Massive Kritik aus Bad Belzig an der Integrationspolitik von Potsdam-Mittelmark

Benjamin Stamer nimmt nach 15 Jahren Abschied vom Infocafé „Der Winkel“ in Bad Belzig. Zuletzt war er fünf Jahre verantwortlich für interkulturelles Miteinander. Den vom Kreis Potsdam-Mittelmark finanzierten Posten füllt er nicht länger aus. Im MAZ-Gespräch zieht er Bilanz. Herr Stamer, ihre Entscheidung kommt überraschend. Dabei scheint doch das politische Klima in Bad Belzig gerade nicht so aufgeladen wie früher. Stamer: Es ist richtig, dass wir nicht mehr in der Zeit um die Jahrtausendwende sind. Damals stand rechtsextreme Gewalt auf der Tagesordnung. Vereinzelt gibt es nach wie vor Übergriffe wie 2019 auf einen Syrer. Mithin hat die Zivilgesellschaft immer Flagge gezeigt, insbesondere 2016 als die NPD häufig in Bad Belzig aufmarschiert ist. Doch die Ergebnisse zeigen, dass es mehr als zehn Prozent der Wähler in Bad Belzig den Rechten ihre Stimme geben. Für mich war aber entscheidend der Umgang mit den Flüchtlingen, wie er von der Kreisverwaltung Potsdam-Mittelmark umgesetzt wird. Was ist daran zu kritisieren? Die Strategie ist nach meiner Erfahrung nicht auf Integration, Diversität oder gar Inklusion der Flüchtlinge ausgerichtet. Sondern der Umgang mit den teils traumatisierten Menschen ist geprägt davon, ihnen Repressionen statt Hilfe zuteil werden zu lassen. Selbst zieht sich der nach seinem Selbstverständnis ja weltoffene Kreis gerade auf das Erfüllen von Minimalanforderungen zurück. Diese Entscheidungen möchte ich nicht länger mittragen und -umsetzen müssen. Warum kritisieren Sie die Unterbringung der Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften? Das ist ein System aus der Vergangenheit. Die Corona-Situation offenbart gerade, wie überholt sie ist. Selbst den geplanten Neubau in Bad Belzig halte ich für Geldverschwendung. Wenn sozialer Wohnungsbau betrieben würde, hätten alle – auch die Einheimischen – etwas davon. Welche Eindrücke haben Sie aus den Heimen? Die Bewohner vertrauen weder den Behörden noch den Sozialarbeitern. Bekannt geworden ist zum Beispiel, dass es wochenlang Probleme mit dem unhygienischen Zustand von Waschräumen und Toiletten in Bad Belzig gab. Derjenige, der den Missstand nach außen getragen hatte,wurde zu Strafdiensten verurteilt. Auch jetzt, da die Quarantäne verhängt war, haben die Sozialarbeiter lieber Pässe eingesammelt und beim Amt verlängern lassen, statt auf Sorgen und Nöte der Menschen einzugehen. Sie beklagen die Arbeitsweise der Betreuer? Es ist kein Geheimnis, dass es für zahlreiche Quereinsteiger unter ihnen schwierig ist. Die wenigsten sind fachlich hinreichend ausgebildet. Auch Fremdsprachenkenntnisse sind kaum vorhanden. Dass außerdem ein Betreiber viele Jahre braucht, um rassistische Tendenzen bei Mitarbeitern zu erkennen und dann zu handeln, gehört zur traurigen Bilanz. Wäre es für einen mutigen Charakter wie Sie nicht die Herausforderung, gerade jetzt an Ort und Stelle zu bleiben? Viele ehemalige Kollegen in diesem Feld haben die Arbeit im Landkreis Potsdam-Mittelmark nicht gut verkraftet. Sie wechselten rechtzeitig oder sind heute zum Teil nicht mehr arbeitsfähig. Dies lag in der Regel nicht an den migrantischen Klienten. Problematisch waren und sind die