Wie Wuthenow den Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" gewann

Der Ortsvorsteher Axel Noelte kann es noch gar nicht richtig fassen. Dass sein Dorf Wuthenow Zukunft hat, das war ihm natürlich schon immer klar. Aber dass der Neuruppiner Ortsteil so zukunftsträchtig ist, dass er alle anderen kleinen Orte im Landkreis Ostprignitz-Ruppin aussticht – Noelte schmunzelt unwillkürlich, wenn er daran denkt. Ein bisschen stolz macht ihn das schon. Wuthenow ist im diesjährigen Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ zum Kreissieger gekürt worden. Satte 10 000 Euro Preisgeld gab es dafür. Auch Peter Lenz, der Noeltes Rolle als dessen Stellvertreter bei der Preisverleihung am Montag in Kyritz übernommen hatte, war skeptisch, als die Jury ihr Urteil über die anderen Bewerber verlas. „Als ich gehört habe, was Berlitt mit Platz drei alles zu bieten hat, hab ich nur die Hände zusammengeschlagen“, erinnert er sich. Wenn all das, was das Dorf bei Kyritz zu bieten hat, nicht mal für den Sieg reicht – was soll Wuthenow dann erst leisten. „Ich hab nur gedacht, da können wir auf keinen Fall mithalten“, sagt auch Heike Hausbalk, die Chefin des Wuthenower Sport- und Kulturvereins, die zusammen mit Peter Lenz in Kyritz war. Zuerst kam die überschwängliche Laudatio zu Berlitt, dann gab es noch mehr Lob für Freyenstein, den Zweitplatzierten im kreisweiten Dorfwettbewerb. Innerlich sind die Wuthenower immer mehr zusammengeschrumpft. Das war ihnen wohl auch anzusehen. „Irgendwann kam der Bürgermeister zu uns und hat gesagt, wir sollen die Schultern mal nicht hängen lassen“, sagt Heike Hausbalk. Irgendeinen Preis wird der Ort schon bekommen – immerhin ging keiner der Bewerber in diesem Jahr leer aus. Wuthenow ist einer von 13 Ortsteilen der Fontanestadt Neuruppin. Bis 1993 war der Ort am Ruppiner See eigenständig, dann schloss er sich mit der Stadt zusammen. Das Dorf hatte Ende 2019 genau 434 Einwohner. Trotz vieler Zuzüge ist die Tendenz leicht fallend. Bekannt ist der Ort unter andere durch Fontanes „Schach von Wuthenow“. In der Wuthenower Kirche hängst bis heute ein Bild mit der ältesten Ansicht von Neuruppin. Auch in einer Legende zum Leben Pater Wichmanns kommt Wuthenow vor; Wichmann war Mitte der 13. Jahrhunderts Mitgründer und erster Prior des Dominikanerklosters Neuruppin. Als Wuthenow kurz darauf als Sieger bekannt gegeben wurde, war das fast so etwas wie ein Schock. Einer, der glücklich macht. Die Wuthenower haben aber auch einiges zu bieten: Beim großen Seifenkistenrennen im Frühjahr ist in der Regel das ganze Dorf unterwegs, beim Sportfest im Sommer genauso wie beim Kartoffelfest. Vor Jahren hat sich der Ort entschieden, nach langem Streit mit der Stadt Neuruppin, den Bau eines Dorfgemeinschaftshauses in die eigenen Hände zu nehmen. Mit 150 000 Euro Zuschuss aus der Stadtkasse haben die Wuthenower das alte Verwaltungsgebäude von der Agrargesellschaft gekauft, samt der originalen Kantine aus den 60er Jahren. 2017 habe sie begonnen, das Haus innen umzubauen und zu sanieren. Aus dem kleinen Speiseraum ist ein moderner Ortstreff geworden. Vereine kommen dort zusammen, der Ortsbeirat tagt dort. Einmal im Monat treffen sich die Wuthenower zum Dorfcafé. Die legendäre Kantine gibt es natürlich weiter; jeden Mittag kommen Gäste aus allen umliegenden Orten. Als die Jury Ende September zu Besuch im Dorf war, haben die Wuthenower die Juroren offenbar schwer beeindruckt. „Ein großer Pluspunkt war wahrscheinlich, dass die einzelnen Gruppen ihre Projekte immer selbst vorgestellt haben“, denkt Heike Hausbalk. Axel Noelte sieht das ähnlich. „Das zeigt, dass hier nicht alles nur an einer Handvoll Leuten hängt, sondern dass viele mitziehen“, sagt er: „Und so ist das bei uns ja auch. Ansonsten sind wir ein Dorf wie alle anderen auch.“ Der Sport- und Kulturverein arbeitet eng mit dem Verein Dorfgemeinschaft Wuthenow zusammen, in dem Noelte und Lenz dieselben Rollen spielen wie im Ortsbeirat: Vorsitzer und Stellvertreter. Die Kita des Arbeiter Samariter Bundes bringt sich überall ein, Dirk Becker mit seiner Veranstaltungsscheune, die Kirchengemeinde, die Stadtwerke mit der Sanierung des maroden Bootsanlegers ... Wuthenows Verhältnis zu Neuruppin ist nicht immer entspannt: „Wir sind bestimmt kein einfaches Dorf“, sagt Axel Noelte und meint dabei vor allem die Beziehung zur Stadt Neuruppin. Der Ortsbeirat legt sich regelmäßig mit der Verwaltung an. Das hat Neuruppins Bürgermeister Jens-Peter Golde der Jury nicht verschwiegen, als er sich beim Besuch der Jury Ende September für seinen Ortsteil, stark machte. Die Juroren waren davon genauso beeindruckt, wie von der Dorfchronik, die Wuthenower zur 700-Jahr-Feier 2019 angefertigt hatten. Am liebsten hätte jeder der Preisrichter ein Exemplar davon mitgenommen. „Hätten sie gekonnt, wenn sie dafür bezahlen“, sagt Heike Hausbalk und lacht schelmisch: „Wir haben hier nichts zu verschenken.“ Im Moment streitet sich der Ort gerade mit der Stadtverwaltung in Neuruppin um 800 Euro. Die sollen die Wuthenower bezahlen, weil sie angeblich den Zuschuss der Stadt zu langsam ausgegeben hatten. Dabei kann das Dorf jeden Euro gut gebrauchen. Auch wenn coronabedingt in diesem Jahr nach der Frauentagsfeier Anfang März alle Veranstaltungen ausfallen mussten. Das Preisgeld ist schon verplant. „Das wird in die Sanierung unseres Saals fließen“, sagt Axel Noelte. Der einstige Tanzsaal gehört mit zum Dorfgemeinschaftshaus, ist bisher aber nicht viel mehr als Abstellraum und Stuhllager. Dort muss fast alles erneuert werden: Eine Wand ist so feucht, dass abgerissen und neu gebaut werden soll, inklusive neuer Fenster und Türen. „50 000 bis 60 000 Euro brauche wir bestimmt noch dafür“, schätzt der Ortsvorsteher. Ein Projekt für Jahre – für die Zukunft. Von Reyk Grunow