinem Lebenselixier. Fünfmal in der Woche zieht er die Laufschuhe an. „Aber der Winter ist die Zeit, in der sich der Körper ausruhen soll. Deshalb laufe ich jetzt nur dreimal in der Woche“, erklärt er sein aktuell reduziertes Pensum. Mindestens einmal davon geht er nach dem Lauf in den Stich. Eine Sucht erkennt Rainer Tiegel in seinem Laufverhalten nicht. „Schön ist es für mich, wenn ich beim Laufen den Tag Revue passieren lassen kann. Da kann ich abschalten.“ Aber er führt noch einen ganz anderen Aspekt ins Feld. „Ich möchte belastbar bleiben und alt werden. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Grippe gehabt zu haben“, sagt er. Das solle so bleiben. Trainingsgruppe mit vielen Gemeinsamkeiten: Wenn Rainer Tiegel sportlich unterwegs ist, dann ist das häufig in Gesellschaft. Mit seinen Kameraden vom Lupusteam Zehdenick nimmt er die Strecken rund um die Havelstadt in Angriff. Es ist „sein“ Team. Als Vereinsvorsitzender führt er es an; gemeinsam mit Maria Meier und Astrid Appelt bildet er den Vorstand des Vereins, der für Ausdauersport – vor allem im Laufen – steht. Die Mitglieder nehmen an Wettkämpfen teil. Sowohl Anfänger als auch geübte Marathonläufer sind gern gesehen. Freitags und sonntags gibt es einen regelmäßigen Treff. Die Freitags-Übungseinheit beginnt mit einem Treppentraining am Park. Danach wird Richtung Wasserturm zum Kuhlmeierstich gelaufen. Dort nehmen die Läufer ein Erfrischungsbad, laufen zurück und beenden die Freilufteinheit mit einem weiteren Treppentraining. Anschließend geht es in normalen Zeiten ins Fitnessstudio – das ist zur Zeit aber geschlossen. Sonntags wählen die Läufer gern die Route nach Mildenberg (Richtung Ziegeleipark). Geht nicht, gibt’s nicht! Rainer Tiegel läuft darüber hinaus oft und gern allein. „Wir haben richtige Laufstrecken in der Gegend. Aber ich kenne noch so viele andere Wege, die sich zum Laufen anbieten, sodass ich immer dort laufe, wo es mir gerade in den Sinn kommt“, sagt er. Seit 1998 führt er Buch über seine Streckenlängen. Demnach legte er in seinem ersten Jahr 2111,5 Kilometer zurück; inklusive Berlin-Marathon. Im vergangenen Jahr lautete seine Statistik: 1817,3 Kilometer. Hier fehlt ihm allerdings ein ganzer Monat, weil er zweimal mit Hexenschuss ausfiel. Pi mal Daumen legt Rainer Tiegel pro Lauf zehn Kilometer zurück. Er kann aber auch ganz anders. Duathlon- Weltmeisterschaft, New-York-Marathon, Berlin-Marathon, 240-km-Alpenlauf, Triathlon-Wettbewerbe – das sind Kanten, die eine ganz andere Hausnummer darstellen. Rainer Tiegel nimmt sie in Angriff. Geht nicht, gibt’s nicht! Seine ehemaligen Kollegen vom Deutschen Roten Kreuz schenkten ihm nicht umsonst mal ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kein Problem!“. Irgendwann – vermutlich im Ruhestand in ein paar Jahren – hat Rainer Tiegel noch ein großes Ziel. „Ich möchte gern den Pilgerweg entlang gehen.“ Damit seine Laufschuhe eine weitere Geschichte erzählen können. Von Stefan Blumberg