Im Hohen Fläming droht der Wegfall von Wahllokalen in den kleinen Orten

Die Bundestagswahl im nächsten Jahr wirft ihre Schatten voraus. Noch bevor der Wettstreit der Parteien, Listen und Kandidaten beginnt, stehen schwerwiegende Entscheidungen an. Denn es gibt Pläne, das Bundeswahlgesetz und die Bundeswahlordnung derart zu ändern, dass künftig lediglich Wahlbezirke mit mindestens 250 Stimmberechtigten zugelassen werden sollen. Das heißt: In vielen Dörfern, die nicht einmal 250 Einwohner – geschweige denn Wahlberechtigte – zählen, würde künftig kein Wahllokal mehr öffnen. „Dieser Vorschlag ist in einer Videokonferenz vom Wahlleiter vermittelt worden“, bestätigt Kerstin Kümpel. Die Leiterin des Landratsbüros von Wolfgang Blasig (SPD) ist zugleich Wahlleiterin im Kreis Potsdam-Mittelmark. Sie berichtet von einem geteilten Echo auf diese Idee. Mehr Briefwähler erwartet: Begründet wird sie unter anderem mit der Annahme, dass wegen der Covid-19-Pandemie ohnehin noch mehr Bürger auf die Briefwahl umsteigen. Bei der geringen Teilnehmerzahl vor Ort wäre die geheime Wahl nicht mehr gewährleistet, heißt es. Neuerdings schreibt die offenkundig reformierte Wahlordnung schon mal vor: Ergibt die Feststellung, dass weniger als 50 Wahlberechtigte teilgenommen haben, ist der Kreiswahlleiter zu informieren. Er ordnet dann die Auswertung in einem „aufnehmenden“ Wahlbezirk an. Für die voraussichtlich im September anstehende Bundestagswahl zeichnet dafür im hiesigen Wahlkreis 60, der von Rathenow bis Jüterbog reicht, Michael Scharf in Brandenburg an der Havel verantwortlich. Er werde sich an die zum Wahltag feststehenden Regelungen halten, heißt es auf MAZ-Anfrage. Die Auswirkungen der in Rede stehenden Änderungen auf seine Arbeit will er nicht kommentieren. Bedenken führen zu Protest: Bei den Betroffenen zwischen Havel und Fläming lösen sie, wenn überhaupt bekannt, Unverständnis, Bedenken und Protest aus. Die Gemeinde Wiesenburg/Mark ist beispielsweise in einen Brief- und 14 Urnenwahlbezirke eingeteilt. In elf davon würde das Limit nicht erreicht, berichtet die in der Gemeinde verantwortliche Wahlleiterin Kornelia Feldmann. Die Folge: Die Bürger müssten dann längere Wege zur Stimmabgabe in Kauf nehmen. Außerdem sollten die Einwohner als Wahlvorstand dann im Nachbarort mitwirken. Der langjährige Abgeordnete des Landtags Brandenburg, Dieter Dombrowski (CDU), hat in seiner Funktion als Ortsvorsteher von Bahnitz im Milower Land davon erfahren und schlägt Alarm. „Das Vorhaben der Wahlleiter ist nicht im staatsbürgerlichen Interesse und degradiert die Wahl zu einer Postwurfsendung.“ Wahlhelfer überwiegend vorhanden: Der einzige Grund, warum ein Wahllokal geschlossen bleiben könnte, wäre seiner Einschätzung nach, dass es nicht genügend Wahlhelfer gibt. „Aber das ist in unseren Dörfern, anders als in Großstädten, in denen Beamte in die Wahllokale müssen, nicht der Fall.“ Dass die Orte auf diese Weise abgehängt werden, befürchtet Ralf Rafelt. Er ist Ortsvorsteher in Groß Marzehns. Als Sprecher des Netzwerkes „Lebendige Dörfer Hoher Fläming“ will er Widerspruch einlegen. „So etwas steht absolut konträr zu den Bemühungen, als ’Parlament der Dörfer’ im Juni mehr Gewicht für die Menschen auf dem Lande zu erlangen“, sagt Rafelt. Ortsvorsteher beklagen viele Verluste: In der Stadt Treuenbrietzen werden die Ortsvorsteher regelmäßig gefragt, ob Wahlvorstände fusioniert werden sollen – auf freiwilliger Basis. „Aber das will keiner“, berichtet Helmut Theo Herbert. In Lühsdorf mit seinen bisher 36 Wahlberechtigten hat er nach eigenem Bekunden keineswegs Organisationsprobleme mit den Urnengängen. Die Folgen einer weiteren Abkehr von der Basis liegen für ihn auf der Hand: „Erst schließen die Kneipen, dann der Konsum und nun die Wahllokale. Wahrscheinlich wird überhaupt nicht bedacht, dass mit solchen Zentralisierungsprozessen genau die Freiräume entstehen, in die sich Gruppierungen begeben, die mit unserer Demokratie nichts gemein haben.“ Von René Gaffron