widrigen Umstände, in denen sie, oft nahezu auf sich allein gestellt, versuchen Schutzbedürftigen zu helfen. Zählen Sie den Abschied der Integrations- und Gleichstellungsbeauftragten des Kreises, Theresa Pauli, ebenfalls zu dieser Entwicklung? Ja, und er hat mich in meiner Entscheidung bestärkt, dort arbeiten zu wollen, wo man in Sachen Migration und Asyl nicht gegen Windmühlen kämpft. Allein die Tatsache, wie lange Landrat Wolfgang Blasig (SPD) sich Zeit gelassen hat mit der Neuausschreibung der Stelle und was sich von der beabsichtigten Struktur ablesen lässt, ist nicht anzunehmen, dass die Prioritäten zum Besseren verschoben werden. Benjamin Stamer wurde 1990 in Brandenburg an der Havel geboren und ist in Görzke aufgewachsen. Nach dem Abitur hat er Philosophie studiert war als Sozialarbeiter für interkulturelles Miteinander beim Forum Belzig angestellt, dem Trägerverein des Infocafés Bad Belzig. Die Stelle wird neu ausgeschrieben. Der 30-Jährige ist jetzt nach einer dreijährigen nebenberuflichen Erzieherausbildung als Betreuer in einem Berliner Jugendwohnhaus für geflüchtete Kinder und Jugendliche tätig. Der Arbeitsgruppe „Jüdisches Leben in Belzig“ bleibt er erhalten, weitere Ehrenämter zum Beispiel beim Verein „Echo Kamerun“, beim Lokalen Aktionsplan gibt er ab. Die Interessenvertretung müsste noch über den Integrationsbeirat erfolgen. Ein Gremium, dass der Kreistag Potsdam-Mittelmark bestimmt hat. Bei den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkünften ist keines der Mitglieder bekannt. Das Gremium ist nach wie vor auch nicht arbeitsfähig. Die Rolle hat längst die eigentlich informelle Interessenvertretung „Runder Tisch Asyl“ übernommen – als die Arbeit der Ausländerbehörde vermehrt Anlass zur Beschwerde gab. Unter dem Dach sind Leute vereint, deren Votum im Landratsamt nicht negiert werden kann. Gibt es auch positive Erinnerungen an die vergangenen 15 Jahre? Klar, deswegen fiel die Entscheidung, die Region zu verlassen, keineswegs leicht. Auf die Entwicklung vieler geflüchteter Menschen, sind wir stolz. Auch auf erfolgreiche Demonstrationen gegen die NPD, AfD und Co. in Bad Belzig, sowie Gedenkveranstaltungen, Länderabende, Workshops, Schulprojekte und mehr. Ich hatte öfter die Chance das „andere“ Potsdam-Mittelmark kennen zu lernen. Einen Landkreis mit einer vielseitigen humanistischen Zivilgesellschaft, für die es keine Rolle spielt welche Hautfarbe, welchen Glauben, sozialen Status oder gar Aufenthaltstitel die Person gegenüber hat. Welche Rolle wird das Infocafé „Der Winkel“ in Bad Belzig spielen? Die Wertschätzung, die es noch unter Bürgermeisterin Hannelore Klabunde-Quast gab, lässt nach. Dabei ist die Einrichtung vielmehr als nur ein Treff von Linken und Ausländern. Das politische Spektrum ist vielschichtiger und die Aktivitäten entsprechend breit, so dass eigentlich mehr Personal nötig wäre. Doch die Stadt ist froh, dass der Kreis meine Arbeit finanziert hat, weil er für Asyl zuständig ist. Doch würde er sich mutmaßlich wegen der lokalen Wirkung wohl lieber aus der Verantwortung stehlen. Aktuell ist in Bad Belzig sehr oft von Dialog die Rede. Das ist zu befürworten, wenn die eigene Haltung klar ist – Rassismus und Ausgrenzung nicht toleriert werden. Von René Gaffron