"Frau Feinkost" verlässt Rehbrücke - ihr Laden war mehr als ein Geschäft

Wenn Ute Lorenz zu erklären versucht, was mit ihr und ihrem Geschäft gerade geschieht, zitiert sie gern Beatles-Legende John Lennon: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Ein langgehegter Plan von ihr war es jedenfalls nicht, im Mai 2020 ihren Heimatort Bergholz-Rehbrücke zu verlassen. „Ich bin dann mal woanders“, sagt sie. Die 56-Jährige, die sich in Nuthetal auch als Gemeindevertreterin engagierte, wagt den Neuanfang – in Dresden, wo sie künftig leben wird. Komplett ist der Neustart freilich nicht: Sie nimmt ihren Feinkostladen mit den italienischen Spezialitäten gleich mit und eröffnet ihn am 4. Juni wieder – am Weißen Hirsch in der Stadt, die wegen ihres italienischen Flairs Elbflorenz genannt wird. „Ich brauche meinen Laden. Er ist mein Lebenselixier und mein zweites Kind“, sagt sie. Wer an erster Stelle steht, hat sie schon im Jahr 2000 gesagt, als sie ihr Geschäft eröffnete und die Tochter, die damals noch in die Kita ging, die bange Frage stellte: „Wie willst du das alles schaffen?“ Die Mutter antwortete: „Tizia, du bist für mich immer die Nummer eins!“ Sie kann beides: Offene Worte und das vertrauliche Gespräch: Ute Lorenz hat ein Faible für besondere Namen. Ihre Tochter nennt sie Tizia, was lateinisch ist und „Freude“ heißt und ihr Geschäft tauft die Frau, die Italien mag, Modo di Vivere, was man mit dem Wort „Lebensart“ übersetzen kann. Ihr Feinkostladen in Rehbrücke ist mehr als ein Geschäft. Er ist ein Treffpunkt, den Freunde Italiens genauso schätzen wie die Fans von Ute Lorenz, die beides kann: Offene, mit Humor gespickte Worte und das vertrauliche Gespräch. Die meisten Stammkunden mögen beides: das südländische Flair und den herzlichen Ton. Zwischen Weinen, Olivenölen, Käse und Schinken wird geschwatzt, gelacht und manchmal auch geweint. Oberstes Gebot ist dabei Diskretion: „Was hier gesprochen wird, muss auch hier bleiben.“ Ein bisschen Traurigkeit ist dort, wo sonst Freude dominiert, in den vergangenen Wochen schon eingezogen. Zwischen manchem Stammgast und ihr ist Freundschaft entstanden. Am 15.Mai wird sie das Geschäft im „Springbruch“ das letzte Mal aufschließen, um es danach in einem Jugendstilhaus in Dresden am 4. Juni wieder zu eröffnen. „Mir werden die Leute fehlen, die mir hier ans Herz gewachsen sind“, sagt sie. Dass alles so gekommen ist, nennt die 56-Jährige Schicksal und auch ein großes Glück. Mehr will sie nicht verraten. Andreas Chalupka, ein Stammgast, drückt es mit ihrer Erlaubnis so aus: „Es ist eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die Nähe eines neuen Herzens.“ „Wenn ich einmal die Woche die Schnauze voll habe, gehe ich hierher“: „Wir lassen sie mit Tränen gehen, der Liebe wegen“, sagt Markus Boese, auch ein Stammkunde. Ein Glas Wein und ein guter Schwatz mit Ute Lorenz gehörten für ihn irgendwie zum Leben dazu. „Wenn ich einmal in der Woche die Schnauze voll habe, gehe ich hierher“, sagt er. Boese, der Enkel des Gründers der Caputher Gummiwerke, kennt die Rehbrückerin noch aus Caputher Zeiten. „Wir sind in die gleiche Schule gegangen.“ Die Feinkostladenbetreiberin stammt aus der bekannten Caputher Gastronomie-Familie Müller. Ihr Urgroßvater hatte den Müller-Hof, der im Ort heute noch ein Begriff ist, 1889 gegründet. Die Urenkelin, die früh eigene Wege gehen will, lernt zu DDR-Zeiten Kellnerin – im Potsdamer Terrassen-Restaurant Minsk. Später verschlägt es sie in die Feinkostbranche. Sie arbeitet erst in Berlin und später in Hamburg. Als ihre Tochter geboren wird, stellt sie das Pendeln ein und zieht zurück in die Heimatregion – nach Bergholz-Rehbrücke, wo sie 2000 den eigenen Feinkostladen eröffnet. Sie sieht danach viele Ladeninhaber in der Geschäftsstraße kommen und gehen. Ihr Laden blieb. Auch in Bergholz-Rehbrücke wird es weiter gehen: Nach dem Entschluss, nach Dresden zu gehen, hat sie darum gekämpft, dass es auch in Rehbrücke weiter geht. Für die Geschäftsräume dort interessierten sich eine Bestattungsfirma und „ein Sommelier aus dem KaDeWe“. „Er hatte viel Verstand, aber wenig Herz“, sagt Ute Lorenz und spricht von einer guten Fügung, die sich danach ergab. „Eine junge Fachkollegin eröffnet am 11. Juni das Geschäft wieder und schreibt an einer neuen Geschichte“, sagt sie. Mehr werde noch nicht verraten. Nur noch so viel: Im Rehbrücker Laden wird es weiter allerlei Köstlichkeiten geben und Dresdner Stollen. Von Jens Steglich

Bergholz-Rehbrücke - „Frau Feinkost“ verlässt Rehbrücke und nimmt ihren Laden mit – er war mehr als ein Geschäft