Aus der Buchhaltung in den Pferde-Transporter: So hat eine Potsdamerin die Corona-Pandemie für die berufliche Neuorientierung genutzt

Auf den ersten zwei, drei Kilometern kann sie die Unruhe noch spüren. Ihre Fahrgäste sind sensibel. Das kleinste Rütteln macht ihnen Angst, ein unbekanntes Geräusch, ein fremder Geruch. Katrin Bernat lenkt den weißen Truck besonnen vom Hof. Auf den ersten Kilometern schlägt auch ihr Herz Vollgas. Könnte ein Arbeitstag Schöneres bieten? Vor ihr liegt die Landstraße. Direkt hinter ihr thront ein prächtiger Pferdehintern. Hier am Steuer fühlt sich Katrin Bernat angekommen. Löst sich im Fond des Wagens erst einmal die Anspannung, schaltet sie das Radio ein. Disco, Schlager, Klassik: Sie experimentiert noch. In der Corona-Krise den Job an den Nagel gehängt: Katrin Bernat (41) aus Eiche hat sich in der Corona-Krise neu erfunden: Wie viele andere hat sie einen Plan B erdacht und verwirklicht. Sie hat ihren Job an den Nagel gehängt und sich mit dem Pferdetransport-Service „reisePFERDig“ selbstständig gemacht. In einem nagelneuen, extra für sie ausgebauten Truck chauffiert sie Pferde über kurze und lange Strecken und wenn gewünscht durch ganz Deutschland. Viele Menschen in und um Potsdam denken in der Corona-Pandemie über einen beruflichen Neuanfang nach – weil sie es wollen oder weil sie es müssen. In unsere Serie „Plan B“ erzählen wir ihre Geschichten. Sie haben die Krise als Chance begriffen und einen neuen Job begonnen? Sie haben bereits viel früher den Schritt gewagt und ihren Job an den Nagel gehängt, um sich einen Traum zu erfüllen? Oder kennen Sie jemanden, der aus einem Ende einen vielversprechenden Neuanfang gemacht hat? Melden Sie sich gern telefonisch unter 0331/2 84 02 63 oder per E-Mail an potsdam-stadt@MAZ-online.de Angestellte, Kellnerin in der Schweiz, Studentin, Handy-Promoterin im Supermarkt, Häppchen-Fee auf der Grünen Woche, selbstständige Buchhalterin mit eigenem Büro in Wannsee, von Unternehmen auf Zeit zu rekrutierende Steuerfachkraft: Katrin Bernat war schon vieles in ihrem Leben, aber planlos war sie nie. Dass nicht jeder Plan aufgegangen ist – wie sie es sich vorgestellt hat, wie es sich andere vorgestellt haben – hat Katrin Bernat wohl einige Male innehalten, aber nicht resignieren lassen. „Der Weg, den ich bis hierhin gegangen bin, war nicht der einfachste, nicht der entspannteste“, sagt sie, „aber dafür habe ich mal etwas zu erzählen, wenn ich hundert bin.“ „Ich habe immer mein Bestes gegeben, aber glücklich war ich nie“: Katrin Bernat – blonder Zopf, Augen so türkis wie das Meer auf Urlaubsfotos, schwungvoll und unbekümmert – hat die meiste Zeit ihres Berufslebens am Schreibtisch gesessen. Sie hat Steuererklärungen und Lohnabrechnungen verfasst, hat Konten und Transaktionen geprüft. „Ich habe Ordnung gemacht, ich habe Existenzen gerettet und permanent die Panik meiner Auftraggeber abgefangen. Ich war rund um die Uhr zu erreichen und habe wirklich immer mein Bestes gegeben“, sagt Katrin Bernat, „aber glücklich war ich nie.“ Als sie Anfang März 2020 ein paar Tage frei nimmt und eine Freundin in England besucht, ist Corona kaum mehr als ein Wort – zurück in Deutschland landet sie im Ausnahmezustand und steht plötzlich selbst ohne Aufträge da. Heute, ein Jahr später, sagt sie, Corona habe ihr die Chance gegeben, endlich abzubrechen, was sie nie erfüllt hat: „Einen Job, den ich gemacht habe, um zu überleben, um meine Existenz zu finanzieren und das, was mir Freude bereitet – meine Pferde.