Lieder statt Oper: Sara Gouzy und Daniel Nicholson begeistern beim Musiksommer in Rheinsberg

„Seit ich ihn gesehen“, zwitschert Sara Gouzy mit aller Hingabe. Die französische Sopranistin eröffnet mit Robert Schumanns „Frauenliebe und -leben“ das dritte von vier Preisträgerkonzerten, mit denen die Musikkultur Rheinsberg zumindest acht der 56 Sänger der Saison und das Publikum über das ausgefallene Opernfestival hinwegtrösten will. Kammeroper-Wiederholungstäter kennen Sara Gouzy – sie sang im Vorjahr bereits eine Hauptrolle in der Cimarosa-Oper. Und kennen womöglich auch den Schumann’schen Zyklus – er erklang bereits beim ersten Preisträgerkonzert durch die Griechin Martha Sotiriou. Sara Gouzy sang Schumann und Canteloube: Zyklen, so erklärt Georg Quander, künstlerischer Leiter der Musikkultur Rheinsberg, seien Opern nun mal am ähnlichsten – quasi durchkomponierte Geschichten, oftmals ganze Lebensgeschichten. Das bedürfe schon einer fein nuancierten Gestaltung durch die Sänger und ein gerüttelt Maß an unterschiedlichsten Emotionen. „Frauenliebe und -leben“ ist einer der wenigen Zyklen, die explizit für Frauenstimme geschrieben wurden und die weibliche Perspektive abbilden – der Faden spinnt sich vom ersten Sehnen des Mädchens nach Liebe, Hingabe, Erfüllung bis hin zum Schmerz über den frühen Tod des geliebten Mannes. Auch Franz Schuberts „Schöne Müllerin“ ist thematisch großes Kino, auch wenn der Textdichter Wilhelm Müller damals polarisierte. Die einen hielten ihn für mittelmäßig, die andern für einen frühen Heinrich Heine. Fakt ist: Schubert hat ihn nicht nur mit der Vertonung der „Müllerin“ sondern auch der „Winterreise“ quasi geadelt. Eine Stunde solistisch zu singen ist für einen Sänger Schwerarbeit: Der Zyklus aus 20 Liedern über einen wandernden Müllergesellen verlangt nicht nur, was die Länge betrifft, sondern auch in der emotionalen Bandbreite seinem Sänger einiges ab. Daniel Nicholson stürzt sich mit Vehemenz in diese Aufgabe: Mehr als eine Stunde am Stück solistisch zu singen bedeutet für einen Sänger Schwerarbeit. Der australische Bariton begibt sich mit traumtänzerischer Sicherheit auf seinen Parforceritt durch frohe Unbeschwertheit, Verliebtsein, Ungeduld, Sehnsucht, Verlangen, Hoffnung, Zweifel, Frohlocken, Glückseligkeit, Misstrauen, Eifersucht, Groll und ohnmächtigen Zorn, Wehmut, Resignation, Tränenregen und Trauer. Viel Applaus für Daniel Nicholson: Bei Müller stirbt er in seinem geliebten Wegbegleiter, dem Bächlein. Schubert lässt ihn weiter leben. „Schlaf’ aus deine Freude, schlaf’ aus dein Leid! Der Vollmond steigt – Der Nebel weicht – Und der Himmel da droben, wie ist er so weit!“ endet Nicholson und es klingt, als würde er getröstet am nächsten Tage weiter wandern, zu einer neuen Mühle, in ein neues Leben, und in eine neue Liebe. Nicholsons Stimme, der man die Anstrengung nur in wenigen Tönen anmerkt, ist bemerkenswert – geschmeidig kraftvoll in den heiteren Passagen und voller Power in der Emotion. Im ersten Lied „Das Wandern“ singt er frohgemut wie der heitere Papageno – die Rolle sang er bereits. In „Die böse Farbe“ wiederum lässt er erahnen, dass auch viel wuchtiges Wagner-Potenzial in seinem Bariton steckt. Evgeny Nikiforov brillierte am Flügel: Kurz: „Die schöne Müllerin“ geriet zum Höhepunkt des Abends und brachte Nicholson viel Beifall der rund 120 Zuhörer im Schlosshof, sogar ein paar stehende Ovationen. Die auch dem brillanten Mann am Flügel gelten – Evgeny Nikiforov leistet an den Tasten nicht minder schwere Arbeit – auch seine Partien sind anspruchsvoll und gefühlvoll-nuanciert interpretiert. Sara Gouzy hat das letzte Wort: Sie freue sich sehr, Joseph Canteloubes Lieder zu singen, schon weil er ein Landsmann ist. Aber auch, weil die Texte im heute fast vergessenen okzitanischen Dialekt der Landbevölkerung sind: „Das erinnert mich an meine Kindheit – meine Großeltern sprachen so“, sagt sie und singt Kuckuck, Spinnerin und La Pastourelle. Lesen Sie auch: Liederabend mit Martha Sotiriou und Zachary Wilson eröffnet den Musiksommer im Rheinsberger Schlosstheater Liebe, Lust und Tod: Sissi Qi Wang und Florian Zanger begeistern im Schlosshof von Rheinsberg Akademie für Alte Musik Berlin begeistert beim Rheinsberger Musiksommer Warum sich ein Besuch der Opernfilmreihe im Rheinsberger Schlosstheater lohnt Rheinsberger Musiksommer startet: mit Konzerten, Opernfilmen und einer Schau alter Theatertechnik Von Regine Buddeke