Neuruppin: Was Corona für den Alltag der Pflegekräfte bedeutet

52 Mal. Dana Fedler hat es mal gezählt: Während einer Schicht in der häuslichen Krankenpflege berührt sie 52-Mal den Türgriff ihres Autos. 52 Momente, in denen sie eine Ansteckungsgefahr mit bedenken muss. Seit die Corona-Pandemie das Land fest im Griff hält, ist die Angst der ständige Begleiter der Neuruppiner Krankenschwester. Dana Fedler hat nicht nur Angst sich zu infizieren. Sie befürchtet vor allem, ihre zumeist älteren Klienten anzustecken. Eine Riesenbelastung. Selbst für einen Profi mit 27 Jahren Berufserfahrung. Desinfektionstücher auch fürs Lenkrad: Dana Fedler will alle Gefahren ausschließen. Sie desinfiziert sich nicht nur ständig ihre Hände. Sie desinfiziert auch die Wohnungsschlüssel der Patienten, bevor sie die Schlüssel an eine Kollegin weitergibt. Zum Ende einer Schicht reinigt sie Lenkrad, Türgriff und Schaltknüppel ihres Dienstwagens. Sie versucht jeden Schritt ihres Handelns zu kontrollieren. Bei einer Frühschicht der häuslichen Krankenpflege fährt Dana Fedler zu etwa zwölf Patienten. Auch für ihre Klienten ist Corona ein Thema, das auf die Seele drückt. Durch die Pandemie hätten viele Patienten weniger Besuch als zuvor, sagt die Krankenschwester: „Wir sind manchmal die einzigen, die noch kommen.“ „Ich gucke nicht auf die Uhr“: Viele von Fedlers Klienten erzählen los, sobald die 43-Jährige die Wohnung betreten hat. „Da ist ein wahnsinniges Redebedürfnis“, sagt sie. Dana Fedler versucht, sich Zeit zu nehmen. Verschenkt manchmal auch ihre Pausen. „Ich gucke nicht auf die Uhr.“ Die Angst vor Corona greift tief ein in das Leben derer, die in der Pflege arbeiten. Wie ihre Kollegen auch versucht sie jedem Ansteckungsrisiko aus dem Weg zu gehen. „Man meidet jeglichen Kontakt mit der Außenwelt“, sagt die Neuruppinerin. „Nach der Arbeit geht es auf dem schnellsten Weg nach Hause.“ Video-Telefonate am Abend: Seit Langem schon sieht Dana Fedler ihre Freunde nur noch bei abendlichen Video-Telefonaten. „Das verändert das ganze Leben“, sagt sie. „Manchmal ist man einfach nur traurig.“ Ihrer Kollegin Susanne Maske geht es nicht anders. Auch sie arbeitet für die Diakonie in Ostprignitz-Ruppin – allerdings nicht in der häuslichen Krankenpflege sondern in einer Senioren-WG. Ihr Beruf als Altenpflegerin zwingt auch Maske, von den Menschen Abstand zu halten, denen sie eigentlich gerne nahe wäre. Als ihr Vater Geburtstag hatte, legte sie ihm einen Blumenstrauß vor die Tür. Keine Umarmung, keine Kaffeerunde. „Ich würde mir nicht verzeihen, ihn anzustecken.“ Die Gedanken kreisen um Corona: Auch Maskes Gedanken kreisen ständig um Corona. Ihr Partner arbeitet ebenfalls in der Pflege, ihre Tochter macht eine Ausbildung an der Charité. Drei Menschen, die derzeit noch vorsichtiger leben müssen als andere. Die Mehrzahl der zehn Bewohner in der von Susanne Maske betreuten WG weiß nichts von der tödlichen Gefahr vor der Haustür. Gleichwohl spüren sie, dass etwas deutlich anders ist. Weniger Besuche und auch keine Tagespflege mehr, die den Tagen früher eine Struktur gab. „Da ist ein Gefühl“, sagt Maske. „Und das ist beklemmend.“ Die Maske verdeckt auch ein Lächeln: Susanne Maske versucht, die Bewohner so gut es geht aufzufangen. Doch sie kommt – unweigerlich – an ihre Grenzen. „Mit Demenzkranken tauscht man sich viel über Mimik und Gestik aus“, sagt die examinierte Altenpflegerin. Doch wie viel Mimik bleibt übrig, wenn das Gesicht unter einem Mund-Nasen-Schutz versteckt ist? Vor Corona haben die Altenpflegerin und ihre Kolleginnen demenzkranke Bewohner mit einem Lächeln aufgemuntert oder mit einer Umarmung beruhigt. „Das ist jetzt nicht mehr möglich“, sagt Susanne Maske. Einige Bewohner seien unruhiger als früher. „Sie sind sehr unzufrieden.“ Das macht die Arbeit in der WG derzeit noch herausfordernder. Hohes Bewegungsbedürfnis: Schwierig auch: das große Bewegungsbedürfnis, das in einer Phase der Demenz so typisch ist. In einer WG, die über drei Etagen verteilt ist, müssen Maske und ihre Kolleginnen ständig die Handläufe im Treppenhaus und die Türklinken desinfizieren. „Wir sind ein offenes Haus“, sagt sie. „Wir sperren niemanden ein.“ Fedler und Maske tragen bei ihrer Arbeit ständig einen Mund-Nasen-Schutz. Das laute Sprechen durch die Maske sei anstrengend, sagen beide. Belastend zudem, dass das permanente Tragen des Schutzes müde und durstig macht. Alles so normal wie möglich: Die Küche, in der die Pflegerinnen zusammen kommen, ist weihnachtlich geschmückt. Auch Susanne Maske hat zuhause schon einen Weihnachtsbaum aufgestellt. „Alles soll so normal wie möglich sein“, sagt sie. Dana Fedler dagegen hat den Weihnachtsschmuck noch nicht ausgepackt. In einem Jahr, in dem alles anders ist, ist ihr Weihnachtsschmuck plötzlich unwichtig. Lesen Sie auch: Corona im Pflegeheim: Wie Bewohnerinnen und Pflegekräfte die Zeit erleben Brandenburg reduziert geplante Ausgaben für „Pakt für Pflege“ Von Frauke Herweg