Aus Berlin in die Waldstadt: Wie Reni Walther mit 74 zur Potsdamerin wurde

Sie liebäugelt mit Binz auf Rügen, zieht eine Liaison mit Dresden in Betracht, hat ihr Herz schon fast an Lüneburg verschenkt – und dann kommt an einem Maitag 2018 Potsdam. Nicht das Potsdam, in das sich Günther Jauch, Hasso Plattner oder Kai Diekmann verliebten, nicht das Potsdam der Schlösser, Villen und Wasserblicke. Reni Walther, einst Schlager- und Theaterstar, dann Chefreporterin bei Bild und RTL, verguckt sich in die Waldstadt. Ist es Zufall oder doch Schicksal, das an jenem Tag zuschlägt? Die 76-Jährige schmunzelt. „Wer weiß das schon?“ Auf jeden Fall macht sie auf dem Weg aus Hannover nach Berlin diesen Schlenker durch Potsdam und landet – „wie auch immer“ – in der Heinrich-Mann-Allee. Mit großen Augen steuert sie ihren Audi durch die Waldstadt, bewundert die stattlichen Eichen, staunt über das viele Grün und bremst schließlich vor einem riesengroßen Werbeschild am Straßenrand, das in strahlenden Lettern frohlockt: „Willkommen im Brunnenviertel – Wohnungen frei.“ Keine Woche später hat sich Reni Walther eine der Neubauwohnungen reserviert, zieht Ende 2018 als eine der ersten Mieterinnen der Anlage ein – zweiter Stock, drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon. Die Miete, „nicht billig, aber noch bezahlbar“, die Ausstattung, „gehoben und ganz wunderbar“. Ihre Eigentumswohnung in Berlin-Friedenau, „ein Traum mit Dampfsauna und mitten im Grünen“, verkauft sie, der Stadt ihres Lebens sagt sie Lebewohl. Potsdam-Waldstadt soll ihr neues großes Glück werden. Mit 74 will Reni Walther noch einmal neu anfangen. Karriere als Schlager- und Theaterstar auf den Bühnen des Landes: Das Gute: Reni Walther kennt sich aus mit Neuanfängen. Geboren während einer Dienstreise ihres Vaters in Krakau, aufgewachsen bei der alleinerziehenden Mutter in Wilmersdorf in Westberlin, muss Reni nach der Schule eine Ballettausbildung absolvieren. Obwohl sie lieber studieren würde, folgt sie dem Willen der Frau Mama, gewinnt erst ein Stipendium für Schauspiel- und Gesangsunterricht, dann mit einer Freundin den Nachwuchswettbewerb des Plattenlabels Ariola. Alle Kapitel unserer großen Potsdam-Serie lesen Sie unter: potsdam.maz-online.de Als „Reni und Chris“ erobern die jungen Frauen die Schlagerwelt, Reni spielt außerdem in Musicals und großen Theaterstücken, steht vor der Kamera und auf der Bühne. „Ein toller Beruf“, sagt sie heute, „aber nie meine Berufung.“ Die findet Reni Walther erst über Umwege. Mit 22 heiratet sie, mit 23,5 lässt sie sich wieder scheiden, den gemeinsamen Sohn zieht sie zwischen Bühne und Garderobe auf – und wagt für ihn schließlich den Neuanfang. Sie beendet ihre Show-Karriere und wird Journalistin, erst bei der B.Z., dann bei Bild und RTL, zu Hochzeiten des Privatfernsehens macht man sie zur Chefredakteurin der Gesamtkommunikation des RTL Clubs und des RTL Magazins. Reni Walther fliegt um die Welt, lernt Bill Clinton kennen, David Hasselhoff oder Siegfried und Roy, erlebt mehr, als sie an einem Tag erzählen kann. Ihre Basis bleibt dabei ein Leben lang Berlin. Bis 2018. Aus dem geliebten Berliner „Herz mit Schnauze“ wird nur noch Schnauze: In diesem Jahr, nach mehr als 70 Jahren Berlin, wird ihr die Stadt auf einmal fremd, wird aus dem geliebten Berliner „Herz mit Schnauze“ nur noch Schnauze, wie sie sagt. Reni Walther entscheidet sich, schweren Herzens zu gehen, mit Mitte 70 noch einmal alle Zelte abzubrechen. Zum Schlüsselmoment wird eine Begegnung im Park, zwei Frauen, die mit Steinen erst nach ihren Hunden und dann nach ihr werfen. „Da hatte ich endgültig genug“, sagt sie, „da war mir die Stadt ein für alle Mal zu laut, zu voll, zu aggressiv und schmutzig geworden.