Lockdown in Neuruppin: Jugendliche blicken sorgenvoll in die Zukunft

„Schule ist zu einem richtig dummen Klotz am Bein geworden!“ Maximilian Pintaske ist genervt. Von Lehrern, die im Distanzunterricht nicht für Fragen erreichbar sind. Von Technikproblemen bei der Videokonferenz. Von langwierigen Hausaufgaben mit Deadlines in einer Woche, kurzum: Von seinem Alltag im Lockdown. „Wenn ich morgens aufstehe, fühle ich mich nicht gerade sehr motiviert“, sagt Maximilian Pintaske. Der 17-Jährige mit den hellblonden Haaren geht in die elfte Klasse des Neuruppiner Karl-Friedrich-Schinkel-Gymnasiums. Sehnsuchtsort Schule: Seine Lehrer, die überwiegende Mehrheit seiner Klassenkameraden und viele Freundinnen und Freunde hat er lange nicht gesehen. Zumindest nicht physisch. Denn anders als die Abiturienten eine Klassenstufe über ihm, hat er als Elftklässler keinen Präsenzunterricht. „Unsere Schul-Cloud funktioniert zwar ganz gut, aber immer so alleine vor dem Laptop zuhause zu sitzen, ist schon irgendwie bedrückend und langweilig“, sagt der Schüler. Er würde gerne wieder in die Schule gehen. Langsame Schulöffnung ab 22. Februar: Doch das wird so bald nicht passieren. Am 22. Februar will Brandenburg seine Schulen zwar schrittweise öffnen. Zusätzlich zu den Abschlussklassen dürfen dann aber erstmal nur die Grundschulkinder wieder in ihre Klassenzimmer. „Es klingt vielleicht komisch, wenn ich sage, dass ich wieder so schnell wie möglich in die Schule will“, sagt Maximilian Pintaske nachdenklich. Als Schüler freue man sich doch eigentlich, wenn die Schule ausfällt. So war es zumindest früher, vor Corona. „Jetzt vermisse ich einfach den Unterricht und natürlich das Drumherum.“ Kein Chillen, kein Schulchor: Mit Drumherum meint Maximilian Pintaske: Das Chillen in der Pause und nach der Schule sowie das gemeinsame Singen im Schulchor. Der Jugendliche hat viele Kumpels in seiner Klasse. Seit der siebten ist er auf dem Schinkel-Gymnasium. Bis er zusammen mit seiner Mutter und seinem kleinen Bruder im vergangenen Frühjahr nach Neuruppin umgezogen ist, musste er jeden Tag aus Protzen pendeln. „Ich war die treibende Kraft und habe meine Mama zum Umzug überredet“, sagt Maximilian Pintaske mit einem Schmunzeln. Freunde tauschen sich digital aus: Er wollte näher bei seinen Kumpels sein. Zudem geht in Neuruppin mehr ab als im kleinen Protzen, dachte er sich. Durch Corona ist nun aber auch die Fontanestadt wie paralysiert. „Es ist echt Mist, dass wir uns als Freundeskreis gerade nicht zu sechst oder siebt treffen können“, sagt der Jugendliche. Das fehle ihm sehr. Bis auf seine zwei besten Freunde zum Spaziergang trifft er zurzeit niemanden. Der Kontakt zu den anderen wird trotzdem gehalten –über Zoom und WhatsApp. Doch der virtuelle Austausch sei nicht dasselbe. Die Tage verschwimmen: „Ich fühle mich manchmal schon etwas einsam“, sagt Maximilian Pintaske. „Die Tage verschwimmen, man erlebt immer mehr oder weniger dasselbe, Wochenenden sind bedeutungslos.“ Alle seine Freunde empfänden das Leben derzeit so. Er merke, dass er sich träger fühle und mehr esse als früher. „Ich habe ein bisschen Sorge, in der Schule zurückzufallen“, sagt Maximilian Pintaske. Mehr noch als das habe er Angst, seine Jugend ein Stück weit zu verpassen. Einfach zu machen, worauf man Lust, sich auszuprobieren, neue Leute kennen zu lernen –das ist im Moment gestrichen. Jugendliche haben Angst vor der Zukunft: Die Pandemie mit ihren Beschränkungen schlägt jungen Menschen aufs Gemüt. Studien und Umfragen bestätigen individuelle Eindrücke wie von Maximilian Pintaske. Im November 2020 haben Forscher der Universitäten Hildesheim und Frankfurt/Main bundesweit 7 000 junge Leute zwischen 15 und 30 Jahren (davon 40 Prozent Schülerinnen und Schüler) zu ihrem Befinden in der Corona-Krise befragt. Herausgefunden hat die Jugendstudie „JuCo 2“: Fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent) gibt an, Angst vor der Zukunft zu haben. Auch der Anteil an jungen Leuten, die sich einsam fühlen, ist hoch (30 Prozent). Hinzu kommt die verbreite Sorge, dass sie ältere Familienangehörige anstecken könnten. Das alles zusammengenommen führe zu großen psychischen Belastungen für diese Altersgruppe, schlussfolgern die Forscher. Parteiengagement gegen den Corona-Blues: Maximilian Pintaske hat für sich ein Mittel gegen den allgemeinen Corona-Blues gefunden. Seit Oktober ist er Mitglied in der Partei Die Linke. „Corona hat mich politisiert“, sagt der Jugendliche. In der Pandemie habe er viel Zeit, sich mit politischer Theorie und aktuellen Debatten im Bundestag zu beschäftigen. Vor allem die soziale Frage sei es gewesen, die ihn zu den Linken gebracht habe. „Durch die Krise werden soziale Missstände noch auffälliger“, findet Maximilian Pintaske. Er sehe in der eigenen Familie, wie schwer es seine alleinerziehende Mutter finanziell habe. Bundestagswahlkampf elektrisiert den Jugendlichen: „Ich will die Linke in diesem wichtigen Bundestagswahljahr unterstützen“, sagt der Neuruppiner energisch. Wenn er das sagt, merkt man, dass der 17-Jährige für die Sache brennt. Er beteiligt sich an virtuellen Diskussionen und ganz praktisch vor Ort: Zum Beispiel bei der Verteilung von FFP2-Masken an Bedürftige, die seine Partei organisiert. Das Engagement gibt ihm einen Anker, wie er sagt. „Ich rate auch meinen Freunden immer: Sucht euch eine neue, coronakonforme Beschäftigung, sonst fällt Euch Zuhause die Decke auf den Kopf.“ Von Jérôme Lombard