Zukunftsbudget: So durften Werders Kinder und Jugendliche über 200.000 Euro entscheiden

Der Werderaner Zukunftshaushalt – auch Zukunftsbudget oder Bürgerbudget genannt – ist aus Sicht sämtlicher Beteiligten ein voller Erfolg. So urteilten sie in einer Online-Diskussionsrunde am Mittwochnachmittag. Anders als in den insgesamt 72 anderen Bürgerbudgets im Rest der Bundesrepublik haben Werders Kinder und Jugendliche über die Projekte entschieden, die umgesetzt werden. Vorab durften alle Bürger, egal welchen Alters, Vorschläge einbringen, für welche Projekte die Summe von 200.000 Euro ausgegeben werden soll. Im Dezember hat bereits die Stadtverordnetenversammlung per Beschluss das Zukunftsbudget angenommen. Projekte durften nicht mehr als 30.000 Euro kosten: 65 Vorschläge wurden online eingereicht. 43 davon wurden von der Verwaltung zugelassen. Die Kriterien dafür: Sie durften nicht mehr als 30.000 Euro kosten, sie müssen von der Stadt oder von einem gemeinnützigen Verein umgesetzt werden und sie müssen im Jahr 2021 realisierbar sein. Alle 43 Vorschläge wurden im sogenannten Zukunftsrat überarbeitet. Den stellte der Referent für Einwohnerbeteiligung der Werderaner Stadtverwaltung, Linus Strothman, aus Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren zusammen. 100 Kinder und Jugendliche hatte er dazu per Losverfahren aus dem Melderegister ausgewählt. Wie schon für die Entwicklung des Baumblütenfestes, bei der ebenfalls Kinder und Jugendliche beteiligt worden waren. 23 Angeschriebene haben reagiert und sich für den Zukunftsrat gemeldet. Eine davon war Sophia Jolanda Jarka. „Ich wusste zuerst nicht, was das war“, sagte sie bei der Online-Diskussionsrunde über den Moment, als sie den Brief öffnete, „aber dann dachte ich, cool, dass ich eine von so vielen Kindern und Jugendlichen in Werder bin, die ausgewählt wurde.“ Mit ihren Mitstreitern hat sie bei zwei Treffen gemeinsam mit Linus Strothmann die Vorschläge diskutiert. „Wir haben da Verbesserungen draufgeschrieben. Denn manchmal waren die Texte einfach zu lang und man hat gar nicht verstanden, worum es ging.“ In Schulen wurde abgestimmt: Ziel war eine Broschüre, in denen die zwölf ausgewählten Projekte präsentiert und an alle Schulen in Werder verteilt wurden. Denn: Über die Schulen wurde organisiert, dass die Kinder und Jugendlichen ab der 4. Klasse abstimmen. Jeder hatte maximal sechs Stimmen. Und so kamen mehr als 10.290 Stimmen zusammen. Auch Schulen in Potsdam wurden einbezogen. „Denn die Schüler, die dort unterrichtet werden, aber in Werder leben, durften per Briefwahl abstimmen“, sagte Linus Strothmann, „und wir haben die Schüler, die in Werder zur Schule gehen, aber in Potsdam leben, nicht ausgeschlossen, denn die haben ja trotzdem eine gewisse Verbindung zur Stadt.“ Und welche Projekte haben es nun geschafft? Ganz oben auf der Liste steht eine Graffiti-Wand, die am neuen Jugendzentrum „Haus am See“ entstehen soll. Direkt dahinter folgen vor allem Projekte, die für Bewegung sorgen sollen: ein Outdoor Fitness-Park am Luise-Jahn-Ufer in Glindow, eine Sportanlage für Körpereigengewichtsübungen im Stadtgebiet, eine Parcoursanlage im Stadtwald. Auch ein E-Sports-Turnier soll ausgerichtet werden. Aber die Kinder und Jugendlichen haben nicht nur Projekte ausgewählt, die ihren Interessen entsprechen. Das sind die ausgewählten Projekte: Ganz im Gegenteil. Sie haben auch Projekte ausgewählt, die älteren Bürgern helfen und ihnen Freude bereiten sollen. Die Auswahl der Projekte ist bezogen auf den Nutzen der verschiedenen Interessengruppen sehr ausgeglichen. So wünschen sich die Kinder und Jugendlichen weitere Bänke und Neupflanzungen im Stadtwald, zusätzliche Bänke im Stadtgebiet für insgesamt 10.000 Euro, größere Mülleimer in besonders frequentierten Stadtbereichen sowie einen kleineren Platz in der Luisenstraße direkt am Wasser, der mit seniorengerechten Bänken gestaltet werden soll. Lesen Sie auch Zukunftshaushalt: Große und kleine Werderaner entscheiden über Stadtgeld Vom Obstbau inspiriert: Neuer Spielplatz in Glindow ist eröffnet Und was macht den ganzen Prozess so erfolgreich? „Die großen Themen standen nicht zur Wahl, weil wir eine Budgetgrenze von 30.000 Euro pro Projekt gesetzt haben“, sagt Linus Strothmann, „die entsprechenden Entscheidungen werden also nach wie vor in der Stadtverordnetenversammlung getroffen. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Jugendlichen viel über Demokratie lernen konnten. Und das trotz der Pandemie.“ So hätten sie erleben können, wie wirksam sie selbst agieren können. Er als Fachmann spricht von Selbstwirksamkeit. Sie hätten immer diskutieren können. Sie konnten sich über ihre Wünsche bewusst werden und über ihre eigene Priorisierung. Sie haben gelernt, Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen walten zu lassen. Und sie haben gelernt, Verantwortung über einen längerwierigen Prozess zu übernehmen. Anerkennung für Jugendbeteiligung: Aus Strothmanns Sicht wurden wichtige Weichen für weitere Bürgerbudgets unter Beteiligung der Werderaner Kinder und Jugendlichen gestellt. Alle zwei Jahre soll nun ein solches Bürgerbudget beschlossen werden. „Die Zusammenarbeit mit den Schulen funktionierte sehr gut“, sagt Strothmann, „die Akzeptanz in Verwaltung und Politik ist gegeben. Und die Bekanntheit in der Stadt ist da.“ Und doch hat er auch Kritikpunkte. Wie etwa, dass der Austausch zwischen Jugendlichen und Politik ausbaubar ist. Anerkennung für den gesamten Prozess des Zukunftsbudgets unter der intensiven Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen bekamen Linus Strothmann und das beteiligte Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg von anderen Organisationen, die sich mit der Beteiligung junger Menschen an demokratischen Prozessen auseinandersetzen. Wie etwa von Politikwissenschaftler Carsten Herzberg vom Team „Jugendbeteiligung bei Bürgerbudgets“ des Vereins „Mitmachen“ Potsdam. „In Brandenburg gibt es über 36 Bürgerbudgets, aber in allen sind junge Leute sehr unterpräsentiert“, sagt Herzberg, „Werder bietet ein sehr gutes Beispiel, wie Kinder und Jugendliche effektiv mit einbezogen werden können.“ Von Annika Jensen