"Die Sandbänke sind keine Strände": Besucheransturm am Seddiner See zerstört geschütztes Biotop

In Corona-Zeiten entdecken viele Menschen die Natur wieder. Sie zieht es raus in die herrlichen Landschaften in der Umgebung, um der engen Stadt und dem Corona-Blues für ein paar Stunden zu entkommen. Viele Stadt-Flüchter, aber auch Einheimische lassen sich bei schönem Wetter am Seddiner See nieder. Seit er massiv an Wasser verloren hat, sieht er auch noch aus wie eine kleine Ostsee. Die freigelegten Sandbänke sind keine Strände: Die durch den Wasserverlust freigelegten Sandbänke sind aber keine Sandstrände, auf denen man Sonnenschirme aufspannt, Feuer anzündet oder Fußball spielt. Sie sind Teil einer Schutzzone und eines Landschaftsschutzgebietes und Lebensraum für Kleintiere, Mikroorganismen, Pflanzen und Vögel. Was viele Besucher nicht wissen oder trotz Beschilderung nicht wissen wollen: Der Seddiner See und seine Uferbereiche sind ein geschütztes Biotop. Normalerweise dürfen dort die markierten Wege nicht verlassen werden und das Seeufer ist nur an den ausgewiesenen Badestellen zu betreten. Viele halten sich nicht daran. In Corona-Zeiten hat der Ausflugsverkehr enorm zugenommen: „Seit dem Corona-Frühjahr 2020 hat der Ausflugsverkehr bei schönem Wetter enorm zugenommen“, sagt Seddins Ortsvorsteher Hartmut Schäfer. „Wenn die Leute auf den ausgewiesenen Wegen bleiben würden, wäre das nicht schlimm. Dann wären sie auch herzlich willkommen“, so Schäfer. Stattdessen leidet der See, der schon mit einem dramatischen Wasserverlust zu kämpfen hat, seither auch noch unter verstärktem Besucherandrang. Lesen Sie auch: Wie der Seddiner See gerettet werden soll Dramatischer Wassermangel: Ein Fischer verliert seinen See Immer weniger Wasser: Herr Zinke, ist Ihnen der Seddiner See egal? „Die durch den Grundwasserrückgang entstandene Rundherum-Strandpromenade wird von Auswärtigen und Einheimischen exzessiv genutzt, wahlweise mit Hunden, Pferden, Cross-Motorrädern und Quads. Kunstvoll ausgestaltete Labyrinth-Pfade durch das Schilf, Müll und Hundekot zeugen vom Unverständnis der sich ’Erholenden’ für ein gutes Miteinander von Natur und Mensch“, sagt Wildenbruchs Ortsvorsteher Günther Schiemann, der jüngst zu einem Treffen eingeladen hatte, bei dem über Gegenmaßnahmen beraten wurde. „Wir müssen aufklären. Die meisten wissen gar nicht, was sie da anrichten“, so Schiemann. Das Schilf hat keine Chance mehr, dem See zu folgen: Das Schilf zum Beispiel, das dem zurückweichenden Wasser normalerweise zeitversetzt folgen würde, hat dafür keine Chance mehr, wenn die neuen Wurzeln und jungen Sprossen niedergetrampelt werden, sagt Jürgen Wagler, Vorsitzender des Fördervereins Seddiner See. „Der Uferschutz ist kein Selbstzweck. Es geht hier um die Erhaltung des Sees. Schilfgürtel sind ein wesentlicher Faktor der Gewässergesundheit“, so Wagler. Durchs Schilf führen inzwischen viele Trampelpfade. Und weil die Gaststätten im Seeumfeld coronabedingt geschlossen sind, gibt es für den Notfall auch keine Toiletten. „Wenn jemand seine Notdurft verrichten will, geht er ins Schilf – mit dem vollen Programm“, erzählt Mirko Pierdzig vom Förderverein. Wo Bodenbrüter ihre Ruhe haben sollen, hocken Menschen im Schilf: Dort also, wo normalerweise Bodenbrüter ihr ungestörtes Terrain haben sollen, hocken Menschen im Schilf und hinterlassen Dinge, die an keinen See und auch sonst nicht in die Landschaft gehören. Pierdzig erzählt auch, dass ein Sessel gefunden wurde, aus dem die Sitzfläche herausgenommen und mit einem Toilettendeckel bedeckt wurde. Da hat sich ein Gast im Biotop aus dem Sitzmöbel ein komfortables Klosett gebaut. „Wir können derzeit wegen Corona offiziell keine Toiletten aufstellen“, sagt Pierdzig, den vor allem eins aufregt: „Es ist ein gesetzlich geschütztes Biotop und die Leute rennen hier rein, als wäre es ein Ferienressort.“ Dieses Jahr gab es den ersten großen Gästeandrang schon im Februar, als die Sonne die Temperaturen nahe an die 20 Grad steigen ließ. Der nächste Ansturm wird Ostern erwartet. „Man wünscht sich zwar schönes Wetter. Regen oder Schnee zu Ostern würde dem See aber besser bekommen“, so Wagler. „Der Schilfgürtel ist schon stark geschädigt. Noch ein Jahr Corona-Ausflugsansturm und es ist nicht mehr viel übrig von ihm“, sagt er. Auf Einladung von Wildenbruchs Ortsvorsteher Günther Schiemann haben sich jüngst Vertreter der Seeanlieger-Gemeinden, der Ortsteile, Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde und des Naturparks Nuthe-Nieplitz getroffen, um über Uferschutz und Besucherlenkung zu beraten. Vereinbart wurde, offizielle Wege etwa mit Totholzhecken und Schildern so zu gestalten und zu kennzeichnen, dass sie als markierte Pfade erkennbar sind. Geplant sind am 27. März und 10. April Gemeinschaftsaktionen für den Uferschutz. Zudem sollen Besucher mit Flyern und Info-Tafeln über den besonderen Naturraum aufgeklärt werden. Von Jens Steglich