Warum in Wollin die Weihnachtsgeschichte auf Fenstern klebt

Wenn das Licht im Wolliner Pfarrhaus länger brennt, steckt kein geselliger Gemeindeabend dahinter. Wer immer auch an den erleuchteten Fenstern vorbei seiner Wege geht, wird seit 23 Tagen mitgenommen auf eine Reise ins Heilige Land. Heute, am 24. Dezember, hat Claudia Minuth die letzten Bögen aus Transparentpapier in die Fensterfront mit Blick zur Kirche geklebt. Am Heiligen Abend ist die eigenhändig gezeichnete und colorierte Weihnachtsgeschichte auserzählt: Maria und Josef wird ein Kind geboren. Die seit November in vielen Kreativstunden vorbereitete Kalenderaktion auf 30 Fensterscheiben ist kein Ersatz für die abgesagten Präsenzgottesdienste im Pfarrspiel Flämingtor-Wollin. Doch die vom Lampenlicht angestrahlten Szenen aus dem judäischen Bergland zwischen Nazareth und Bethlehem können dem einen oder anderen Vorübergehenden in schwierigen Zeiten das Herz erfreuen. Der an die nach Norden gelegene Fensterfront grenzende Kirchhof ist öffentlich zugänglich. Doch seit das Lebensmittelgeschäft seine Türen schloss, hat die Verbindung ihre Rolle als Laufstrecke zwischen Hauptstraße und Schulstraße verloren. Bis zum Ende des Weihnachtsfestkreises Anfang Februar bleiben die dekorierten Fenster erhalten, sind also auch für Nachzügler einen Spaziergang wert. „Mitgebracht haben wir die Idee aus der Schweiz, wo wir von 2007 bis 2011 lebten. Auch in Graubünden ist es üblich, jeden Abend in der Weihnachtszeit ein mit Transparentpapier besonders gestaltetes Fenster zu beleuchten “, berichtet die Frau von Pfarrer Thorsten Minuth, der neben den Dörfern des Wolliner Pfarrspiels auch den Pfarrbereich Tucheim betreut. Es klingt seltsam, doch erst Corona hat die Nachahmung in Wollin möglich gemacht. Weil der Gemeinderaum coronabedingt nicht von der Gemeinschaft genutzt wird, sind die abgedunkelten Fensterscheiben aktuell kein Problem. So kann sich das Untergeschoss lückenlos in die Wolliner Weihnachtsgeschichte einbringen. Im Verantwortungsbereich von Thorsten Minuth gibt es schon seit längerer Zeit keine Präsenzgottesdienste mehr. Dafür werden in Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreis Elbe-Fläming Videogottesdienste produziert. Über Youtube kommt auch am heutigen Heiligabend die festliche Andacht zu den Gläubigen. „Ab 14 Uhr kann der Gottesdienst abgerufen werden“, sagte Kantor Thorsten Fabrizi der MAZ auf Nachfrage. Für Pfarrer Thorsten Minuth eine bis dato unvorstellbare Situation. Bevor die Wachskerzen am heimischen Weihnachtsbaum entzündet wurden, waren drei Predigten an jedem 24. Dezember für ihn die Regel. „Das wird total seltsam für uns“, meint auch Ehefrau Claudia, die den bei Minuths traditionellen Heringssalat in diesem Jahr etwas früher auf den Tisch bringen kann. Weil es keine dienstlichen Verpflichtungen gibt, wird vor dem Abendessen hinter den Scheiben mit der Weihnachtsgeschichte ausgiebig Hausmusik mit den vier Kindern Sarah, Jonathan, Hanna und Elias zelebriert. Von Frank Bürstenbinder