Tauchroboter: So sah noch kein Mensch den Grund der Pritzerber Havel

In dreieinhalb Meter Tiefe tauchen sie aus dem Boden auf wie eine Reihe verfaulter Zähne. Es sind Reste uralter Pfähle, die einst von Menschenhand in den Grund der Havel getrieben wurden. Der neongelbe Tauchroboter arbeitet sich näher an die geheimnisvollen Hölzer heran. Sie sind rechteckig angeordnet und dienten womöglich schon vor Jahrhunderten am Rande des Fahrwassers als tragende Konstruktion. Nur zu welchem Zweck? Die 4K-Kamera der kabelgesteuerten Technik übermittelt und speichert gestochen scharfe Bilder von einer Unterwasserwelt, wie sie so noch kein Mensch gesehen hat. Per HDMI-Stecker wäre sogar eine Live-Schaltung über einen Beamer auf eine Großleinwand möglich. Der fast ebene Boden ist frei von Pflanzen, dafür mit Muscheln übersät. Fische sind keine zu sehen. Wenn sie sich nicht in ihre Winterquartiere verzogen haben, hat sie das Betriebsgeräusch der von acht Rotoren angetriebenen Unterwasserdrohne vergrämt. Rund 50 Meter weiter an Land steuert Carsten Muschol am anderen Ende des Signalkabels die Bedienstation. Mit zwei Joysticks kann der Pritzerber dem Tauchroboter Richtung und Geschwindigkeit vorgeben sowie zum Sinken oder Auftauchen bewegen. Die Bilder werden auf ein Tablet übertragen. So ist jeder Drohnenführer gleichzeitig Fotograf und Kameramann. Jürgen Patzlaff hat die Rolle als Helfer übernommen, der das gelbe Steuerkabel je nach Fahrtrichtung einholt oder freigibt. Als Pritzerber Ortschronist und Kapitän im Ruhestand hat Patzlaff eine naheliegende Vermutung, was die am Havelgrund entdeckten Pfahlreste anbelangt. Schmalste Stelle: „Bis 1904 befand sich gegenüber den Pfählen eine Insel. Dort war also einmal die schmalste Stelle der Havel. Gut möglich, dass das Brandenburger Domstift über seinen Burgbezirk Pritzerbe eine Abgabestation betrieb, bei der Schiffer einen Obolus für das Befahren der Havel entrichten mussten“, mutmaßt Patzlaff. Erst im späten Mittelalter wurde die Burg Pritzerbe aufgelassen. Die hölzernen Reste fast mitten im Fluss könnten demnach mehrere hundert Jahre alt sein. Für Carsten Muschol, der auch als Naturführer mit eigenem Ausflugskahn bekannt ist, sind Tauchgänge mit seiner Unterwasserdrohne zu einem neuen Hobby geworden. Solche Aufnahmen wurden erst mit der zunehmend besseren Wasserqualität möglich. „Vor 30 Jahren wäre an solche Bilder noch nicht zu denken gewesen“, berichtet der Pritzerber. Vor allem in den Wintermonaten verbessert sich die Sichttiefe der Havel deutlich. Bei einfallender Sonne lassen sich auch größere Tiefen beobachten. Wenn das natürliche Licht doch mal nicht reicht, kann der Drohnenführer zwei LED-Scheinwerfer zuschalten. Die Anschaffung hat Muschol jedoch nicht nur zum Zweck der Erkundung des Havelgrundes getätigt. Auch kommerzielle Einsätze sind möglich. Im Potsdamer Yachthafen hat der Pritzerber bereits erste Unterwasserinspektionen an Booten vorgenommen. Aufträge für die Sichtung wasserbaulicher oder fischereilicher Anlagen sind ebenso vorstellbar. Auch bei Rettungseinsätzen zur Personensuche im Wasser oder unter Eisflächen kann Muschol mit seinem tragbaren Tauchroboter schnell zur Stelle sein. Als Zusatzgerät will er sich einen Greifarm anschaffen, der an eine von zwei Traversen montiert werden kann. „Damit zieht man zwar kein Fahrrad aus dem Wasser, aber es lässt sich eine Nylonschnur zur Bergung um jeden Gegenstand wickeln“, erklärt der Drohnenführer. Doch die Tauchfahrt zu den Unterwasserpfählen wird nicht die letzte Reise in die Pritzerber Geschichte gewesen sein. Von Frank Bürstenbinder