Reformierte Kita-Platz-Vergabe bremst berufstätige Eltern in Bad Belzig

Ab sofort gelten neue Kriterien für die Vergabe der begehrten Plätze in den Kindertagesstätten der Stadt Bad Belzig. Bislang galt, dass berufstätige Eltern bei der Auswahl einen Vorrang genießen. Das wurde von den Stadtverordneten fraktionsübergreifend einstimmig geändert – einzig Bürgermeister Roland Leisegang wollte den Status quo bewahren. Robert und Jasmin Krzewski gehören zu den Ersten, die von den Konsequenzen erfahren. „Der Zeitpunkt konnte ungünstiger und kurzfristiger kaum sein“, berichtet das Paar. Kurz vor Weihnachten und sechs Wochen vor dem geplanten Beginn der Betreuung ist ihnen mitgeteilt worden, dass ihr Sohn Liam nicht wie gedacht ab 1. Februar die Tagesstätte Tausendfüßler besuchen darf. Zunächst kein Zweifel an der Aufnahme: Dabei hatten sie sich im Oktober 2019, lange vor der Geburt am 30. Januar 2020, im Rathaus über die Voraussetzungen und Möglichkeiten der Betreuung ihres Kleinen erkundigt, erste Papiere ausgefüllt und die Angebote sondiert. Schließlich schien klar, dass der Junge die Tagesstätte Tausendfüßler besuchen soll. Mutter und Vater waren als Kinder selbst in der Einrichtung im Wohngebiet Klinkengrund. Im September war der Junge zum Kennenlernen der Gruppe dort. Wohl ist der Familie bekannt, dass in Bad Belzig derzeit ein Defizit an etwa 40 Kitaplätzen besteht. „Aber die Verwaltung hat uns immer beruhigt und bekräftigt, dass wir den Betreuungsvertrag erhalten“, sagt Jasmin Krzewski. Lediglich, dass die Lohnunterlagen zur Berechnung des Kitabeitrages lange nicht angefordert wurden, hätte die 30-Jährige vielleicht etwas stutzig werden lassen müssen. Rückkehr an Arbeitsplatz geplant: Die Bürokauffrau wollte am 1. Februar an ihren Arbeitsplatz bei einem Brücker Autoteilehändler zurückkehren. Danach sieht es momentan nicht aus. Denn alternative Betreuungsangebote sind praktisch nicht zu finden. Ehemann Robert hat als KFZ-Mechatroniker einen attraktiven Job in Borkheide. Bisher war die Berufstätigkeit von Müttern und Vätern eher ein Kriterium, nicht auf der Warteliste für einen Kitaplatz zu landen. Neben Posteingang und Wohnort des Antragstellers wurde betrachtet, ob das zu betreuende Kind das letzte Jahr vor der Einschulung – oder Geschwister – die Einrichtung besucht hat. Das alles ist nicht mehr entscheidend. Abgeordnete bestimmen Richtlinie: Denn die Stadtverordneten haben beschlossen, dass der Rechtsanspruch – also bei Erreichen des ersten Lebensjahres – des Kindes erfüllt werden soll, ohne eine Auswahl zu treffen. „Dies ist die Grundlage des Handelns der Verwaltung“, betont Roland Leisegang. Sie erteilt zwar amtliche Bescheide, dass die Familien berechtigt sind, ihre Kinder betreuen zu lassen. Darüber hinaus wird aber mitgeteilt, dass nicht alle, die sich um eine Betreuung bewerben, auch den Platz in einer städtischen Einrichtung erhalten. Mit der bisherigen Praxis konnte erwerbstätigen Eltern die Rückkehr ins Berufsleben erleichtert werden. „Es gab zwar auch unversorgte Eltern, die aber nicht im Beruf waren. Das heißt: Die Betreuung zu Hause war gegeben“, heißt es auf MAZ-Anfrage aus dem Rathaus. Benachteiligung bislang hingenommen: Genau das wollen die Parlamentarier nicht länger hinnehmen. Viele Jungen und Mädchen, gerade mit Förder- und Integrationsbedarf, beispielsweise aus Familien mit Migrationshintergrund, kommen somit nicht in den Genuss der pädagogischen Angebote in den Tagesstätten, obwohl sie diese nötig hätten. Die Folge sind Sprach- und Bildungsdefizite, hieß es zur Begründung. Ausdrücklich verzichteten die Stadtverordneten auf jegliche Debatte über verschiedene Varianten. Folgerichtig sind nach Erkenntnis der Stadtverwaltung 22 Eltern, die demnächst zur Arbeit zurückkehren wollen, unversorgt. Teilweise erhalten sie ihre Post erst in den nächsten Tagen. Indes organisieren die Betroffenen in einer Whats-App-Gruppe den Informationsaustausch über den Sachverhalt und überlegen ihren Widerstand. Protest stellt sich erwartungsgemäß ein: Die Gegenwehr kommt nicht unerwartet und ist einkalkuliert, wie Ursula Schwill (Bündnis 90/Die Grünen) bestätigt. „Aber wir wollen, dass die Gesetzeslage für alle durchgesetzt wird“, so die Vorsitzende des städtischen Bildungsausschusses. „Dabei denken wir an den Nachwuchs aus sozial schwachen Familien, bei denen bisher augenscheinlich darauf gebaut wurde, dass sie ihr Recht nicht einklagen“, sagt die Politikerin. Die jetzt laut werdenden Beschwerden bestehen demnach ebenfalls zu Recht und sollen helfen, dass die Schaffung von neuen Kitaplätzen mit Nachdruck verfolgt wird. Für Familie Krzewski bedeutet dies eine Geduldsprobe. Sie hat Widerspruch beim zuständigen Landkreis Potsdam-Mittelmark eingelegt. Im Eilverfahren wohlgemerkt hat er jetzt drei Monate Zeit zu reagieren. Lehnt er ab, weil auch er praktisch keinen Kitaplatz in Bad Belzig bereitstellen kann, muss der Rechtsweg angestrebt werden. Auf Grundlage des Urteils in einem Prozess könnte dann bestenfalls Verdienstausfall geltend gemacht werden – so die langwierige Theorie. Lesen Sie auch Bad Belzig soll neue Kita bekommen – übergangsweise in einem Container „Überfordert“: Abgeordnete kritisieren Arbeit des Bad Belziger Rathauses Von René Gaffron