Strategien gegen neue Straftaten

Die meisten Kinder und Jugendlichen haben schon mehrere Straftaten hinter sich, wenn sie bei Annett Kessouri landen: Sie haben gestohlen, nicht einmal, sondern mehrfach, jemanden körperlich verletzt oder sexuell genötigt und reichlich Erfahrung mit der Polizei. Viele konsumieren zudem Alkohol und härtere Drogen und gehen auch nicht jeden Tag in die Schule. In die Rolle der Opfer versetzen: Kessouri versucht als Sozialarbeiterin mit Hilfe eines Projektes, das von der Europäischen Union (EU) und dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin gefördert wird, den Jugendlichen zu helfen, damit sie wieder Tritt im normalen Leben fassen – ohne zuvor im Gefängnis zu landen. „Haftvermeidung durch soziale Integration“ nennt sich das Projekt des Christlichen Jugenddorfes (CJD) Berlin-Brandenburg für das die 45-Jährige arbeitet. „Die Jugendlichen sollen sich in die Rolle ihrer Opfer versetzen und Strategien entwickeln, um keine neuen Straftaten zu begehen“, sagt die Neuruppinerin. Dazu gehört, dass sie zuvor ihre Taten aufarbeiten und erforschen, was sie dazu getrieben hat. „Das Projekt richtet sich an Kinder und Jugendliche zwischen 13 und 21 Jahren“, sagt Kessouri. Also an Heranwachsende, die ihr Leben noch vor sich haben und den bisher eingeschlagenen Weg ändern können. Viele Jugendliche haben ein Drogenproblem: Das Projekt ist freiwillig und sieht regelmäßige Gesprächsrunden von maximal sechs Teilnehmern über einen Zeitraum von drei Monaten sowie eine Nachbetreuung von einem Jahr vor. „Es gibt Einzel- und Gruppenkurse, die auf die Kinder und Jugendliche abgestimmt sind“, sagt Kessouri. Denn bei den wöchentlichen Treffen, die im Schnitt zwei bis drei Stunden dauern, geht es darum, dass sich die Teilnehmer öffnen – und beispielsweise preisgeben, wann und warum sie zum ersten Mal gestohlen haben, wann sie zum ersten Mal Drogen genommen haben und mit der Polizei zu tun hatten. „Wir sind ausgebildete Suchtberater“, sagt Kessouri, die noch eine Mitarbeiterin in Neuruppin und Perleberg sowie zwei in Oranienburg hat. Wichtig ist für die Jugendlichen zudem, dass die Sozialarbeiter der Schweigepflicht unterliegen und auch den Eltern nichts über die Gespräche erzählen dürfen. Wer es nicht schafft, wird fallen gelassen: Bei den Runden gehe es oft um Fragen, was gute und was schlechte Freunde seien und wie viele Freunde man eigentlich brauche. Oder welche Nebenwirkungen es beim Drogenkonsum gibt. Auch ein Besuch einer Drogen-Entzugsklinik, die von der Selbsthilfeorganisation Synanon in Berlin betrieben wird, steht meist auf dem Programm. „Viele unserer Jugendlichen haben ein hohes Suchtpotenzial“, sagt Kessouri. Problematisch sei, dass Süchtige maximal zwei Entzugstherapien machen dürfen. „Wer es dann nicht geschafft hat, wird fallen gelassen“, sagt Kessouri. 28 Fälle mit Jugendlichen hat sie im vergangenen Jahr in Neuruppin abgeschlossen, in diesem Jahr gibt es schon mehr als 30. Das Projekt ist erfolgreicher als andere: „Das Projekt ist aus unserer Sicht erfolgreicher als andere Sanktionsformen nach dem Jugendstrafrecht, da die Projektteilnehmer hier im sozialen Kontext lernen“, sagt Kreissprecher Alexander von Uleniecki. Von Vorteil sei zudem, dass auffällige Jugendliche nach einer Tat recht schnell in das Projekt aufgenommen werden könnten – im Gegensatz zu Strafverfahren mit Sanktionen, die oft erst Monate nach der Tat greifen, so dass Jugendliche mitunter gar nicht recht verstehen, wofür sie nun eigentlich bestraft werden. „Viele haben ein geringes Selbstsbewusstsein“, sagt Kessouri. Auch deshalb gehört zu jedem Kurs, mit den Jugendlichen Bewerbungen zu schreiben und zur Berufsberatung zu gehen. „Wir wollen den Jugendlichen eine Perspektive geben“, betont Kessouri. Von Andreas Vogel

Neuruppin - Strategien gegen neue Straftaten