“ Lesen Sie dazu auch: Grube – der perfekte Ort für Gänse, Schweine, Bauern und Plan B Zu viele Pferde im Wald? Phöbens neue Försterin fordert Grenzen für Reiter Im März und April 2020, als Katrin Bernat wie so viele andere Menschen durch den Lockdown auftrags-, ja arbeitslos ist, bleibt sie ruhig, kostet die Zwangspause aus. Sie ist damals noch öfter und länger bei ihren Pferden auf dem Land als sonst schon. Das beruhigt sie in einer Zeit, die anderen Angst macht. „Mir ist Muße unglaublich wichtig“, sagt Katrin Bernat. „In Deutschland ist es leider verpönt, mal nix zu tun – dabei gibt es nichts Schöneres als in der Heuraufe zu sitzen, tief einzuatmen, die Sonne zu genießen und den Pferden zuzuschauen.“ Sie träumt von einem Urlaubsressort für Mensch und Pferd: Ganz so romantisch ist der Augenblick, in dem Katrin Bernat eine Entscheidung fürs Leben trifft, dann doch nicht: Beim Abäppeln der Weide beschließt sie, dass sie frei sein möchte – und dass Pferde nicht nur zu ihrem privaten, sondern auch zu ihrem beruflichen Glück dazugehören sollen. Aus „etwas mit Pferden machen“ wird die Idee, ein Urlaubsdomizil für Mensch und Pferd zu schaffen. Mal raus aus dem gewohnten Stall, mal ein paar Tage ohne Sport und Leistungsdruck: Wer würde das seinem Pferd nicht gönnen? Doch die Kreditgeber sind von der Idee alles andere als überzeugt. Ob mit oder ohne Pferd: Urlaub werde wegen Corona lange niemand mehr machen, mahnen die Banken. Katrin Bernat speckt die Idee ab: Vom Pferde-Ressort bleibt der als Bonus gedachte Shuttle-Service. Im Juni 2020 bestellt Katrin Bernat den Transporter und lässt ihn nach ihren Wünschen ausbauen. Sie selbst habe sich mit ihren drei Pferden nirgends so richtig aufgehoben gefühlt. „Ich glaube, das geht vielen Pferdehalten so – das will und kann ich ändern.“ Seit drei Monaten geht Katrin Bernat nun mit ihrem bequemen, geräusch- und schüttelarmen Wunder-Truck auf Tour. Über eine Kamera hat sie ihre Passagier im Blick: Es ist eine Kunst, ein Pferd sicher und stressfrei zu verladen. Auf Flucht programmiert, mögen Pferde beengte, ausweglose Räume nicht. Deshalb hat sich Katrin Bernat gegen einen – preiswerteren – Hänger entschieden, der auf Pferde wie ein dunkler Tunnel wirkt, in den sie oft mehr gezerrt als geführt werden. Katrin Bernats Transporter hat eine seitliche Rampe, über die das Pferd in einen offenen, hellen Raum schreitet und bei Unbehagen einfach abdrehen kann. Wer einmal in der richtigen Position angekommen ist, reist rückwärts zur Fahrtrichtung – das ist beim Bremsen sicherer. Über eine Kamera kann Katrin Bernat jederzeit einen Blick auf ihre Passagiere werfen und deren oft ebenso nervösen Besitzern Alles-okay-Fotos aufs Handy schicken. „Ich freue mich unbändig über das Glück und das Lob meiner Kunden“, sagt Katrin Bernat, „das ist es, was mir so gefehlt hat.“ 20 Jahre hat sie gebraucht, das vertraute Terrain zu verlassen. Hat sie alles richtig gemacht? Sie strahlt: „Auf jeden Fall!“ Dennoch zweifelt auch eine Frohnatur wie sie immer mal wieder. Ihre Grübel-Exit-Strategie: „Drei Gläser Wein und früh ins Bett! So ein Neuanfang braucht viel Mut und kostet viele Tränen. Wer etwas anderes behauptet, schwindelt.“ Von Nadine Fabian