Wegen Corona: Schausteller Lothar Köllner kann Winterquartier in Werder noch immer nicht verlassen

Lothar Köllner ist startklar. Jederzeit könnte er seine Hüpfburgen einpacken, losfahren und sie in irgendeiner Stadt aufbauen. Doch stattdessen sitzt der 53-Jährige an einer Gartengarnitur aus grünem Plastik, inmitten seiner Hänger auf einem Plötziner Industriegelände. Was er erzählt, ist das Leid von rund 25.000 Schausteller in ganz Deutschland. Und er weiß: „Die ersten melden in diesen Tagen Insolvenz an.“ Die Schausteller und Zirkusartisten gehören zu den letzten Gewerbetreibenden, die nach dem Corona-Shutdown noch immer kaum arbeiten können. Lothar Köllner und seine Frau hatten vor der Corona-Pandemie ein gesundes Unternehmen. Schon seit April leben sie von Hartz IV. Hüpfburgen auf 1000 Quadratmetern: Sie betreiben einen Hüpfburgenpark. Das heißt, sie bauen in den Städten für mehrere Wochen am Stück bis zu 15 Hüpfburgen und drei Zelte mit über 200 Sitz- und Liegeplätzen auf. Ein Kinder- und Familienbereich, der kein großes Volksfest ist und auch nie Teil davon ist. 1000 Quadratmeter Wiesenfläche braucht das Ehepaar Köllner für seine Hüpfburgen. Es war ein Geschäft, das lief. Das beliebt war in den Städten Ostdeutschlands. „Wir hatten im März alles schon gepackt“, erzählt Lothar Köllner, „die ersten Hänger standen schon in Falkensee, wo unsere Haupttour für dieses Jahr starten sollte. Dann kam Corona.“ Die Tour sollte über Brandenburg/Havel, Parchim, Rostock, zurück über Neuruppin, Hennigsdorf und Berlin-Hellersdorf gehen. Stattdessen musste er seine Hänger zurück nach Werder fahren. Dort, wo er in den Wintermonaten sein Quartier hat. „Ich bin Frau Maier, die Betreiberin der Lagerhallen hier, wirklich dankbar, dass wir hier relativ kostengünstig stehen dürfen“, sagt Köllner, „ich wüsste sonst nicht, wohin.“ Burgen nach jedem Besucher desinfizieren: Seit Monaten bemüht er sich in zahlreichen Städten darum, wenigstens ein paar Hüpfburgen aufzustellen. Dafür hat er ein Hygienekonzept entwickelt. So gäbe es eine Maskenpflicht an der Kasse, Schilder, die ermahnen, sich daran und an den Sicherheitsabstand zu halten, würden aufgestellt, nach jedem Kind oder Geschwistergrüppchen würde Köllner die Burgen desinfizieren, er würde 3000 statt 1000 Quadratmeter Fläche mieten, sodass die die Sitz- und Liegeplätze weit auseinander stehen könnten. Doch von den meisten Städten, wie Potsdam, Werder und Lübbenau kamen bisher nur Absagen oder Angebote, die für ihn nicht in Frage kamen. Wie etwa das Angebot, auf Beton aufzubauen. „Wenn die Kinder da fallen, können sie sich wirklich böse verletzen. Außerdem müssen wir die Burgen mit Heringen im Boden befestigen.“ Auch würden die Städte Mieten verlangen, die für ihn nicht bezahlbar sind. In vielen Fällen bekam Köllner sogar gar keine Antwort von den Städten. 