Rheinsberg: Stolpersteine für Familie Leo und andere Verfolgte

Goebbels Klumpfuß war schuld. Gewissermaßen. Der von Hitler zum Gauleiter Berlin-Brandenburgs ernannte Joseph Goebbels behauptete, dass die Fehlstellung seines Fußes durch Misshandlungen französischer Soldaten entstanden war. Das wollte sich der französische General, der die Truppe anführte, nicht gefallen lassen. Der angesehene Rheinsberger Rechtsanwalt Wilhelm Leo gewann für ihn Mitte der 1920er Jahre die Verleumdungsklage und zog sich damit den Hass des späteren Nazi-Großschergen zu – zusätzlich zu Goebbels’ grundsätzlicher Feindseligkeit gegenüber Menschen jüdischer Abstammung, wie der des Juristen. Rheinsberger kommt ins Konzentrationslager: Bereits kurz nach der Machtergreifung 1933 kam Wilhelm Leo ins Konzentrationslager Oranienburg Er wurde dort zwar mit Hilfe des Schriftstellers Ernst Wiechert wieder rausgeboxt, verlor aber seine Anwaltszulassung und floh schließlich im August 1933 mit seinem Sohn über Belgien nach Paris. Seine Frau und seine beiden Töchter folgten ihnen Ende 1934 nach Frankreich. Rheinsberg gilt als ihre letzte Adresse vor dem Leben im Exil, das zumindest für Wilhelm Leo mit Internierung, Existenz im Untergrund und einem frühen Tod 1945 endete. Am 13. Oktober werden nun vor der Villa der Familie in der Rheinsberger Dr.-Martin-Henning-Straße um 12 Uhr Stolpersteine in den Boden eingelassen: fünf kleine Messingtafeln des Künstlers Gunter Demnig, die an das Schicksal der während der Zeit des Nationalsozialismus von dort Vertriebenen erinnern sollen. Bereits im Mai sind die ersten vier Stolpersteine in Rheinsberg verlegt worden. Eigentlich sollten da auch schon diejenigen für Familie Leo dabei sein. Die Nachfahren baten jedoch um die Verschiebung des für sie wichtigen Aktes. Denn wegen der Pandemie konnten sie zu dem Zeitpunkt nicht nach Rheinsberg reisen. Genauso wenig wie Demnig, der normalerweise bei Erstverlegungen der von ihm von Hand gestalteten Steine vor Ort ist. Der Künstler, der schon über 75.000 dieser Gedenktafeln in ganz Europa ins Straßenbild eingefügt hat, wird auch im Oktober nicht nach Rheinsberg kommen, berichtet Peter Böthig, der Leiter des örtlichen Literaturmuseums, Kenner der jüdischen Geschichte Rheinsbergs und Hauptinitiator der Stolpersteinverlegung in der Stadt. Dafür umso mehr der Leos. Rund 20 Mitglieder der Familie, die auf der ganzen Welt verstreut lebt, wollen da sein. Mit dabei sind auch Wilhelm Leos Enkelin, die Historikerin Annette Leo, sowie sein Urenkel, der Schriftsteller Maxim Leo, die sich beide intensiv mit ihren Wurzeln befassen. Von Maxim Leo stammt das 2019 erschienene Buch „Wo wir zu Hause sind: Die Geschichte meiner verschwundenen Familie“. Darin: die Prinzenstadt quasi als verlorenes Paradies. Die Villa mit Garten, in der vor der Flucht Geistesgrößen der Weimarer Zeit wie Schriftsteller Alfred Döblin, Dirigent Otto Klemperer oder Philosoph Ludwig Marcuse ein- und ausgingen. Die umgeben war von Kiefernwäldern. In der es Waldmeisterlimonade und Ruderbootausflüge zur Erfrischung und Klänge am Blüthener Flügel als Hausmusik gab. „Es ist eine unglaublich berührende Familiengeschichte“, urteilt Böthig. „Maxim Leo ist ein toller Erzähler.“ Einige Passagen des Buches will dieser am 13. Oktober im Schlosstheater präsentieren. Seine Mutter Annette, die ein Buch über Wilhelm Leo vorbereitet, stellt an diesem Abend ebenfalls die Ergebnisse ihrer Familienrecherchen vor. Davor werden allerdings noch weitere vier Stolpersteine an der Uferpromenade verlegt. 1923 erwarben dort die Brüder Siegfried und Ernst Hoffmann die Villa Miralonda. 1940 wurden sie – nach zahlreichen Repressalien im Vorfeld – aus Deutschland ausgebürgert und ihr Vermögen wurde beschlagnahmt. Viele Mitglieder starben. Siegfried an Strapazen der Flucht. Seine Frau Lucie wurde in Auschwitz ermordet. Die Verlegung der Stolpersteine beginnt um 12 Uhr in der Dr.-Martin-Henning-Straße. Die Lesung über die Familie Leo findet ab 18 Uhr im Schlosstheater statt. Von Celina Aniol