The Swingin' Hermlins spielten in der Temnitzkirche Netzeband ihren allabendlichen Livestream seit dem Lockdown

Was für ein furioses Finale! Zum definitiven Saisonabschluss des Theatersommers Netzeband konnten – kurzfristig und überraschend – The Swingin’ Hermlins gewonnen werden. Pianist und Bandleader Andrej Hermlin ist in Jazzkreisen alles andere als ein Unbekannter. Umso erfreulicher, dass er nun erstmals in Netzeband spielt. Einen großen Anteil daran hat die Coronakrise. Seit dem 15. März, dem Beginn des Lockdowns, spielen die Swingin’ Hermlins jeden Abend ab 19 Uhr für eine halbe Stunde Swing. Zuerst im eigenen Wohnzimmer – später, als es wieder möglich war – auch öffentlich. Jedes Mal wurde die Swing-Session auf Instagram und Facebook übertragen. Diesmal geht das Konzert aus Netzeband live um die Welt. Es ist das – Chapeau! – 197. Das heißt im Klartext: Kein Urlaub für die Bandmitglieder. Jeden Abend präsent sein. Und fröhlich – obwohl für freiberufliche Musiker die Zukunft wenig rosig scheint, sagt Andrej Hermlin und macht sich warm für die Übertragung. Netzeband hat Netzprobleme: Zuvor ist Zittern angesagt. Netzeband hat Netzprobleme. „Wir haben noch zehn Minuten bis zum Start, dann müssen wir auf Sendung“, sagt Hermlin. Fieberhaft wird am WLAN gefeilt – es klappt in letzter Minute. Die Show beginnt. Hermlin moderiert an: in Deutsch, in Englisch, aber auch mit „Dobri wetscher, Moskwa“. Wen wunderts’ – Hermlins Mutter ist Russin. „Ich spreche“, so sagt er launig, „seit Jahren mit ihr kein Wort mehr ... auf Deutsch.“ Die Vielsprachigkeit ist natürlich auch der weltweiten Übertragung geschuldet. „The Music goes round and around“ ist nicht von ungefähr das Motto der Konzertreihe. Rachel und David Hermlin am Mikro: Die acht Musiker legen los: Am Mikro wechseln sich Andrej Hermlins Kinder Rachel und David ab – die Stimmen sind so toll wie es die Musiker sind. Dazu plänkeln und witzeln alle fröhlich – eine Freude zuzuschauen und zuzuhören. „Unfassbar“, schwärmt Theatersommer-Gastgeber Frank Matthus. „Unfassbar, Rachel, dass du mit deinen 16 Jahren schon so singen kannst. Unfassbar, David, dass du so tanzen kannst, dass man Fred Astaire vergisst. Unfassbar, dass ihr hier seid. Und unfassbar, dass ihr euch seit März dieser allabendlichen Tortur unterzieht.“ Er spricht dem anwesenden Theatersommerensemble und einigen Netzebandern aus der Seele. Andrej Hermlin hat die Swingin’ Hermlins kurz nach dem Lockdown gegründet: Eine Tortur sei es keineswegs, erwidert Andrej Hermlin. Ganz im Gegenteil. „Ich weiß nicht, wie ich die Zeit ohne das überstanden hätte.“ Und weiter geht’s mit knackigen Grooves und schmelzendem Sound: Swing-Klassiker und jede Menge süffige Balladen. Längst ist die halbe Stunde vorbei – die Live-Übertragung im Kasten. Das Netzebander Netz hat störungsfrei mitgespielt. Was dann kommt, ist die Kür und dauert noch eine gute Weile an. David Hermlin bearbeitet, wenn er nicht singt, das Schlagzeug, spielt aber auch sehr ausdrucksvoll Nasenflöte. Es werden alle, aber auch alle Register gezogen. Dazu kommt – ein Fest fürs Auge – der authentische Look der 1930er Jahre. Saxofon, Trompete und Posaune brillieren in den Soli, der Kontrabassist schürft in der Tiefe und auch der Gitarrist und Andrej Hermlin am Flügel glänzen. 197 Abende mit Livestream – und die Band will weitermachen: Jeder Abend, so erfährt man, steht unter einer anderen Tageslosung: „Sunday Special“, „Samstags-Karaoke“, Montag ist „Tag der Solidarität“ und Freitag heißt es „Your Show“. Da dürfen die Zuhörer das Programm wählen: „Das müssen wir dann spielen“, grient Hermlin. Neulich habe Renate aus Burgwedel gewonnen. „War alles gut, bis auf ein Lied – da wussten wir nicht so recht.“ Die Band zückt Hawaii-Ketten und legt mit einem Latin los. Der Trompeter macht eine Clownerie daraus. Die Ausgelassenheit steigert sich mit dem Fortgang des Abends. Andrej Hermlin plaudert: Noch im Januar habe man im besten Haus am Platz in Wien im Frack gespielt. „Jetzt spielen wir auf dem Kollwitzplatz“, konstatiert er. Das sei nicht demütigend. Im Gegenteil – es sei eine Freude, überhaupt zu spielen. Am 10. März hatte das renommierte Swing Dance Orchestra sein letztes Konzert in der Berliner Philharmonie. „Die ist jetzt zu – immer noch“, so Hermlin. Fünf Tage später habe man die Swingin’ Hermlins gegründet – es war eine Idee von Hermlins Frau Joyce. „Wir haben den Zuhörern und uns selbst versprochen, so lange weiterzumachen, bis die Krise vorbei ist“, verspricht er den Zuhörern in der Temnitzkirche und den Streamern in der Welt. Es werde wohl also auch noch eine 500. und 1000. Show geben. „Wir hören nicht auf.“ Musik macht Hoffnung: Wie sollte er auch? Andrej Hermlin, der 1986 in Berlin die Swing Dance Band gründete, aus der 1995 das Swing Dance Orchestra entstand, liebt sein Genre: „Unsere Musik – der Swing – war die Musik der Großen Depression in den 1930er Jahren. Verzweifelte Menschen hörten sie, weil sie Hoffnung gab. Hoffnung! Und so haben wir im März 2020 beschlossen: Wir spielen weiter! Und zwar jeden Tag. In wechselnden kleinen Besetzungen, mit Freunden, mit Musikern, die Benny Goodman lieben, oder Basie, oder Miller oder Lunceford.“ Der „Tag der Solidarität“ sei mit Bedacht gewählt, sagt Andrej Hermlin. Freiberufliche Künstler, aber auch alle anderen aus der Veranstaltungsbranche, haben es derzeit mehr als schwer. „Etliche von uns werden früher oder später den Beruf wechseln müssen.“ Dann spielen sie das letzte Lied des Abends. Hut ab für die 197. Und Hut auf den Stuhl – für die wunderbaren Musiker. Hörprobe der Session No. 1: Lesen Sie auch: Was war, was kommt: Halbzeit beim Theatersommer Netzeband Theatersommer in Netzeband findet trotz Corona statt – Start ist am 1. August Von Regine Buddeke

The Swingin' Hermlins spielten in der Temnitzkirche Netzeband ihren allabendlichen Livestream seit dem Lockdown – den 197.