Corona-Seelsorge: „Ich mache mir weniger Sorgen um heute als um danach“

Martin Bindemann ist Diakon der evangelischen Kirchengemeinde St. Andreas Teltow. Unter Leitung des Gemeindepfarrers Arndt Klemp-Kindermann kümmert er sich um seelsorgerische Belange der Gemeinde. Als Nachbarschaftshilfe hat er bereits ein offenes Ohr angeboten. Mit wie viel Bedarf rechnet der Kirchenmann in nächster Zeit? Wir haben mit ihm gesprochen. Herr Bindemann, Sie haben aktiv angeboten, den Menschen jetzt besonders zuzuhören. Besteht ein besonderer Bedarf? Martin Bindemann: Ich vermute das, aber bisher hat noch niemand angefragt. Doch wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, kann ich mir schon vorstellen, dass es für den einen oder anderen Rede- oder Zuhörbedarf gibt. Wann denken Sie, wird das sein? Fast alle müssen mit den Gegebenheiten erst mal klarkommen. Dass die Kitas und Schulen zu sind, das sind zum Beispiel Einschränkungen, durch die unsere eigenen Strukturen lahmgelegt werden. Wenn dann in drei oder vier Tagen die Menschen merken, dass das Leben weitergeht, dass die Versorgung sichergestellt ist, dann wird es auch Bedarf zum Gespräch geben. Und neben anderen steht dann die Kirche zur Verfügung. Ich mache mir aber weniger Sorgen um heute als um danach – wenn es zum Beispiel um Jobs oder um Familien in Notsituationen geht. Wie wird sich denn die Seelsorgearbeit verändern? Es wird eher eine indirekte Kommunikation geben, per Telefon oder E-Mail. Es wird ja alles darauf angelegt, die Sozialkontakte brachzulegen – was ich gut finde. Die Hysterie finde ich nicht gut. Auch die Kirche hat ihren Betrieb ja sozusagen eingestellt. Wir arbeiten natürlich noch, aber ohne direkte Kontakte. Denken Sie, dass sich auch die Themen ändern werden? Bestimmt. Wenn man so auf Null geschoben wird, merkt man ja auf einmal, was auch innerlich liegen geblieben ist. So haben sich Familien, die sich sonst morgens immer getrennt haben, jetzt plötzlich den ganzen Tag auf engem Raum. Ich kenne das auch aus der Willkommensinitiative, in der ich mitarbeite: Wenn in den Heimen die Emotionen auf engem Raum zusammenstoßen, wird es schwierig. Worin sehen Sie das Problem? Dass man ein Stück Selbstbestimmung abgibt – und zwar nicht freiwillig. Wer einen Garten hat, hat es da noch etwas besser, der findet noch was zu tun. Anders ist das, wenn man in der kleinen Mietwohnung quasi einkaserniert ist. Es wird ein bisschen darauf ankommen, wie gut wir die Lücke für uns nutzen. Machen Sie sich Sorgen um die Familien? Die persönlichen Folgen, die sich daraus ergeben können, machen mir schon Sorgen. Ehekrisen, Scheidungen und häusliche Gewalt – das kommt immer vor. Aber was ist, wenn das massiv auftritt, weil die Leute so strapaziert sind, weil sie einfach nicht mehr anders können? Denken Sie, es wird zunehmende Vereinsamung geben? Damit rechne ich nicht. Ich glaube zwar schon, dass wir ein paar Problemfälle haben, zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen. Aber das wird von den Pflegepersonen abgefangen. Wir reden ja hoffentlich von keiner allzu langen Zeit. Und wenn jemand alleine lebt, dann kennt er das ohnehin schon. Und sonst sind Nachbarschaftssituationen gut. Was ist mit der Angst vor Corona selbst? Ich nehme an, die Angst vor der Krankheit wird bei älteren Menschen auch Thema sein. Aber bei jenen, die nicht zur unmittelbaren Risikogruppe gehören, spielen ganz andere Sachen eine Rolle, zum Beispiel, sich selbst zu beleuchten. Man weiß ja auch nicht, wie lange es so weitergeht – die Unsicherheit wird da sicher zunehmen. Wie würden Sie damit umgehen, wenn jemand mit Sorgen zu Corona zu Ihnen käme? Ich würde über Fragen versuchen, die Sorgen erst einmal aussprechen zu lassen, ohne dass ich das werte. Wer die Sorge hat, für den ist es auch eine Sorge. Ich würde es mir anhören, mich reinfragen, mich einzufühlen versuchen. Und dann – das hängt von der Situation ab – vielleicht gemeinsam ein Gedicht lesen oder ein Gebet sprechen. Ich glaube, dass die anonymen Brief- und E-Mail-Seelsorgen viel mehr Zulauf bekommen. Bei mir, das ist ja keine anonyme Situation. Welche Auswirkungen auf die Gesellschaft erwarten Sie? Ich denke, dass es sich auf jeden Fall auf uns als Kirchengemeinden auswirken wird. Wir werden in den nächsten Monaten Lebensschicksale miterleben: Im Gaststättengewerbe tätige, Selbstständige, Kleinunternehmer, die vor dem Aus stehen, Künstler, die von Gagen leben, Menschen, die in den Bereichen Catering, Bühne, Licht und so arbeiten. Ich denke aber, dass die Idee mit den versprochenen Unterstützungen ganz gut ist. Ich glaube, da wird es auch Häfen geben. Von Konstanze Kobel-Höller

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