Neuruppin: Sportvereine kämpfen in der Corona-Pandemie um jedes Mitglied

Ende vergangenen Jahres hatte Ingo Lamprecht eine schlimme Befürchtung. „Je länger die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen andauert, desto mehr Mitglieder werden wir verlieren“, sagt der Geschäftsführer vom MSV 1919 Neuruppin. Inzwischen liegen die Zahlen für 2020 vor – und Ingo Lamprechts Befürchtung hat sich bestätigt. Im zurückliegenden Jahr haben 50 Mitglieder den traditionsreichen Sportverein mit Sitz in der Karl-Marx-Straße 33/34 verlassen. Viele davon sind im Dezember ausgetreten, als klar wurde, dass Deutschland in einen weiteren harten Lockdown gehen wird. Vereine leben von ihren Mitgliedern: Damit sind aktuell noch 766 Menschen beim MSV eingeschrieben. „Jeder Verein lebt maßgeblich von seinen Mitgliedern“, sagt Ingo Lamprecht. Sie bilden eine Gemeinschaft, nehmen die Sportangebote wahr und halten das Vereinsleben mit ihren Monatsbeiträgen aufrecht. Wenn nun aber viele Mitglieder austreten und kaum neue hinzukommen, ist das für den Verein ein echtes wirtschaftliches Problem. In der Corona-Pandemie sieht genau so die bittere Realität für viele Sportvereine aus. Denn: Im Lockdown liegen die allermeisten Sportangebote auf Eis und manche Mitglieder sehen keinen Sinn darin, weiter Beiträge zu zahlen. Langjährige Mitglieder halten die Treue: „Ich kann die Menschen schon verstehen, die in der derzeitigen Situation aus ihrem Verein austreten“, sagt MSV-Chef Ingo Lamprecht. Viele würden wegen Kurzarbeit und ihrer unklaren beruflichen Zukunft die Mitgliedskosten einsparen wollen. Anhand der Statistik kann Ingo Lamprecht sehen, dass es sich bei den Ausgetretenen vor allem um Mitglieder handelt, die erst seit ein, zwei Jahren beim MSV dabei waren. „Die Mitglieder, die schon seit fünf, zehn oder 15 Jahren bei uns sind, halten uns in der schwierigen Lage die Treue“, sagt der Verantwortliche. Das sei nicht nur emotional enorm wichtig, sondern auch ökonomisch. Immerhin fallen die laufenden Kosten für Unterhalt und Pflege der Sportanlagen bei ausbleibenden Einnahmen im Lockdown weiter an. Neue Mitglieder treten nicht ein: Auch der Kreissportbund Ostprignitz-Ruppin (KSB) macht sich Sorgen um die Vereine in der Region. Vor allem, dass im Lockdown kaum bis gar keine Neumitglieder geworben werden können, mache den Clubs zu schaffen, sagt KSB-Geschäftsführer Thomas Krieglstein. Nichtsdestotrotz stehe die überwiegende Mehrheit der Sportvereine noch vergleichsweise gut da. Laut KSB ist die Zahl der Mitglieder 2020 bei den 163 Vereinen in Ostprignitz-Ruppin wegen Corona um zwei Prozent gesunken – das entspricht 200 Personen, die ihren Vereinen den Rücken zugekehrt haben. In den vergangen Jahren hatten die Vereine zusammen stets um die 13 000 Mitglieder. Mitgliederschwund nicht so extrem wie angenommen: „Wir hatten befürchtet, dass der Mitgliederschwund noch viel schlimmer ausfallen würde“, sagt Thomas Kringlstein. Dass dem nicht so ist, führt der KSB-Geschäftsführer auch auf die Verbundenheit vieler Mitglieder mit ihren Vereinen zurück. „Viele wollen ihren Verein in der Krise nicht hängen lassen.“ Auch wenn die Überblickszahlen nicht so dramatisch wie angenommen ausfallen, weiß Thomas Kringlstein um die individuell äußerst schwierige Situation einiger Vereine. „Die insgesamt positiven Zahlen können nicht verschleiern, dass es einzelne Vereine in unserer Region gibt, denen die Krise extrem schwer zu schaffen macht.“ Indoor-Sportvereine am härtesten getroffen: Dazu zählten vor allem Vereine, die hauptsächlich Indoor-Sportarten und Rehabilitationssport anbieten. Als KSB könne man nur hoffen, dass der Lockdown schnell gelockert und der Amateur- und Breitensport wieder möglich wird. „Wenn weiterhin alles still steht, wird es richtig brenzlig für die Zukunft der Vereine“, warnt Thomas Kringlstein. Einer der Vereine, der aktuell um seine Existenz bangen muss, ist der SC Kempo Neuruppin. Dem Club, der 1990 gegründet wurde und Judo, Karate, Ju-Jutsu, Boxen, Selbstverteidigung, Gesundheits- und Breitensport sowie Vorschulsport anbietet, brechen seit März 2020 die Mitglieder weg – von fast 150 schrumpfte die Zahl zuletzt auf 114. SC Kempo setzt auf Untersützung aus der Politik: Dem Verein, der seinen Sitz in einem von der Stadt gepachteten Gebäude in der Junckerstraße hat, fehlen nun die Einnahmen von monatlich 30 Euro pro Mitglied. Ohne Entgegenkommen der Fontanestadt könnten beim SC Kempo bald die Lichter ausgehen. Dazu will es der Neuruppiner CDU-Abgeordnete Sebastian Steineke aber auf keinen Fall kommen lassen. Mietnachlass im Gespräch: „Ein Verein, der viel für die Jugend macht, darf nicht einfach so wegbrechen“, findet Steineke. In der Stadtverordnetenversammlung setzt sich der Politiker für einen Mietnachlass für den SC Kempo ein. „Bisher sieht es auch ganz gut aus“, sagt er. Mit einer Zwischenförderung sollen die nächsten vier Monate für den Club gesichert werden. Wie es danach weitergeht, sei derzeit noch unklar. Die Stadt setzt auf weitere Fördermittel von der Landes- und Bundesregierung zur Rettung der Sportvereine. „Entscheidend wird für den SC Kempo wie für alle anderen Vereine auch sein, wann der Sportbetrieb endlich wieder aufgenommen werden kann“, sagt Steineke. Von Jérôme Lombard