Es ist gespenstisch ruhig am Montagnachmittag hinter dem Hauptbahnhof. Der Baustellenbetrieb neben der Landesbank ist erloschen; in einem Bagger döst ein Fahrer vor sich hin. Die Sonne heizt das Grundwasser in einer Baugrube auf, in der die Weltkriegsbombe liegt, die man am Dienstag letzter Woche hier gefunden hat. Der 250-Kilo-Blindgänger britischer Bauart liegt unter Wasser, für niemanden sichtbar; außer einem normalen Bauzaun gibt es keine Sicherungen. Lediglich eine etwa drei Monate hohe Strohwand auf einem Wall mit ausgehobener Erde deutet auf die Gefahr, der sich am Dienstag ein weiteres Mal Sprengmeister Mike Schwitzke stellen wird. Er wird erst anfangen können, wenn das Grundwasser des Flusses abgepumpt ist. Und auch dann wird es extrem schlammig werden, viel morastiger als im November vorigen Jahres, als er auf der anderen Seite der Investitions- und Landesbank und näher am Bahnhof entschärfen musste.
Der ist ja ab 7.30 Uhr für den Publikumsverkehr gesperrt, für den Bahnverkehr auch. Die meisten Läden und Dienstleister in den Bahnhofspassagen machen am Morgen gar nicht auf und lassen ihr Personal weit entfernt oder sogar zu Hause das Signal der Entwarnung abwarten. Die Saturn-Belegschaft etwa trifft sich mit der Filialleitung an den nächstgelegenen Bahnhöfen zu einem zweiten Frühstück auf Unternehmenskosten. „Wir hoffen natürlich, dass wir regulär um 9.30 Uhr öffnen können“, sagte eine Konzernsprecherin gegenüber der MAZ: „Wir können aber auch warten.“
Das tun im Grunde alle in den Läden, die sonst zu „normalen“ Zeiten öffnen. Aber es gibt Ausnahmen: Das P & B Buch- und Zeitungsgeschäft etwa hat schon halb fünf Uhr morgens geöffnet und dann auch bis dicht heran an die Sperrzeit. Die vier Mitarbeiter harren dann außerhalb des Sperrkreises auf Entwarnung, um zurückzukehren.
Ganz pragmatisch hat man das Problem im Taschen-Paradies gelöst, wo diejenigen, die außerhalb von Potsdam wohnen, den Tag zu Hause bleiben und später nacharbeiten oder vorarbeiten. Gudrun Henke etwa hat ihren Dienstagsdienst auf Montag vorgetauscht; Filialchefin Peggy Teichert kommt erst nach Entschärfung.
Ganz geschlossen hat an diesem Tag und völlig regulär das Museum Barberini am Alten Markt. Pressesprecher Achim Klapp zufolge greift für solche Fälle ein „Protokoll, das mit den Experten der Bereiche Bau und Sicherheit vor einem halben Jahr bei der Bombenentschärfung ausgearbeitet und angewendet wurde.“ Man werde aber keine Bilder von den Wänden nehmen, sagte Klapp.
In der Stadtverwaltung wird erst im Laufe des Dienstag und abhängig von der Dauer der Räumung und Entschärfung geklärt, ob die eingesetzten Mitarbeiter den Rest des Tages noch mal arbeiten kommen müssen. Seit Donnerstag werden die Mitarbeiter in den jeweiligen Geschäftsbereichen angesprochen per E-Mail und per Intranet. Sie können sich freiwillig melden. „Wenn nicht ausreichend Personen gefunden werden, müssen die Führungskräfte noch jemanden bestimmen“, informierte Stadtsprecher Jan Brunzlow. Auf 300 Helfer muss man kommen, um Haus für Haus zu überprüfen, ob es leer ist. Das kann Stunden dauern, wie die Entschärfung vom November 2017 zeigte.
Die gesamte Verwaltung hat 2400 Beschäftigte. Es soll keine Servicestelle wegen der Entschärfung schließen müssen. Am Bahnhof ist es die vierte Bombe; hier wurden bereits rund sechs Tonnen Munitionsreste geborgen. Dem Vernehmen nach hat die Bombe keinen chemischen Zünder, der als sehr riskant gilt: es ist ein mechanischer Zünder, über dessen Zustand Schwitzke bislang keine Angaben gemacht hat.
Von Rainer Schüler