Dramatischer Wasserverlust: Seddiner See wird zum Forschungsobjekt und für seine Rettung gibt es Rückenwind von der EU

Für den Versuch, den Seddiner See zu retten, gibt es jetzt Unterstützung aus der Wissenschaft und Rückenwind von der Europäischen Union. Renommierte Wissenschaftler des Zentrums für Umweltforschung UFZ Magdeburg, eine öffentlich finanzierte Helmholtz-Gesellschaft, machen den See, der dramatisch an Wasser verloren hat, zum Forschungsgegenstand. Gemeinsam mit dem privaten Institut für angewandte Gewässerökologie Seddin arbeiten sie an einer Expertise zu dem Gewässer, die im Frühjahr 2021 vorgelegt werden soll. „Eine Chance, eine neue Idee gedanklich durchzuspielen“: Jürgen Wagler, Vorsitzender des neuen Fördervereins, der als Hauptziel den Erhalt der Seddiner Seenkette in seiner Satzung verankert hat, spricht von einer einmaligen Möglichkeit, die sich mit dem Einstieg der Gewässerökologen des Helmholtz-Zentrums bietet. „Wir haben damit die Chance, eine neue Idee gedanklich durchzuspielen“, ergänzte Olaf Mietz, Leiter des Instituts für angewandte Gewässerökologie. Kreisläufe sollen wiederhergestellt werden: Konkret geht es um die Idee, entnommenes Trinkwasser nach der Nutzung gereinigt der Landschaft und dem See zurückzugeben und so Kreisläufe wiederherzustellen. Bislang wird das gereinigte Abwasser seit Jahrzehnten in die Nieplitz eingeleitet und aus der Landschaft wegtransportiert. Es landet über Kanäle und über Nieplitz, Nuthe, Havel und Elbe am Ende in der Nordsee. Lesen Sie auch: Kommentar: Gestörte Kreisläufe Ob und wie dieses Wasser künftig in der eigenen Landschaft gehalten werden kann, um die Grundwasserreserven und den Seddiner See zu stabilisieren, ist Hauptthema der Expertise. Studie könnte Blaupause für andere bedrohte Gewässer sein: Erkenntnisse der Studie werden aber weit über das lokale Geschehen hinaus von Wert sein, sagte Mietz. „Da entsteht etwas, was für viele Gegenden im Osten Deutschlands und die zukünftige Wasserbewirtschaftung dort von Interesse ist. Der Seddiner See wäre dann eine Initialzündung dafür.“ Kurzum: Die Expertise zum geschrumpften Seddiner See könnte im besten Fall so etwas wie eine Blaupause sein für zahlreiche, bedrohte Gewässer im niederschlagsarmen Nordosten Deutschlands. Lesen Sie auch: Kein Wasser mehr: Der Fresdorfer See ist verschwunden Sie sind doppelt unter Druck: Durch die Klimaerwärmung, die Verdunstungsrate und Wasserverbrauch nach oben treibt, und durch die Nutzung des Grundwasserangebots durch den Menschen. Mietz geht beim Seddiner See davon aus, dass die Ursachen für den Wasserverlust „60 bis 70 Prozent klimabedingt und 30 bis 40 Prozent nutzungsbedingt sind“. Lesen Sie auch: Aufgebrachte Bürger und ein Rettungsversuch: Der Seddiner See wühlt die Menschen auf Wie der Seddiner See gerettet werden soll Dramatischer Wassermangel: Ein Fischer verliert seinen See Vorteil: Zum Seddiner See gibt es eine gute Datensammlung: Von Interesse für die Wissenschaft ist der Seddiner See auch, weil – anders als bei vielen anderen Gewässern – die Datenlage gut ist. „Wir haben 30 Jahre lang Daten zum Seddiner See gesammelt, die wir jetzt dem UFZ zur Verfügung stellen“, sagte Mietz und fügte hinzu: „Wenn man einem Patienten helfen will, muss man ihn vorher gut untersuchen.“ Gegen den Versuch, gereinigtes Abwasser im Einzugsgebiet des Sees verrieseln zu lassen, gibt es auch Widerstände. Hauptproblem: Das Klärwerk braucht dafür zusätzliche Reinigungsstufen, die Phosphate herausfiltern und am besten auch Medikamentenreste. Rückenwind kommt von der Europäischen Union: Für Wagler stehen die Chancen dennoch besser als je zuvor, am Seddiner See ein Pilotprojekt für die Rückführung von gereinigtem Abwasser auch wirklich umzusetzen. „Es wäre das erste Mal, dass dies in Größenordnungen versucht wird“, sagte er. „Wir gehen zur Zeit davon aus, dass es funktioniert: technisch und juristisch“, sagte Mietz. Rückenwind von der EU: Rückenwind gibt es dafür aus der Europäischen Union. Laut Mietz wird für 2023 eine EU-Verordnung erwartet, die eine Rückführung von gereinigtem Abwasser unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. „Die Frage, ob es juristisch möglich ist, wäre damit schon geklärt. Es ist dann genehmigungsfähig. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen“, sagte Mietz. Eine Rückführung von gereinigtem Abwasser bliebe auch dann eine Kann-Bestimmung, er spricht dennoch von einem „Riesenschritt nach vorn“. Vor zehn bis 20 Jahren hätte man diese Idee noch nicht einmal in den Mund nehmen dürfen. „Damals hat sich keiner Gedanken darüber gemacht, dass wir mit dieser Art des Wasserumgangs gigantische Wasserexporte vornehmen“, so Mietz. Auch Experten für Aufbereitung von Abwasser sind mit dabei: Bei den technischen Fragen liegt die Hoffnung auf Experten einer anderen Forschungseinrichtung, die die Wissenschaftler des UFZ Magdeburg an ihrer Seite haben. „Diese Experten kennen sich mit der Aufbereitung von Wasser aus. Sie haben Kläranlagen in Modulbauweise auch schon in der Batterieproduktion angewendet“, sagte Wagler. Da brauche man Wasser, „das sauberer ist als das, was wir aus dem Boden holen“. Mietz geht davon aus, dass in der EU-Verordnung stehen wird, unter welchen Voraussetzungen gereinigtes Abwasser aus dem Klärwerk in die Landschaft zurückgeführt werden kann. Für ihn wird am Ende die Frage stehen: „Wollt ihr das Geld dafür ausgeben oder nicht?“ „Wasser ist ein Wertstoff“: Ohne Fördermittel für solch ein Projekt wird es nicht gehen, so viel steht bereits fest. Der zuständige Wasser- und Abwasserverband Nieplitz wird es nicht auf eigene Rechnung umsetzen. Laut Mietz werden jährlich 1,2 bis 1,3 Millionen Kubikmeter Abwasser im Klärwerk Beelitz gereinigt, das dann über die Nieplitz aus der Region wegfließt. „Wasser ist ein Wertstoff und dafür zu schade“, sagte der Institutsleiter. „Etwas besseres werden wir nicht bekommen“: Wagler geht davon aus, „dass es am Ende für uns alle teurer wird, wenn wir nichts unternehmen“. Er schlägt der Gemeinde Seddiner See vor, die Expertise der Wissenschaftler zu nutzen. „Etwas besseres werden wir nicht bekommen“, so Wagler. „Für uns ist es ein Glücksfall, dass die Daten zum Seddiner See vorliegen und sich das UFZ in der Sache engagiert und die Sicherung der Trinkwasserreserven als eine Zukunftsfrage sieht.“ Von Jens Steglich