1995 zerstörte ein Hochwasser Lothar Köllners Unternehmen: Lothar Köllner kommt aus einer alten, weit verbreiteten und großen Artistenfamilie. Er ist Schausteller, doch nimmt man das Zirkusgewerbe seiner Vorfahren hinzu, führt er in 6. Generation das Familiengeschäft fort. Bis ins 16. Jahrhundert lässt sich seine Familie zurückverfolgen, sagt er. Seine Eltern reisten mit einem eigenen Zirkus in der DDR umher. Mit 17 Jahren ging er seinen eigenen Weg. Mit 18 gründete er ein Schaustellerunternehmen. Mit seiner zweiten Frau, einer Zirkusartistin aus Hamburg, hat er 19 Enkel. „Alle haben Lust auf Schaustellerei oder Zirkus“, sagt Köllner stolz. Die Corona-Pandemie ist nicht seine erste Krise. Im Sommer 1995 stand er zum denkbar schlechtesten Moment im sächsischen Rochlitz. Starke Regenfälle sorgten für ein Hochwasser, das Köllners Unternehmen nicht überleben sollte. All seine Fahrgeschäfte wurden irreparabel beschädigt. Der Autoscooter, der Schießstand, die Losbude, der Imbiss, das Kinderkarussell, der Stofftiergreifer. „Wir hatten eine halbe Million Mark Schaden und keinen Pfennig davon wiedergesehen“, erinnert er sich. Die Versicherung für Naturgewalten sei für ihn damals nicht bezahlbar gewesen. Die einzige finanzielle Unterstützung, die er bekam, hatte ihm der Bürgermeister von Rochlitz geboten. „Die Entsorgungsgebühr hatte er übernommen. Der wollte ja, dass seine Stadt sauber ist“, sagt Lothar Köllner, „ich sah meine Existenz in den Müllcontainern verschwinden. Das war grauenvoll.“ Aufgeben kommt für Köllner nicht in Frage: An die Emotionen von damals fühlt er sich heute erinnert. Nach über 15 Jahren Arbeit bei Familienmitgliedern hatte er erst vor zwei Jahren mit dem Hüpfburgenpark wieder sein eigenes Gewerbe gegründet. „Ich will keine Allmosen“, sagt Köllner, „ich möchte einfach, dass der Staat uns wieder arbeiten lässt.“ Er hat das Gefühlt, dass der das Schaustellergewerbe nachteilig behandelt. „Wir Schausteller und Zirkusleute verstehen einfach nicht, wie man die Flugzeuge wieder so voll besetzen kann, die Cafés und die Innenstädte wieder so voll werden lassen kann und uns gleichzeitig immer noch so einschränkt.“ Schließlich sei sein Gewerbe das best kontrollierte in ganz Deutschland. „Weil wir jede Woche bei Platzwechsel eine Abnahme haben, bevor der Betrieb aufgenommen werden kann. Da wird die Sicherheit kontrolliert, die Hygiene des Essens und des Trinkwassers, die Elektronik, die Feuerlöscher, der Tüv der Fahrgeschäfte.“ Im Moment verhandelt er mit der Stadt Lübben (Spreewald). Dort könnte er den ganzen September auf einem privaten Gelände stehen. „Allerdings sagt das Gesundheitsamt dort, dass pro Burg nur zwei Kinder gleichzeitig springen dürfen, was noch ok wäre“, sagt Köllner, „aber ich soll pro Burg einen Mitarbeiter daneben stehen haben, der den Abstand kontrolliert. Das wären 15 neue Mitarbeiter und deren Gehalt wirft mein kleines Unternehmen einfach nicht ab.“ Er hofft, dass er das Gesundheitsamt mit seinem Hygienekonzept doch noch überzeugen kann. Trotz all der Hürden, denen er gerade ausgesetzt ist – alleine das Losfahren in Werder würde ihn 15.000 Euro kosten –, ans Aufgeben hat er bisher keinen Moment gedacht. „Nicht einen Augenblick. Dafür liebe ich meinen Job zu sehr“, sagt Lothar Köllner. Lesen Sie auch Brandenburg: Jahrmarktabsagen bedrohen Existenzen von Schaustellern Zirkus Rogall in Teltow: Artisten bangen um ihre Existenz 700 Menschen demonstrieren für das Baumblütenfest Von Annika Jensen