Corona-Lockerungen: Kitas rund um Neuruppin am Limit

Vier Stunden sind es. Nur vier Stunden in der Woche, in denen die Kinder nach dem Abflauen der Coronakrise in den Kitas nun wieder betreut werden sollen. Zumindest die Vorschulkinder. Am besten aber alle, die bisher nicht in der Notfallbetreuung waren. So will es die Brandenburger Bildungsministerin Britta Ernst mit ihrem „eingeschränkten Regelbetrieb“, der ab Ende Mai arbeitende Eltern entlasten und Kindern ihr gewohntes soziales Umfeld zurückgeben soll. Auch die Stadt Wittstock sieht den Bedarf. „Und zwar massiv“, stellt Stefanie Klahn klar. „Da hängen Schicksale dran.“ Und dennoch: Die Amtsleiterin für Bildung, Jugend und Soziales kann nicht einmal die Minimalforderung erfüllen. Sprich: alle Vorschulkinder einmal wöchentlich betreuen lassen. Zu wenig Personal, zu wenig Platz für weitere Kita-Öffnung: Denn die Hygiene- und Abstandsauflagen sind für die Kitas weiterhin hart. Sie erfordern durch feste und kleinere Gruppen mehr Räume und mehr Personal. Aus Sicht Klahns sind die der „Casus knacksus“. Wittstock scheitert vor allem am Personal. Obwohl die Stadt Erzieher-Ruheständler zurückgeholt hat. Obwohl Erzieher-Azubis nun selbstständig Gruppen leiten. Obwohl die Stadt sich am Notfallpool für Kita-Erzieher des Landkreises bedient hat. „Wir haben alles ausgereizt, was geht“, sagt Klahn. Das reicht aber nicht einmal, um die neuen Anträge für die Notbetreuung abzudecken. Über 70 sind es derzeit. „Für diese Kinder haben wir noch keine Plätze.“ Obwohl die Eltern von zumindest 52 Steppkes auf jeden Fall einen Anspruch darauf hätten. Die restlichen 20 Anträge werden noch geprüft. Nun sollen auch noch 52 Vorschüler zusätzlich untergebracht werden. „Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt die Amtsleiterin. Eltern haben immer weniger Verständnis: Wittstock versucht es dennoch: Um es zu schaffen, stoppelt die Stadt jetzt jede einzelne freie Stunde der Erzieher aus 41 festen Kindergruppen im gesamten Gebiet der Kommune zusammen, um die den Eltern vom Land in Aussicht gestellten vier Stunden wöchentlich freizuschaufeln. Das sei ein Riesen-Verwaltungsaufwand – mit unsicherem Ausgang. Dass das Land den Eltern quasi eine Öffnung der Kitas versprochen hat, die Verantwortung aber auf die Kita-Träger abwälzt, empfindet Klahn als falsch. Denn rechtfertigen muss sich die untere Ebene. Und das Verständnis, das die Rückkehr in die Kitas vor Ort nicht funktioniert, sei bei den Eltern immer weniger da. Briefe der Kommune zu dem Thema ans Ministerium blieben aber unbeantwortet. Als „groben Unfug“ bezeichnet auch Danilo Lieske die Einführung des eingeschränkten Regelbetriebs durch das Land unter den geltenden Corona-Auflagen. Der Amtsdirektor von Lindow versucht es auch im Gegensatz zu Wittstock nicht einmal mehr, die Kapazitäten auf Wunsch Potsdams in seinen Kitas zu erhöhen. „Das kriegen wir nicht gebacken.“ Das Amt Lindow habe dafür zu wenige Erzieher. Vor allem aber ein Platzproblem. Schon seit der Erweiterung des Notbetriebs auf Alleinerziehende und Familien mit einem Elternteil im systemrelevanten Beruf nutze die Kita auch Schulräume. Andere Platz-Reserven gibt es aus Sicht Lieskes nicht. Amtsdirektor hält kleine Öffnung für wenig sinnvoll: Hinzu kommt, dass nun auch noch in einer der Land-Kitas der Kommune gebaut wird. „Dadurch haben wir eher noch weniger Platz als sonst.