Erstes Amtsjahr in Corona-Zeiten: Michendorfs Bürgermeisterin Claudia Nowka über schwere Entscheidungen und emotionale Momente

Vor einem Jahr hat Claudia Nowka (Bündnis für Michendorf) das Amt als Bürgermeisterin übernommen. Es wurde ein ungewöhnliches Jahr. Frau Nowka, ausgerechnet im ersten Jahr als Bürgermeisterin bricht eine Pandemie aus und vieles ist nicht mehr so wie es war. Wie erleben Sie diese Zeit? Claudia Nowka: gerade jetzt vor Weihnachten ist es kraftraubend, weil positive Testergebnisse häufiger festgestellt werden und Partner, mit denen man zusammenarbeitet, auch erschöpft sind. Vielen fehlt die Aussicht auf ein Ende der Pandemie. Diese Zeit zeigt aber auch, wie eng Menschen symbolisch gesehen zusammenrücken können. Man besinnt sich auf Werte, die vorher nicht mehr so präsent waren, zum Beispiel auf Solidarität. Wir achten mehr aufeinander und die Frage – wie geht es dir? – ist jetzt wirklich ernst gemeint. Wir besinnen uns auf Dinge, die im Alltag verloren gegangen waren. Nicht zu vergessen ist aber die Existenzangst, die einige haben. Im Moment habe ich das Gefühl, im Frühjahr zu Pandemie-Beginn war die Solidarität größer. Die Unzufriedenheit wird größer, je länger es dauert. Sicher auch bedingt durch die graue Jahreszeit, in der die Sonne kaum scheint und es schnell dunkel wird. Viele fühlen sich aber auch ausgelaugt. Ich merke es bei meinen Mitarbeitern, gerade auch in den Kitas. Sie sind jetzt einfach erschöpft. Wer hat Ihre Kinder betreut, als im Frühjahr Kitas und Schulen geschlossen waren? Meine Kinder sind zwölf und 16 Jahre alt. Ich bin froh, dass sie schon groß und sehr selbstständig sind und ihr Homeschooling gut bewerkstelligen. Ich habe auch große Unterstützung von meinem Mann. Er macht jetzt das Abendbrot, weil ich oft zu der Zeit noch nicht da bin. Montags bis donnerstags habe ich meine Kinder meist nur zum Frühstück gesehen. Was war Ihr emotionalster Moment in diesem Jahr? Der emotionalste Moment war das Anschalten der Weihnachtsbeleuchtung am 26. November in der Potsdamer Straße. Es lief Weihnachtsmusik und Menschen haben geklatscht und gesungen. Jeder, dem man begegnete, hat gelächelt. Manche sagen, die 44 000 Euro hätte man besser für anderes ausgegeben. War es das Geld wert? Für mich und viele Michendorfer war es das wert – als Lichtblick für dieses Jahr und als Zeichen für eine Entwicklung in der Gemeinde. In unseren Nachbarkommunen gehen die Weihnachtslichter jedes Jahr an, nur bei uns war es vorher dunkel. Es war ja auch eine Investition in die Erstausstattung, die wir jetzt in den nächsten Jahren nutzen können. Gibt es Entscheidungen, die Sie ungern getroffen haben? Es gab Personalentscheidungen, die mir schwergefallen sind. Auch oder gerade in einer Zeit der Pandemie muss die Verwaltung ihre Aufgaben wahrnehmen und ich muss richtige Entscheidungen treffen. Haben Sie Mitarbeiter entlassen? Wir haben uns dieses Jahr auch von Mitarbeitern trennen müssen. Aus Achtung vor der ehemaligen Kollegin oder dem ehemaligen Kollegen und aus Datenschutzgründen kann ich dazu nicht mehr sagen. Ich muss als Führungskraft Personalentscheidungen treffen und trotzdem bin ich auch Mensch. Insgesamt sind wir zu einem tollen Team zusammengewachsen. Wir haben auch viele neue Kollegen, die sich wohl fühlen und neue Ideen einbringen. Haben Sie Entscheidungen bereut? Nein. Ich wäre bei einigen Projekten aber gern weiter. Ich hätte zum Beispiel zum Kreisverkehr an der Luckenwalder und Potsdamer Straße gern eine Entscheidung, von der eine Mehrheit sagen kann: Das kann ich nachvollziehen. Ich wäre auch gern mit dem Bebauungsplan für das Gewerbegebiet an der Feldstraße weiter. Schwierig wird es auch in der Frage, wie es nach 2022 mit der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge weiter geht. Auch dort versucht man, mehrere Interessen unter einen Hut zu bekommen: Was möchte Michendorf und was will der Landkreis, dem die Unterkunft gehört? Was möchten Sie? Ich möchte der Verantwortung, die die Gemeinde bei der Unterbringung von Flüchtlingen trägt, gerecht werden. Aber was darüber hinaus geht, wirft die Frage auf, inwieweit Michendorf in der Lage ist, die soziale Infrastruktur für so viele Menschen zu schaffen. Man wünscht sich eine Unterbringung von Flüchtlingen, die Perspektive hat. Nur ein Übergangswohnheim zu haben, schafft für uns und die Menschen im Haus keine Perspektive. Sie arbeiten viel und sollen vieles auch selbst erledigen. Haben