Podiumsdiskussion des RBB-Inforadio zum Thema deutsche Wiedervereinigung im Bodoni-Hof Buskow

Glücksfall oder Sturzgeburt? Das war die provokante These des Abends. Eingeladen hatte das RBB-Inforadio – zum Podiumsgespräch im Salon im Kuhstall des Buskower Bodoni-Vielseithofes – im Rahmen der Sendereihe des rbb-Inforadio, „Das Forum“, zum 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Der Gastgeber Marc Johne war froh, dass der RBB-Moderator Dietmar Ringel ausgerechnet seinen Hof als Veranstaltungsort ausgesucht hat. „Ich kenne diesen Ort – hier ist immer was los“, erklärte Dietmar Ringel seine Wahl. Abgesehen davon, dass es ein schöner Ort sei, kümmere man sich dort im Verlag, der Edition Bodoni, verdienstvoll um deutsch-deutsche Geschichte. Der Moderator Ringel ist aber auch der Einzige auf dem Podium, der schon in Buskow war. Alle anderen sind eher erstaunt, „was es hier in der Mark alles gibt“, sagt Markus Meckel, letzter Außenminister der DDR. Mit ihm staunen darüber, „wie schön es hier ist“: der Präsident der Uni Potsdam, Oliver Günther; ferner Julia Schmidt, Co-Landesvorsitzende der Grünen Brandenburg und der Rheinsberger Kommunalpolitiker Freke Over, (Linke), früherer Kreistagsabgeordneter in Ostprignitz-Ruppin und noch früher Ex-Hausbesetzer in der Mainzer Straße (Berlin). Ging es zu schnell? Auffällig ist: Bis auf Meckel und Ringel hat keiner eine Ost-Vergangenheit. Julia Schmidt war zur Wende noch nicht mal auf der Welt. Ringel deckt vorab die heißen Fragen auf den Tisch: „War es eine Wiedervereinigung? Ging es zu schnell? Hätte man manches besser machen können? Fontane hätte gesagt: Ein weites Feld. Die Podiumsgäste begaben sich direkt hinein. Julia Schmidt, 27 Jahre jung, zieht einen gewagten Vergleich: Die politische Situation vor 30 Jahren erinnere sie stark an die Corona-Pandemie. „Es war eine komplett neue Situation, die nach schnellen Entscheidungen verlangte“, sagt sie. Und keinesfalls sei die Debatte darüber Schnee von gestern. Die Wiedervereinigung mit all ihren Auswirkungen habe auch heute noch große Aktualität. Mehrheit im Osten wollte die Einheit sofort: Oliver Günther spricht von einem Glücksfall, der ihn „bewusst“ in den Osten gebracht habe, „in den Mittelpunkt des Geschehens.“ Auch Freke Over zog es damals spontan in „die spannendste Stadt der Welt“. Er allerdings beantragt, das ’oder’ im Motto zu streichen. „Es war ’ne Sturzgeburt. Das Kind lebt. Aber es ist viel Kind ausgeschüttet worden.“ „Die große Mehrheit im Osten wollte die Einheit sofort – verbunden mit ,Wohlstand – sofort’. Die wollten keine langen Verhandlungen“, versucht Markus Meckel den schnellen Beitritt zur BRD zu verteidigen und verhehlt nicht, dass „viele über den Tisch gezogen wurden“. Die DDR-Regierung habe natürlich massiv unter Druck gestanden, führt Over: auf der einen Seite von der Kohl-Regierung, auf der anderen von der Mehrheit der Ostdeutschen. „Da sind natürlich Fehler passiert, die bis heute nachwirken.“ Allein die Treuhand sei ein abendfüllendes Thema. „Das war mehr eine Liquidation. Aber: Rotkäppchen hat überlebt.“ Verfassungsfrage nicht vom Tisch: Gelächter im Saal, 35 Zuhörer lauschen der Debatte, die sich auch um Verfassung versus Grundgesetz, um Gleichberechtigung von alten und neuen Bundesbürgern, um Unrechtsstaat und Demokratie dreht – und melden sich nach der Live-Aufzeichnung auch zu Wort. „Ich finde nicht, dass die Verfassungsfrage heute vom Tisch ist. Das hätte zu echter Gleichberechtigung von Ost und West geführt. Da ist damals eine Chance vertan worden“, beklagt Freke Over. Und: „Solange meine im Osten geborenen Kinder als Wessis gelten, so lange hakt’s noch.“ Tropfen auf den heißen Stein: Für den Gastgeber Marc Johne ist die Diskussion nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Dieses Land braucht viel mehr Debatte über dieses Thema. Ich hätte mir das noch kontroverser gewünscht,“ sagt er und greift noch einmal das Thema auf, ob es nicht ohnehin zu spät sei, über gelegte Eier zu reden: „Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute“, zitiert er die Autorin Daniela Dahn. „Das trifft den Nagel doch auf den Kopf – wenn wir uns heute so umschauen.“ Die ganze Sendung Forum läuft am Sonntag, 27. September, um 11.05 Uhr im Inforadio des RBB. Lesen Sie auch: Buskow: Ein Konzert mit Liedermacher Wenzel: fast wie zu Ostzeiten Buskow: Bodoni-Hofbetreiber Marc Johne und Künstler Tobias Mohr starten Benefizaktion für Musiker Russischer Abend im Bodoni-Vielseithof Gedruckte Leidenschaft Von Regine Buddeke