“ Der Bedarf aber liege durch die Pandemie-Vorschriften deutlich höher als im Normalfall. Keine Chance also für die rund 30 Vorschüler in Lindow. Lieske zweifelt zudem an, dass die Vier-Stunden-pro-Woche-Regelung sinnvoll ist. Er glaubt, dass sie Kindern und ihren Eltern wenig bringt. Weder pädagogisch noch arbeitstechnisch. Im Amt Temnitz gibt es beides: genügend Erzieher und genügend Platz. „Wir können auch nicht zaubern, wir hatten Glück“, beschreibt Amtsdirektor Thomas Kresse die Lage rund um Walsleben. Geringer Krankenstand bei den Erziehern und freie Räume an den beiden Grundschulen in Walsleben und Wildberg haben den Temnitzer Krisenstab in die komfortable Lage versetzt, je zehn Plätze für Vorschüler und ihre Geschwister anbieten zu können. Und zwar jeden Tag mehr als sechs Stunden, und nicht nur einmal in der Woche vier. Kommunen rund um Neuruppin kritisieren das Land: Und dennoch: Kresse übt –genauso wie die meisten seiner Kollegen aus anderen Kommunen in Ostprignitz-Ruppin – harsche Kritik am Land, das den Regelbetrieb mit angezogener Handbremse verordnet hat. Darin reihen sich neben Wittstock und Lindow auch Rheinsberg und Fehrbellin ein. Die letzteren sind nämlich genauso wie die anderen am Limit, was die Aufnahme von neuen Kindern in den Kitas unter den geltenden Bedingungen betrifft. Kresse fordert ausdrücklich, dass die Landkreise freie Fahrt in Sachen Kitas bekommen. Die anderen stimmen ihm zu. Sprich: Dass sie bei wenigen Infektionen in einer Region zum normalen Betrieb zurückkehren dürfen. Ohne große Auflagen. Mit größeren Gruppen, ohne feste Bezugserzieher. Und zwar schnell. Er verweist dabei auf entsprechende Empfehlungen von Kinderarzt-Gesellschaften. Und auf die geringe Infektionsrate in der Region. Auch an diesem Punkt stimmen die Vertreter der anderen Kommunen mit ihm überein. Verantwortung an die Landkreise weitergereicht: Nur Neuruppin äußert sich äußerst vorsichtig zu dem Thema. „Die Fontanestadt erwägt das ,Hochfahren’ der Einrichtungen, unter Berücksichtigung der geltenden Hygienevorschriften“, teilt Stadtsprecherin Michaela Ott lediglich mit. Was das konkret bedeutet, lässt sie offen. Schon am 2. Juni sollen indes die Kitas im Amt Temnitz zum Alltag zurückkehren, sagt Kresse. Dabei müsse der Landkreis allerdings richtig mitziehen. Er darf den Schritt aber zumindest nicht untersagen. Denn an ihn wurde in dieser Frage die Verantwortung vom Land weitergereicht. Dieser aber zieht eine klare Grenze. „Für den Landkreis gilt weiter das, was in der Eindämmungsverordnung des Landes steht, um die Bevölkerung zu schützen“, stellt Kreissprecher Alexander von Uleniecki klar. Zwar habe das Land in der Kita-Öffnungsfrage den Verantwortlichen in den Landkreisen tatsächlich Spielraum gelassen. Die Grenze, die dabei aber nicht überschritten werden darf, bildet der Infektionsschutz. Dass die Auflagen dem berechtigten Interesse von Eltern und Kindern zum Opfer fallen, hält er für ausgeschlossen. Der Landkreis wolle den Kommunen aber helfen, so von Uleniecki. So besuche seit dieser Woche ein Tandem, zu dem Mitarbeiter des Gesundheits- und Jugendamtes Ostprignitz-Ruppin gehören, die einzelnen Kitas. Ziel sei es, die für jeden Standort individuell größtmögliche Gruppengröße festzulegen. „Wenn wir Glück haben, kann die Gruppengröße bis zur Betriebserlaubnis zugelassen werden.“ Die Praktiker in den Rathäusern sprechen bei diesem Versuch, den Alltag in die Kitas durch die Hintertür reinzulassen, von „Spielereien“ oder „Träumereien“, die die Platz- und Personal-Probleme außer Acht lassen. Lesen Sie mehr unter: Wittstock und Heiligengrabe fordern Kita-Öffnung Viele Potsdamer Kitas bleiben bei Regelbetreuung So unterschiedlich entscheiden märkische Landkreise bei Kita-Öffnungen Von Celina Aniol

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