Corona: Elternbeirat fordert Gebührenerlass und Kita-Öffnungen in Potsdam-Mittelmark

Daran gewöhnen kann und will sich Doreen Recknagel nicht: Die Werderanerin ist im Vorstand des Kitaelternbeirates von Potsdam-Mittelmark und erledigt Zuhause seit sieben Wochen zwei Jobs: die Leitung ihrer Abteilung in einer Firma der Automobilbranche und die Erziehung ihrer beiden Söhne, drei und sechs Jahre alt. Ihr Mann hilft. So wie die Recknagels aus Glindow sind viele Eltern von kleineren Kindern inzwischen am Ende ihrer Kräfte angekommen. Jetzt haben sie eine Petition ins Netz gestellt, mit der sie sich Gehör im Kreistag verschaffen wollen. Bislang haben sie ein Fünftel des benötigten Quorums erreicht. Zu Beginn der Kita-Schließzeit sprach die MAZ bereits mit der Elternsprecherin über ihre Lage, mit der Erweiterung der Kita-Notbetreuung haben wir sie jetzt wiedergesehen. Frau Recknagel, wie geht es Ihnen heute? Doreen Recknagel: Es knackt an allen Ecken und Enden. Mit der Herausforderung, zwei sehr verantwortungsvolle Jobs unter einen Hut zu bringen und dabei allen gerecht zu werden, müsste ich 18 Stunden am Tag arbeiten. Viele Eltern haben sich mit ihren Sorgen an mich gewandt. Auch ich fürchte mich vor einem Burnout, also krank zu werden wegen Überarbeitung oder Existenzsorgen, wenn der Arbeitsplatz bedroht ist. Wenn mein Mann aus beruflichen Gründen nicht mehr halbtags arbeiten kann, was dann? Kinderbetreuung durch die Großeltern oder Babysitter entfällt. Wir halten uns an die vorgeschriebenen Kontaktsperren. Doreen Recknagel, 38, ist Diplom-Kauffrau und gebürtige Werderanerin. Die Interessen von Kindern zu vertreten ist ihr Anliegen. Seit 2015 ist sie ehrenamtliche Elternvertreterin. Angefangen im Ausschuss der Kita „Anne-Frank“ hat Recknagel bereits 2018 den Kita-Elternbeirat im Kreis auf die Beine gestellt - ein Jahr bevor 2019 der Gesetzgeber die Beteiligung festgeschrieben hat. Der Kita- Elternbeirat muss vor Beschlüssen des Landkreises angehört werden. Die Petition an den Kreistag läuft bis Ende Mai. Dann müssen für das notwendige Quorum 1900 Unterschriften von Potsdam-Mittelmärkern zusammengekommen sein. Die online-Petition sowie die Forderungen und ausführlichen Begründungen findet man auf der Internetseite des Beirats. Zudem erhalten Eltern hier offizielle Informationen und Anregungen in Corona-Krisenzeiten. Was wollen Sie mit ihrer Petition erreichen? Wir wollen, dass sich Politiker mit unserer Lage beschäftigen. Wer keine kleinen Kinder hat, kann sich die aktuelle Not von Eltern und Kindern vielleicht gar nicht vorstellen. Unsere Forderungen sind an den Landkreis gerichtet. Der Umgang mit Kita-Gebühren ist in den Städten und Gemeinden unterschiedlich. Bisher hat der Kreis nur für den April Gebühren erlassen. Jetzt muss es heißen: Allen so lange die Gebühren zu streichen, bis sie wieder Leistungen nutzen können. Schließlich steigen für Eltern die Kosten, wenn ihre Kinder zuhause bleiben. Zudem muss Home-Office als vollwertige Arbeit anerkannt werden und nicht als Zeit für zumutbare Kinderbetreuung. Wir haben Eltern, die machen von zuhause aus Krankenhaus-Abrechnungen. Das ist zwar systemrelevant, aber weil sie zuhause arbeiten, haben sie kein Recht auf Notbetreuung. Das ist enorm ungerecht. Was könnte man konkret sofort verbessern? Wir Eltern sehen ja ein, dass alle Maßnahmen, die die Ausbreitung des Virus verhindern, sinnvoll sind. Aber unsere Kinder sind jetzt seit sechs Wochen zuhause. Selbst bei Sonntagsausflügen mit dem Fahrrad durch Glindow nehmen wir nur die Schleichwege, nicht den Panoramaweg. Verabredungen haben wir eingestellt. Warum dürfen unsere Kinder dann nicht wenigstens stundenweise in die Kita? Unser Ältester vermisst nicht nur seine Freunde in der Anne-Frank-Kita, er braucht pädagogische Betreuung für den Übergang zur Schule. Die Notbetreuung ist zutiefst ungerecht. Die Kinder sagen jetzt untereinander „guck mal, deine Eltern haben den falschen Beruf“. Die Kinder leiden unter der Isolierung? Ja, die Kinder müssen es ausbaden. Sie sind nicht ausgelastet. Als wir am Wochenende ihre Oma auf der Insel besucht haben, um selbstgenähte Mundschutzmasken vorbeizubringen, hätte ich es fast nicht geglaubt, dass es eine Kontaktsperre gibt - so viele saßen zusammen. Das frustriert Eltern und ihre Kinder, die sich an die Verordnung halten. Denkt an die Kinder und welche Opfer die jetzt bringen müssen, möchte ich denen dann sagen. Was belastet sie als Familie zurzeit am meisten? Der Gedanke, dass die Kitas schrittweise geöffnet werden und die Kinder dabei ungleich behandelt werden. Von 170 Plätzen in der Anne-Frank-Kita sind 80 wieder vergeben. Zehn Gruppen mit je einer Erzieherin oder einem Erzieher besuchen die Kinder, es soll so wenig wechselnde Kontakte wie möglich geben. Wie soll das bei einem 10,5-Stunden-Tag mit Früh- und Spätschicht funktionieren? Vieles ist halbherzig gemacht. Wir wünschen uns, mehr mitreden zu können und flexible Lösungen für alle Kinder. Lesen Sie auch: Wegen Corona: Eine Werderanerin erzählt, wie sie Familie und Arbeit zu Hause organisiert Region Teltow: Verdoppelung der Kinder in Kita-Notbetreuung Kreisweiter Kita-Elternbeirat hat sich aufgestellt Von Gesine Michalsky

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