“ Nun also ein neuer Versuch: Reni Walther und Potsdam-Waldstadt, genauer gesagt Waldstadt III, wie das Neubauviertel am Bahnhof Rehbrücke von vielen genannt wird. Mehr als 360 Wohnungen sind hier in den letzten Jahren entstanden, moderne weiße Wohnblöcke aus dem Boden gewachsen, wo zu DDR-Zeiten in einem Plattenwerk Betonelemente für Plattenbauten hergestellt wurden. Heute leben vor allem Familien, Paare und Hundebesitzer im Brunnenviertel. „Noch nie“, sagt Reni Walther, „habe ich so viele schwangere Frauen und Menschen mit Hunden gesehen wie hier.“ Sie selbst ist mit fünf Hunden und einer Katze eingezogen, einer ihrer Hündchen ist inzwischen gestorben und hängt wie seine Vorgänger als Asche in einem Amulett um Reni Walthers Hals. Die vier anderen, allesamt klein, alt und gerettet aus Tötungsstationen, tingeln mit ihr jeden Morgen über die Straße zur Gassirunde in den Wald. Peppi, Fielmann und Amica auf den eigenen vier Pfoten, der arthrosegeplagte Picasso im Hunde-Kinderwagen, Reni Walther stets als Dame von Welt – ein Quintett, das Eindruck hinterlässt. Und zwar nicht nur in Potsdam. Als Journalistin reist Reni Walther mit ihren Hunden noch immer um die Welt, testet Luxus-Hotels unter dem Titel „Fünf Sterne für vier Pfoten“. Doch Corona hat auch ihnen vorerst eine Zwangspause verordnet – Zeit, die Reni Walther nun vor allem in Potsdam verbringt. Ihr Urteil: „Hier ist alles ruhiger, entspannter, trotzdem bin ich in 20 Minuten mitten in Berlin.“ Ein bisschen sei Potsdam wie eine „exklusive Vorstadt“ von Berlin. „Und was mich besonders freut.“ Reni Walther grinst. „Ich treffe hier mehr echte Berliner als in meiner Heimatstadt.“ Rüpel, Querulanten und Politik, die Reni Walther stinkt: Reni Walther kann inzwischen auf Anhieb vier Lieblingscafés in Potsdam nennen, gibt Empfehlungen für die beste Auto-Werkstatt, den besten Tier-Supermarkt und den freundlichsten Hundefrisör. In der Waldstadt legt sie einem die Taverna Ladokolla sehr ans Herz, obwohl sie griechisches Essen eigentlich nicht mag, doch hier gebe es „tolles Gyros-Fleisch und super Pommes“. Auch der „Netto“ an der Erich-Weinert-Straße – „der mit Hund Scottie im Logo“ – sei nach der Schönheitskur ein Supermarkt-Genuss. Das Waldstadt-Center hingegen könnte zwar etwas schicker sein, „hat aber alles, was man so braucht“. Und wichtig: „Kaufland hat bis 22 Uhr auf“. Wenn sie wollte, könnte Reni Walther auch motzen. Über die unverschämten Jugendlichen, die ihr kürzlich pöbelnd begegnet sind. Über den rücksichtslosen E-Biker, der sie auf dem Fußwaldweg erst überfuhr und dann flüchtete. Über die Pläne der Stadt, „den schönen Wald in der Waldstadt brutal für Sportplätze niederzuroden“. Doch Rüpel, Querulanten und Politik, die einem stinkt, „die gibt es immer“, sagt sie. Die 76-Jährige hat sich entschieden, glücklich in Potsdam zu werden. Und daran arbeitet Reni Walther – nicht in Binz, Dresden oder Lüneburg. Und auch nicht an irgendeinem Potsdamer Seeufer, sondern in der Waldstadt. „Perfekt für Mensch und Tier“, wie sie sagt. Das Datenjournalismus-Projekt „Potsdam ganz nah“ ist gefördert durch das Kartographen Mercator Stipendien-Programm für JournalistInnen – eine Initiative des gemeinnützigen Vereins Fleiß und Mut e.V. Von Anna Sprockhoff