Wegen Corona noch immer zu Hause: Neustädter Betreuer zunehmend ums Wohl der Kinder besorgt

Die Spielekiste steht unangetastet. Alle Handpuppen haben seit Wochen keine Kinderhände mehr gesehen. Auch am großen Basteltisch sitzt seit einer gefühlten Ewigkeit keiner mehr. Margitta Glöde aber ist trotzdem da. „Ich hoffe, dass im Zuge der Lockerungen nach und nach auch unser Angebot wieder stattfinden kann“, sagt die Leiterin der sogenannten Sozialen Gruppe an der Neustädter Homburg-Grundschule. Denn Margitta Glöde macht sich große Sorgen. Wie es ihren Schützlingen zu Hause wohl ergeht? Schon seit der Schulschließung zur Eindämmung der Gefahr, das Coronavirus zu übertragen, grübelt sie viel. Schließlich sind es in der Regel verhaltensauffällige Kinder und oft aus sozial schwachen Familien. Einige haben Konzentrationsschwierigkeiten. Eben mal still sitzen, wäre leichter gesagt, als getan. Angebot in kleinerer Runde abseits des normalen Horts: Die Gruppe aber ist ihr geschützter Raum, in dem sie umsorgt werden, in dem sie Alltagsstrukturen erlernen und die „sozialen Kompetenzen“. Wie verhalte ich mich? Wann erledige ich was? Und wie vergesse ich die Hausaufgaben nicht? Das Angebot entstand 2012, weil der Bedarf so groß war, Kinder im Grundschulalter mit besonderen Förderschwerpunkten auch gesondert zu betreuen. Was Lehrer und Hort nicht schaffen und auch nicht Aufgabe der Schulsozialarbeit ist, sollte in kleinerer Runde möglich werden. Ähnliche Gruppen der Awo auch in Kyritz und in Wusterhausen: Diese vom Landkreis Ostprignitz-Ruppin finanzierte Gruppe besteht in Neustadt seither aus zehn Plätzen, von denen aktuell neun belegt sind. In Kyritz ist sie im Mehrgenerationenhaus installiert, in Wusterhausen in der Lindgren-Grundschule. Träger ist die Arbeiterwohlfahrt in Kooperation mit der Outlaw-Jugendsozialhilfe. Doch nun sehen sich die Kinder schon so lange nicht mehr. Kein Tischgespräch untereinander, wenn mal etwas vorgefallen ist. Und die Gruppenregeln? Wer achtet jetzt darauf? „Ich halte mit allen Familien Kontakt, habe Freizeitmappen angelegt und per Post herumgeschickt. Die Kinder malen beispielsweise Bilder, die in unserem Raum später ausgestellt werden. Die Kinder können dann aus ihrer Zeit zu Hause berichten“, erzählt Margitta Glöde, die seit 2012 dabei ist und seit zwei Jahren Mitarbeiter Dirk Preuß an der Seite hat. Neben dem schulischen Lernen geht es sehr viel auch um die Freizeitgestaltung. „Die Kinder haben einen enormen Bewegungsdrang, mögen andererseits aber auch mal absolute Stille“, erzählt die 61-Jährige: „Wenn sie zu uns kommen, sind sie unruhig, und wenn sie dann nach Hause gehen, sehr viel ausgeglichener.“ Viele der Kinder waren noch nie an der Ostsee: Ausflüge führen zum nahegelegenen Forstlehrgarten oder in den Klosterwald zum Rumtoben. „In der Natur entwickelt sich eine Gruppendynamik.“ Oder der Kochclub: Den mögen die Kinder besonders. Das tägliche MAZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Brandenburg täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Zur Freizeit gehören auch die Ferien. Bislang ging es im Sommer stets an die Ostsee. „Da waren sie vorher noch nie.“ Aber auch nach Potsdam führten schon Fahrten mit dem Transporter der Awo, um zu zeigen, was eine Landeshauptstadt ist. Die Pflichten, wie etwa die Hausaufgaben, stehen bei alledem trotzdem immer im Mittelpunkt. „Wir kommen ihnen eben spielerisch nach.“ Kooperation mit Eltern, Lehren und dem Jugendamt: Wer in diese Gruppe aufgenommen wird, entscheidet sich zumeist über die Lehrer, Eltern und das Jugendamt. „Es beginnt oft damit, dass einer laufend den Unterricht stört.“ Ist ein Grundschüler „nicht mehr zu bändigen“, sucht der Lehrer das Gespräch mit den Eltern. Das Angebot, in der Gruppe mitzuwirken, wird unterbreitet. Und dann treffen sie sich alle gemeinsam. „Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Lehrern“, sagt Margitta Glöde. Sie und ihr Kollege stehen den Kindern an drei Tagen in der Woche von 11 bis 16 Uhr zur Verfügung. Eigentlich. „Ich hoffe ja, sehr bald wenigstens ein paar von ihnen wieder hier haben zu dürfen. Wir könnten uns ja auch draußen mit Abstand treffen. Ideen dafür habe ich genug.“ Mit Kindern überforderte Eltern bekommen Hilfe nur aus der Ferne: Auch die Eltern würden das begrüßen. „Sie sind oft total überfordert, wie sie mir am Telefon sagen.“ Ein Problem ist diese „Corona-Zeit“ beispielsweise für die Großfamilie Bürger aus Sieversdorf. Allein drei Kinder dieser elfköpfigen Familie stammen aus diesem Haushalt – der weder über Internet noch Drucker verfügt. „Ich weiß um diese Sorgen und Nöte Bescheid und versuche, aus der Ferne zu helfen.“ Geholfen wird den Kindern zumeist zwei, maximal drei Jahre lang. Danach sollen sie laut Fachjargon „gefestigt und gestärkt“ die Gruppe wieder verlassen können. Sie haben dann eine Tagesstruktur, die sie zuvor nicht kannten, und ein aktives Freizeitleben. „Wir haben einen Jungen schon für die Feuerwehr begeistert, einer ging zum Kegelsport, ein anderer zum Fußball. Und die Bibliothek nutzen sie alle ganz gerne.“ Als sie noch offen hatte. Nun soll aber erst mal der Konsum wieder angekurbelt werden. „Die Geschäfte öffnen, aber die Kinder bleiben zu Hause. Das regt mich zum Nachdenken an“, sagt Margitta Glöde. Und mit Blick auf ihre Gruppe: „Auch die Kinderbetreuung muss wieder in die Gänge kommen.“ Von Matthias Anke

Neustadt - Wegen Corona noch immer zu Hause: Neustädter Betreuer zunehmend ums Wohl der Kinder besorgt