Neuruppin: Trauernde rücken im Garten der Erinnerung am Hospiz zusammen

Es ist still im Garten der Erinnerung an diesem Samstagmorgen. In einem Kreis sitzen die Hinterbliebenen um einen kleinen Altar, bestehend aus einem Kreuz und einer Laterne, die ein schwaches Licht in Richtung der Trauernden aussendet. Gleich nebenan befindet sich das Neuruppiner Hospiz „Haus Wegwarte“. Für viele der heute Anwesenden ist dies der Ort, an dem sie die letzten Tage, Wochen oder auch Monate mit ihren geliebten Angehörigen verbringen durften. Ein Ort der Besinnung, des Erinnerns und Nachdenkens. Zehn Frauen nahmen an der Andacht teil: Diesmal sind es zehn Frauen, die gemeinsam innehalten und in einer Andacht ihrer Verstorbenen gedenken. Einmal im Monat trifft man sich hier am letzten Samstag – und viele kommen bereits seit Jahren hierher. Eigentlich ist es wie immer, nur dass an diesem Samstag nicht ein Pfarrer oder eine Pfarrerin die Andacht hielt, sondern die Lektorin Gabriele Krüger, selbst eine Hinterbliebene. „Mein Mann Malte Krüger erkrankte 2013 an Krebs – und bereits zwei Jahre später im März 2015 hatte sich die Situation so verschärft, dass ich ihn zu Hause pflegen wollte, aber dies einfach nicht mehr zu leisten war“, sagt sie. „Mein Mann wollte nicht ins Hospiz. Aber am Ende sagte die Ärztin: ,Ja, diese Entscheidung müssen wir jetzt für Ihren Mann treffen.’ Ich hatte im Vorfeld meinem Mann versprochen, wenn ich es nicht schaffe, ihn zu pflegen, dann werde ich ihn ins Hospiz begleiten und nicht alleine lassen, die Zeit mit ihm hierbleiben und nach ihm rausgehen“, berichtet Gabriele Krüger. Der Ehemann leitete früher den Bläserchor Protzen/Fehrbellin: „Und das durfte ich auch einhalten“, erzählt sie weiter. „Ich durfte hierherkommen, ich durfte hierbleiben und ich durfte auch in seinem Zimmer schlafen. Ich durfte Tag und Nacht bei ihm bleiben. Am Anfang war es schwer“, sagt Gabriele Krüger sichtlich berührt und überwältigt von der Erinnerung. Ihr Mann lebte im Hospiz noch einmal auf und konnte sich von vielen aus dem Bläserchor Protzen/Fehrbellin, den er früher geleitet hatte, verabschieden. Viele Bläserchöre kamen, um sich ihrerseits von ihrem ehemaligen Kreisposaunenwart zu verabschieden. „Jeder Chor, der mit meinem Mann verbunden war, kam einmal hierher. Gemeinsam machten sie Musik im Garten für alle“, erinnert sich Gabriele Krüger. Sie selbst blieb die ganzen 30 Tage. „Das Schönste in dieser Zeit war, dass ich nicht mit Kochen, Putzen und der Pflege beschäftigt war, sondern ich konnte bei ihm sein. Ich hatte Zeit für ihn und ich habe hier alle Unterstützung bekommen, die ich brauchte. Für mich war diese Zeit hier sehr wertvoll, auch für meine Familie. Und ich konnte teilhaben am Leben der anderen Mitbewohner.“ Viele erlebten ähnliche Situationen: Sie habe viele Situationen erlebt, die sie noch heute tragen würden. „Ich komme auch heute noch immer hierher, wenn es meine Zeit zulässt. Zum ersten Himmelsgeburtstag, es wäre der 65. meines Mannes gewesen, bin ich dann mit einem Kuchen ins Hospiz gegangen und habe diesen Geburtstag im Gedenken an ihn mit den anderen hier begangen“, berichtet Gabriele Krüger. Jeder an diesem Sonnabend, in dieser Runde um den kleinen Altar, hat eine solche Geschichte zu erzählen. So auch Monika Gramenz und Helga Fockers. Beide haben sich im Hospiz kennengelernt, die eine, selbst in der Einrichtung im Küchenbereich beschäftigt, verlor ihren Mann vor einem Jahr ganz plötzlich und unerwartet. Eine Welt brach zusammen: „Für mich“, so sagt sie, „ist erst einmal eine Welt zusammengebrochen. Keiner hat damit gerechnet. Ich wollte ihn noch am Montag vor seinem Tod ins Hospiz holen, doch am Samstag bereits ist er im Alter von 63 Jahren verstorben“, erzählt Monika Gramenz. Seither gehe sie jeden Monat zu der kleinen Andacht und meistens gemeinsam mit ihrer Freundin Helga. Kennengelernt hatten sich beide, als Helga Fockers’ Mann Bernd hier im Hospiz gelegen hatte. Er kam 2017 am 1. September ins Krankenhaus, eigentlich nur zum Blutabnehmen, aber plötzlich ging es ihm sehr schlecht. „Ich wollte zunächst die Pflege zu Hause übernehmen, doch mein Mann bestand darauf, ins Hospiz zu gehen. Ich denke, er wollte nicht, dass ich leide“, sagte Helga Fockers. Ihr Mann hatte Krebs und er wusste, dass er sterben würde. Jeden zweiten Tag besuchte sie ihren Mann: „Hier im Hospiz waren alle sofort sehr aufgeschlossen und für mich da. Monika stellte sich gleich vor, sie sei hier die Küchenfee und die Schwester zeigte uns gleich das Zimmer. Mein Mann war insgesamt vier Monate hier. Ich hatte hier sogar über Weihnachten ein Zimmer“, erzählt Helga Fockers. „Ich habe während dieser Zeit auch viel mit geholfen in der Küche oder wo ich gebraucht wurde. Ansonsten bin ich jeden zweiten Tag hier gewesen“, sagt Helga Fockers. Was nach dem Tod des Ehemannes blieb, war die Erinnerung und die Freundschaft zu Monika Gramenz. In Gedenken rücken die Hinterbliebenen zusammen: Auch während der vergangenen, von der Corona-Pandemie bestimmten Monate hatte das Hospiz seine Türen für die Angehörigen weiterhin geöffnet. Und so konnten auch in dieser Zeit die Angehörige in Würde Abschied nehmen von ihren Lieben. Auch wenn im Moment vieles vom Virus bestimmt wird und so manches an Not und Traurigkeit in Vergessenheit zu geraten scheint, rücken die Menschen dort in ihren Gedanken immer wieder zusammen, auch wenn sie äußerlich Abstand halten. Lesen Sie auch: Prignitzer Hospiz eröffnet Anfang 2021 Von Peter Lenz