Wiesenburg: Wie eine Mutter den Spagat zwischen Homeoffice und Quarantäne erlebte

Es kostet Zeit, Nerven und Geduld: Wer den Anspruch hat, seinen Job gut zu machen, aber auch die Kinder in zwangsweiser Corona-Quarantäne zu fördern, macht nicht nur mental einen Spagat, sondern versucht sich als Businessfrau, Mutter und Pädagogin gleichermaßen. Die Wiesenburger Zweifach-Mama Doreen Selent spricht wohl vielen Familien aus dem Herzen, wenn sie sagt: „Es gleicht einem Ping-Pong-Spiel, allem gerecht zu werden.“ Erst Gerücht, dann Quarantäne: Es begann mit Gerüchten, dass einige Kinder und eine Erzieherin im Reetzer Kindergarten aufgrund von Erkältungssymptomen zuhause blieben. Drei Tage später ist Doreen Selents fünfjähriger Sohn vorsichtshalber in Quarantäne, die Einrichtung geschlossen. Sein großer Bruder ist Erstklässler in Wiesenburg und kann einige Tage später aufgrund von Corona-Verdachtsfällen nicht mehr am regulären Unterricht teilnehmen. Die folgende Woche verbringt die Familie mit Hund, Katz und Homeschooling. „Flexibel zu sein war nicht unser Problem“, berichtet die 41- Jährige, die generell bis auf einige wichtige Präsenztage in der Firma im Homeoffice arbeitet. Ihr Lebenspartner ist selbstständig in der Autobranche. Beide beginnen, sich alle paar Stunden mit der Kinderbetreuung abzuwechseln, um ihre Arbeit zu schaffen. Dennoch schiebt Selent mehr als nur eine Nachtschicht. Langeweile im harten Lockdown: Hundertmal den gleichen Spaziergang, im Garten spielen, gemeinsam kochen: die sich bereits im harten Lockdown im Frühjahr eingeschliffenen Freizeitprogramme locken die beiden energiegeladenen Jungs kaum noch. Mit der Langeweile kommt auch Frust auf. Obwohl: „Es war auch eine schöne, sehr intensive Zeit für die Familie. Wir haben viel gemacht, wofür wir sonst nie Zeit hatten“, erinnert sich die Steuerfachangestellte, die sich um die Buchhaltung eines Unternehmens kümmert. Solange es keine behördliche Anordnung der Quarantäne gab, wurde halbtags in puncto Betreuung auch mal auf Familienmitglieder zurück gegriffen. Diese Anordnung ist bis heute nicht eingetroffen, obwohl sie beispielsweise für die Lohnfortzahlung nach Infektionsschutzgesetz durch den Arbeitgeber benötigt wird. Die Informationen rund um die aktuelle Lage holte sich die Familien über die Gemeindeseite. Während der Erstklässler sich zunächst über schulfrei freute, war es für den jüngeren Bruder, der sehr gesellig ist, keine gute Nachricht, dass er wieder eine Zeit lang nicht mit seinen Freunden spielen kann. Die Eltern durften sich derweil im Homeschooling versuchen: „Das war spannend. Den Kinder den Schulstoff nahezubringen war nicht das Problem, aber wir sind halt auch keine Pädagogen oder die dritte außenstehende Respektsperson“, erzählt Selent. Ungewissheit und Ausblicke: Die Ungewissheit, wann und wie oft und in welcher Form die Einschränkungen in Zukunft noch auf sie zukommen, sind ein Aspekt, der das normale Leben überschattet. Für die Kinder bemühen sich die Eltern um Normalität, auch wenn das Nervenkostüm dünn und die psychische Last größer geworden sind. Beschäftigte im Gesundheitswesen, bei den Sicherheitsbehörden, Lehrer und Erzieher vollbringen Mammutleistungen, die die zweifache Mutter zu schätzen weiß. Dennoch fehle ihr ab und zu, dass man sich auch einmal mehr in die Situation der Familien hineinversetzt. „Viele haben Angst um ihren Job, die Arbeitgeber haben nicht unendlich Verständnis. Es ist keine Frage, dass Kinder von Krankenhauspersonal, Feuerwehr und Polizei notbetreut werden müssen“, erläutert Selent. Aber auch alle anderen Jobs sind systemrelevant insofern, dass das System Familie, ohne die Möglichkeit seinem Job nachzugehen, droht finanziell zusammenzubrechen. Zwischen vorgeschriebenem Stoßlüften und der laufenden Nase liegt oft nur ein Wimpernschlag. Lehrer und Erzieher haben Sorge, wollen nichts falsch machen. Eltern berufen sich auf landesweite Einigungen, dass bei nicht eindeutigen Corona-Symptomen weiter betreut werden darf. Das Unverständnis auf beiden Seiten wächst, spaltet und bringt Unsicherheiten mit sich. Selent hat gelernt, nicht mehr hitzig und im Affekt zu reagieren, lässt sich vieles ein-, zweimal durch den Kopf gehen, und reagiert erst, wenn sie klare Gedanken gefasst hat. Auch das ist eine Lehre, die eine Pandemie mit sich bringen kann. „Wir haben ganz optimistisch für Februar Urlaub in den bayerischen Bergen gebucht und hoffen so sehr, dass es stattfinden kann“, sagt sie. Dann können die Kinder endlich einmal richtig viel Schnee sehen. Und falls es nix wird, ist ein schöner Badeurlaub im Sommer 2021 das nächste Ziel. Von Natalie Preißler