Bergsteigen in Potsdam: Wolfgang Mörtl hat 75 Gipfel in der Stadt erklommen

Er hat ihn entdeckt. Den Berg, den es in Potsdam nie gegeben hat, der trotzdem einen Namen trägt und vielleicht irgendwann doch existieren könnte. Das klingt verworren und nach Knoten im Kopf, ist aber eigentlich ganz einfach. Wolfgang Mörtl braucht nur wenige Worte, um die Geschichte rund um den Tempelberg zu erzählen, der streng genommen nur ein Straßenschild ist. Genauer gesagt ein Straßenschild im Potsdamer Ortsteil Eiche, das wahrscheinlich auf die frühere Gestaltung des in der Nähe liegenden Kahlen Berges verweist. „Dort stand Mitte des 19. Jahrhundert ein Rundtempel, der im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. errichtet wurde“, erzählt Mörtl. Allerdings wurde er bereits 40 Jahre später wieder abgerissen, heute erinnert nur noch ein Aquarell des Malers Carl Graeb von 1866 an den damaligen Bau mit korinthischen Säulen. Angefangen hat alles als Hobby: Solche und ähnliche Entdeckungen sind es, die Wolfgang Mörtl in seinem Buch „Bergführer Potsdam. Die schönsten Spaziergänge zu den 75 Gipfeln der Stadt“ beschreibt, das gerade ganz frisch im Bebra-Verlag erschienen ist. Darin verrät er auch, dass es 2001 im Rahmen der Bundesgartenschau schon mal Pläne gab, den ehemaligen Eichener Tempel zu rekonstruieren. Würde es tatsächlich dazu kommen, wäre auch eine Umbenennung des Kahlen Berges in Tempelberg gerechtfertigt, schreibt Mörtl. Angefangen sich mit den Potsdamer Bergen zu beschäftigen, hat der 71-Jährige im Jahr 2015 mit seinem Rentenbeginn. Die letzten zehn Jahre seines Berufslebens hatte der eigentlich seit 1972 in Potsdam lebende Mathematiker in Zittau verbracht. Nur an den Wochenenden pendelte er zur Familie in die brandenburgische Landeshauptstadt. „Im Zittauer Gebirge habe ich das Wandern für mich entdeckt, das war quasi die Initialzündung.“ Zurück in Potsdam stellte er sich dann die Frage, wo hier eigentlich die Berge seien. „Von richtigen Bergen sprechen wir natürlich nicht, aber ich war selbst überrascht, wie viele Hügel es gibt, die den Berg im Namen tragen“, sagt Mörtl. Mörtl wollte zunächst kein Bergbuch schreiben: Und dann ist er losgewandert, hat erst die bekannten Orte, wie den Pfingstberg, den Mühlenberg, oder den Klausberg besucht und dann weiter recherchiert. In Bibliotheken hat er viel Zeit verbracht, mit vielen Menschen gesprochen – Experten und Einheimischen. „Ich hatte dabei unglaublich viele Aha-Erlebnisse und habe immer wieder etwas dazugelernt.“ Den Plan, ein Buch zu schreiben, hatte er damals noch nicht, gesammelt hat er die Informationen zunächst für sich selbst. Doch Mörtls Hobbywanderungen zogen Aufmerksamkeit auf sich. Er wurde für verschiedene Vorträge eingeladen und immer wieder nach einem Buch gefragt. Er selbst war von der Idee zunächst gar nicht so überzeugt: „Ich bin ein Perfektionist, ich wusste also, wenn ich das anpacke, dauert es länger“, sagt er schmunzelnd. Lesen Sie auch Ab an die frische Luft: Wo Sie in Potsdam gut mit Abstand spazieren gehen können Spaziergänge durch Potsdam: Stadtführer empfehlen Routen für Lockdown Digitales Theater, Basteln und Kulinarische Highlights: So können Sie sich die Feiertage trotz Lockdown in Potsdam verschönern Luftschiffhafen Potsdam stellt DDR-Kunst aus Bornstedter Friedhof und Sello-Friedhof mit Lenné-Grab in Potsdam Warum Spazierengehen immer noch im Trend ist Besondere Details und eingemeindete Grenzen: Nicht nur, weil er lediglich das aufschreiben wollte, was er exakt belegen kann, sondern auch, weil er eine Vorliebe für Details hat. Auf dem Fahrländer Mühlenberg beispielsweise entdeckte er das bunt verzierte Grab des Künstlerehepaares Carola und Joachim Buhlmann, hinter dem Schloss Babelsberg zwei lebensgroße Landsknechtsskulpturen vor dem Michaeldenkmal. „Die sind gerade erst vor einem Jahr bei der Restaurierung des Denkmals wieder aufgestellt worden“, erzählt Mörtl. „Solche Dinge zu entdecken ist einfach schön und etwas Besonderes.“ Im Jahr 2018 hat er dann angefangen, ein Manuskript zu schreiben, zu den 59 Bergen, die er bis 2016 auf seiner Liste hatte, kamen noch mal deutlich mehr dazu. „Für mich zählte alles, was Berg heißt und innerhalb der Grenzen von Potsdam liegt“, sagt er. Drei Berge, die streng genommen nicht zu Potsdam gehören, aber direkt an der Grenze liegen, hat er trotzdem mit in sein Buch aufgenommen: den Böttcherberg in Wannsee, den Großen Entenfängerberg in Geltow und den Großen Ravensberg in Bergholz-Rehbrücke. „Die sind von den Potsdamer quasi eingemeindet worden“, sagt er und lacht. Teilweise so sehr, dass er bei seinen Vorträgen schon Diskussionen um die Stadtgrenzen führen musste. Tiroler Berg im Park Sanssouci: In der Hinsicht ist Mörtl, der als promovierter Mathematiker nie ganz von Zahlen lassen kann, sehr genau. So gibt er zu den Potsdamer Bergen nicht nur die Höhenmeter, sondern auch die genauen Koordinaten an. „Damit man auch die im Wald versteckten Orte finden kann.“ Oder den Tiroler Berg im Park Sanssouci, der nahe des Schloss Charlottenhofs liegt und sich gerade mal 1,30 Meter über sein Umfeld erhebt. „Hier wurde Anfang des 19. Jahrhunderts Wein nach der sogenannten Tiroler Art angebaut.“ Apropos Wein: Der Potsdamer Winzerberg ist gar kein Berg, nicht mal ein Hügel, wie Mörtl verrät. Um als solcher zu gelten, braucht es nämlich eine Kuppel. „Es muss hoch, aber auch wieder runtergehen und das trifft beim Winzerberg nicht zu.“ Er sei lediglich eine terrassierte Weinanbaufläche. Der eigentliche Berg sei der dahinter liegende Mühlenberg, den man rechts vom Winzerberg über eine lange Treppe erreicht und der eine fantastische Aussicht auf die Stadt zulässt. Von Sarah Kugler