Kriegsende 1945 in der Prignitz: Zeitzeugen gesucht

Eine Vitrine mit Volksempfänger, Flugblatt, Fotos und persönlichen Andenken eines Jagdfliegers – die Exponate aus der Zeit des zweiten Weltkrieges im Perleberger Stadt- und Regionalmuseum im ersten Stock sind überschaubar. Es sind zwar nur wenige Artefakte, dafür aber umso mehr Ansätze, um die Ereignisse vor 75 Jahren zu erforschen. Das soll ein auf zwei Jahre begrenztes Kooperationsprojekt zwischen der Rolandstadt und Wittenberge jetzt leisten. Wichtige Gespräche mit den Zeitzeugen von 1945: Lennart Gütschow hat sich als Museumsvolontär im Februar dieser Aufgabe angenommen. Seitdem durchforscht der 39-Jährige die Archive, sichtet den Bestand der Museen und befragt Zeitzeugen. Zunächst in Perleberg, ab 1. August dann in Wittenberge. Das tägliche MAZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Brandenburg täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach In den Perleberger Regalen warten „mehrere laufende Meter“ auf ihre Auswertung, sagt Lennart Gütschow. Hinzu kommen die für die Arbeit des Hamburger Historikers so wichtigen Gespräche mit den Zeitzeugen, die damals das Kriegsende in der Prignitz erlebt haben. Eine Handvoll Personen konnte Gütschow schon interviewen. Die Erwartungen hielten sich zunächst eher in Grenzen, zu viel Zeit ist seit 1945 ins Land gegangen. Doch die „Lage ist besser als gedacht“, sagt Gütschow nach den ersten Kontakten. Museumsprojekt teilen sich die Städte Perleberg und Wittenberge: „Betrachtet werden soll das ganze Jahr 1945“, erläutert Frank Riedel, Fachbereichsleiter in der Stadtverwaltung für Kultur, Sport und Tourismus, der im Mai vergangenen Jahres noch als Museumsleiter den Zuwendungsbescheid für die zu 50 Prozent vom Land geförderte Stelle entgegennahm. Die Unterschiede werden klar, wenn man die jeweilige Bedeutung beider Städte berücksichtigt: Hier die Industriestadt Wittenberge, dort die Garnisonstadt Perleberg. An der Elbe wurde produziert, an der Stepenitz paradiert. Infrastruktur und Lage bieten für Lennart Gütschow verschiedene thematische Ansätze und Quellen. Am 2. Mai erreichten die sowjetischen Truppen Perleberg. Einen Tag später Wittenberge. Dort hatte der „Festungskommandant“ Major Friedrich Rauterberg bereits am 12. April den Befehl gegeben, die Elbbrücke zu sprengen. Wenige Stunden zuvor hatten US-Truppen das westliche Ufer erreicht. Erinnern an das Schicksal von Albert Steinert: Diese Chronologie ist dokumentiert. Ebenso wie das tragische Schicksal des Albert Steinert, das in den 60er-Jahren bereits erforscht und veröffentlicht wurde. Der Seehausener Arzt überbrachte am 13. April ein Kapitulationsangebot der Amerikaner an die deutschen Truppen in Wittenberge, das diese als Landesverrat interpretierten und Steinert daraufhin zum Tode verurteilten. Am 14. April wurde er mit weiteren Männern auf dem Gelände des Singer-Nähmaschinenwerkes erschossen. Perleberg war geprägt durch eine fortwährende militärische Präsenz – auf dem Fliegerhorst und in den kurmärkischen Kasernen. Gräber auf dem Friedhof zeugen zudem von einem Kriegsgefangenenlager, in dem italienische Soldaten interniert waren. Wer weiß etwas über die Siegerparade in Wittenberge? Wenig erforscht ist bislang der Kontakt zwischen Russen und Amerikanern in Wittenberge. In der Lenzener Straße soll es eine gemeinsame Siegesparade gegeben haben. Fakten dazu oder gar Fotos fehlen aber bis heute in den Archiven. Wenn Lennart Gütschow im kommenden Jahr seine Arbeit beendet, Quellen gesichtet und hoffentlich neue gefunden hat, dann soll aus dem Projekt „etwas Nachhaltiges entstehen“, erklärt Frank Riedel. Neben einem Bestandsverzeichnis und einer Dokumentation sind in beiden Museen auch Sonderausstellungen geplant. Bis dahin möchte Lennart Gütschow mit möglichst vielen Menschen in Kontakt kommen, die sich an das Kriegsjahr 1945 in der Prignitz erinnern. Persönliche Gespräche und persönliche Aufzeichnungen aus dieser Zeit können helfen, die Geschehnisse für die nächsten Generationen wach zu halten. Lennart Gütschow ist telefonisch unter 03876/781 427 und per Mail an l.guetschow@stadt-perleberg.de zu erreichen. Von Stephanie Fedders

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