Sie keine Furcht davor, dass dieses Pensum irgendwann zu viel sein könnte? Ich arbeite wirklich gern und habe schon immer viel gearbeitet. Trotzdem ist mir klar, dass das Pensum von diesem Jahr nicht dauerhaft zu leisten ist. Es ist aber auch ein Ausnahmejahr in Pandemie-Zeiten, das fordert alle Bürgermeister. Ich wollte Ziele, die wir haben, trotzdem weiterverfolgen. Ich bin auch ehrgeizig, das weiß ich. Ich habe mit meinem Leitungsteam große Unterstützung, die Kolleginnen achten darauf, dass über Weihnachten mein Rechner mal ausbleiben kann. Die Gemeindevertreter haben mehrheitlich die Konzeption der Papenburg AG für die neue Ortsmitte abgelehnt. Wie geht es jetzt weiter? In dem Beschluss ist auch festgelegt, dass es eine Arbeitsgruppe geben soll. Dazu werde ich noch im Januar einladen. Mit der Papenburg AG sind ebenfalls Gespräche im Januar vereinbart. Es gibt zudem die Überlegung, bei der Frage der Gestaltung der Ortsmitte einen Dritten hinzuziehen, der als Experte vielleicht neue Ideen einbringen, aber auch vermitteln kann. Haben Sie keine Furcht davor, dass so kurz vorm Ziel der Traum vom neuen Ortszentrum platzt? Nein. Ich bin ein optimistischer Mensch und weiß, dass ich in guten Gesprächen bin. Ich denke, es gibt für jedes Problem eine Lösung. Es besteht von beiden Seiten das Interesse, es nicht zu einem Stillstand kommen zu lassen. Es geht im Kern um die Ausgestaltung des Dachgeschosses bei den vierstöckig geplanten Häusern. Ist das den Konflikt wert? Ja. Wir leben hier und wollen ein ansprechendes Ortszentrum haben, in dem man gern verweilt. Wir schaffen etwas für die Zukunft. Es ist eine Gratwanderung zwischen Ideal und dem, was wirtschaftlich ist. Michendorfs Mitte soll aber nicht aussehen wie ein Neubauvorort von Berlin. Sie haben noch mindestens sieben Jahre vor sich. Was wollen Sie als Bürgermeisterin noch erreichen? Ich möchte eine einladende Ortsmitte und tatsächlich auch ein neues Rathaus, das modernes Arbeiten und ein Zusammenwachsen der Verwaltung ermöglicht. Wir brauche auch eine gesunde Infrastruktur, die uns finanzielle Spielräume ermöglicht. Dafür brauchen wir Gewerbestandorte. Wir reden da über Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Die Gemeinde benötigt auch ein zukunftsträchtiges Konzept zur Mobilität und wir wollen ausreichend Kita- und Schulplätze anbieten können. Wichtig ist, dass wir uns trotz des Wachstums die Besonderheiten erhalten. Die Menschen sollen sich mit ihrer Gemeinde identifizieren und auch bereit sein, an die Gemeinschaft zu denken. Es gibt Menschen, die in Ämtern die Bodenhaftung verlieren. Haben Sie ein Mittel, das Sie davor bewahrt? Ich habe einen sehr guten Freundeskreis, der dafür Sorge tragen wird, dass mir das nicht passiert. Mir ist wichtig, dass ich nicht nur Bürgermeisterin bin, sondern auch der Mensch Claudia Nowka. Wenn ich auf dem Sportplatz bin, dann bin ich dort, weil meine Jungs Fußball spielen und nicht als Bürgermeisterin. Derzeit können sie leider nicht auf den Fußballplatz. Ich bin angetreten für die Sache, weil ich will, dass sich die Gemeinde entwickelt. Ich war vorher bei der Bundespolizei in einer Führungsposition ebenfalls zufrieden und glücklich. Die Option der Rückkehr nach der Amtszeit ist befreiend, ein Klammern am Amt nicht erforderlich. Ich mache es aber sehr gerne, meistens jedenfalls. Wann ist das nicht so? Wenn verbale Angriffe persönlich werden und nicht sachlich und nicht nachvollziehbar sind. Das macht diese Arbeit manchmal hart. Haben Sie einen persönlichen Wunsch fürs nächste Jahr? Mehr Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie zu verbringen und auch Kunst und Kultur wieder genießen zu können und Zeit für Sport zu haben. Auf dem Fußballplatz würde ich gern meinen Söhnen wieder zuschauen. Und ich wünsche mir, dass wir alle gesund bleiben. Claudia Nowka wurde 1977 in Berlin-Mitte geboren und wuchs in Berlin-Pankow, Cottbus und Frankfurt (Oder) auf. Nach Michendorf zog sie mit ihrer Familie im Jahr 2009. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne im Alter von zwölf und 16 Jahren. Sie studierte Rechtswissenschaften und ist Volljuristin. Bevor sie im Dezember 2019 Bürgermeisterin der Gemeinde Michendorf wurde, arbeitete Claudia Nowka als Referatsleiterin im Bundespolizeipräsidium Potsdam. Bei der Bürgermeisterwahl trat sie für das Bündnis für Michendorf an und setzte sich mit 70,5 Prozent gegen Martin Kaspar (SPD) durch. Von Jens Steglich