Präsident des Karnevalsverbands Berlin-Brandenburg Walter Kassin aus Werder nimmt Abschied

Nein, als Kind habe er sich nicht verkleidet, sagt Walter Kassin, Präsident des Karnevalsverbands Berlin-Brandenburg. Aber nachdem ihn das Bühnenfieber einmal gepackt hatte, gab es quasi kein Halten. Bis heute, mit 74 Jahren, ist der Werderaner mehr als aktiv in Namen der Narren. Natürlich auch im Namen des Obst- und Gartenbauvereins und des Frischemarkts sowie der CDU-Fraktion. Aber das sind andere Geschichten, hier geht es um die fünfte Jahreszeit und den Funktionär, der im September nach 22 Jahren als Landespräsident von Berlin und Brandenburg sein Amt niederlegen wird – und sehr viel über die Wiedervereinigung der ost- und westdeutschen Frohnaturen zu erzählen hat. Tanzen und Singen in Kostümen: Fast wäre der Mann, der sich sein Leben lang für Werder einsetzt, gar nicht hier geblieben. Seine Familie plante, am 21. August 1961 in den Italien-Urlaub zu fahren, und nicht mehr zurückzukommen, sagt er im Plauderton. Der elterliche traditionsreiche Gartenbetrieb fiel der Kollektivierung anheim und Walter Kassin trat nach der Lehre in die Gärtnerische Produktionsgenossenschaft Pomona in Glindow ein. Da ging es um den Großanbau von Tomaten für das berühmte Ketchup. Die Kulturgruppe des Clubs interessierte den 18-Jährigen aber ebenso, und er kam über einen Kollegen in den Glindower Karnevalsclub. Verkleidet als Schuljungen mit Strumpfhaltern und Zuckertüte stellten sie sich zu zweit auf dem Werderaner Karneval vor und gewannen den ersten Preis. Später machten sie als Beatles mit Gitarre Furore. >>Lesen Sie auch: Brandenburgs Karnevalsvereinen fehlt der Nachwuchs – zumindest auf dem Land In der zehnten Saison bot man Kassin an, „seine Tollität“ Prinz Karneval zu werden. „Da ist man ein kleiner Gott“, sagt er noch heute. Im nächsten Jahr ergänzte er den Elferrat und hielt seine erste Büttenrede, darüber, was ein Gärtner so erlebt. Im Karnevalsclub Werder sei die Mitgliederstruktur gemischt gewesen, Bankangestellte, Lehrer und Kraftfahrer; Männer und Frauen gleichermaßen. Mitte der 1980er Jahre hatte man sogar zwei Tanzgarden und pflegte den Austausch mit der Komischen Kapelle Brandenburg. Als er dort einmal im Indianerkostüm einsprang, eigentlich als Statist, bemerkte der Dirigent: „Du kannst ja singen.“ Auch im Schwanensee des Männerballetts machte er eine gute Figur. Politischer Witz lotet Grenzen aus: „Politische Sachen handelten wir im Format ‚Stammtisch‘ ab“, sagt Walter Kassin. Als die Preise für Grundnahrungsmittel im Pfennigbereich, aber deutlich anstiegen, leistete sich der Spaßvogel die Aussage: „Der Papst kommt zu Besuch. Der will die Preise segnen, bevor sie in den Himmel steigen.“ Büttenreden mussten die Karnevalisten bereits vier Wochen vorher beim Präsidenten des Karnevalsclubs vortragen, bevor sie noch vom Ortsparteisekretär freigegeben wurden. Um 1985 sorgte ein unzuverlässiger Brunnen für Gesprächsstoff in der Werderaner Stadtpolitik. „Wie die Information an die Bevölkerung“, textete Kassin, „sie sprudelt und versiegt wieder“. Seine frechste Pointe klaute er sich jedoch im Februar 1988 im Potsdamer Kabarett. „Die Rentner bekommen eine Rentenerhöhung“, hieß es da, „sie dürfen aber nicht mehr arbeiten“ – was ein Gutteil der Senioren tat. „Aber wer regiert uns denn dann?“, trug der Schalk in der Friedrichshöhe vor. „Der Saal hat getobt, die Bürgermeisterin und der Ortsparteisekretär haben den Raum verlassen“, erinnert er sich. „Ich war der King, aber so richtig wohl war mir nicht, als ich nachts nach Hause hing.“ Am nächsten Morgen klingelte es um zehn Uhr an seiner Tür: Zwei Präsidiumsmitglieder des Karnevalsclubs wollten sehen, ob er noch da sei. Am Montag musste er bei der Betriebsparteisekretärin antraben. „Du sollst doch Vorbild sein“, hörte er sich an und entschuldigte sich für den Gag. >>Lesen Sie auch: So feiern die Narren ihre 5. Jahreszeit Karneval als deutsch-deutsche Brücke: „Nur wenige wissen, dass es in der DDR 1600 Karnevalsvereine gab“, sagt Kassin, „da staunte auch der Bund deutscher Karneval, als sie angegliedert werden sollten“. Die Werderaner hatten schon zuvor Kontakte nach Siegburg bei Köln gepflegt und erwarteten am 10. November 1989 den ersten Besuch ihrer westdeutschen Narrenbrüder und -schwestern. „Sie fuhren gegen 22 Uhr los und waren völlig überrascht, als sie an der Grenze durchgewinkt wurden.“ Beim Gegenbesuch kassierten die Werderaner stehende Ovationen und Geschenke von ihrer zukünftigen Patenstadt. „Ich bekomme heute noch Gänsehaut“, sagt Kassin, und der karnevalistische Zusammenschluss wurde zu seiner Herzensangelegenheit. Im neuen Landesverband Berlin-Brandenburg kämpfte er auf verschiedenen Funktionen dafür, „dass zusammenwächst, was zusammengehört“. Publikumswirksame Anlässe wie die RBB-Fernsehgala „Heut‘ steppt der Adler“ hat er mit konzipiert, die Jugendarbeit gefördert und dabei immer darauf geachtet, dass die ehemals ostdeutschen Karnevalsvereine eine Stimme im Dachverband haben. Dass der Bund deutscher Karneval im September sein närrisches 66-Jahr-Jubiläum in Cottbus feiert, gehört dazu. Er sollte langsam kürzer treten, das weiß Walter Kassin. Aber er ist einer, der da sein will, wenn man ihn braucht. Von Gabriele Spiller

Walter Kassin aus Werder - Brandenburgs Karnevals-Präsident hört auf: Seine frechste Pointe war geklaut