Bürger für Sacrow wehren sich gegen Vodafone Sendemast und B2 Krampnitz

Wie man Sacrow findet? „Man findet es eben nicht – das ist ja das Tolle!“ Achim Haid-Loh muss es wissen, denn dass er heute im – gemessen an den Einwohnerzahlen – kleinsten Ortsteil Potsdams lebt, ist „ein glücklicher Zufall“, wie er sagt. Geboren und aufgewachsen im tiefen Südwesten Deutschlands, zum Studieren und vielleicht auch zum Erwachsenwerden Mitte der Siebziger nach West-Berlin gegangen, war Sacrow für ihn zunächst überhaupt nicht existent – und dann, nach dem Fall der Mauer, kaum mehr als ein weinseliger Sommerflirt. Seit etwas Festes draus geworden ist, gilt Achim Haid-Loh als einer der energischsten Streiter für Potsdams bedrohtes Idyll. Sacrow – das ist nicht etwa Latein, wie mancher vermuten mag. „Sacrow bedeutet also nicht so etwas wie: Heiliger Ort“, sagt Achim Haid-Loh. „Sacrow ist slawischen Ursprungs und bedeutet: Hinterm Busch.“ Der Name ist Programm bis heute: Wald, Wasser, wieder Wald und noch mehr Wasser: Sacrow ist malerisch und trotz seiner Nähe zu Berlin und Potsdam abgeschieden im Grünen gelegen. Wer Sacrow wählt, wählt Kontemplation und Entschleunigung – das war schon Ende des 19. Jahrhunderts so, als die Metropolen der Moderne wuchsen und wuchsen und die Sehnsucht, die Stadt hinter sich zu lassen, unstillbar schien: Es kamen (und bauten) Angler und Laubenpieper, Industrielle, Politiker und Künstler. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erblüht Sacrow so zu einem exklusiven Ausflugs- und Wohnort – und ist das heute wieder. Der diskrete Charme des märkischen Dorfes mit seinen knapp zwei Dutzend Villen zieht die Prominenz an, die mit dem Sehen-und-gesehen-werden der etablierten Prachtviertel nicht allzu viel am Hut hat. „Ein Freund meiner Frau hatte in den Neunzigern ein Grundstück in Sacrow ersteigert und einen Bauwagen als Sommerdomizil draufgestellt“, erzählt Achim Haid-Loh. Ach, wie viele Feste sie hier gefeiert, launige Stunden genossen haben! Aber herziehen? Dem Paar liegt Berlin näher, als es nach der Jahrtausendwende ein Haus bauen will. Man sucht in verschiedenen Lagen und wird nicht fündig. Eines Tages dann die Idee: „Er hatte das Grundstück, wir wollten bauen – also haben wir uns zusammengetan“, erzählt Achim Haid-Loh. Das Haus, das 2007 in ökologischer Bauweise entstand und voneinander getrennte Wohnungen beherbergt, schmiegt sich an die Sacrower Wildnis. Die beginnt direkt hinter der Grundstücksgrenze und schleicht sich hier und da in den umhegten und doch herrlich ungezähmten Garten, an dessen Ende der Schiffgraben liegt. Vor ein paar Jahren hätte an dieser Stelle „...an dessen Ende der Schiffgraben fließt“ stehen können. Doch der Graben, der den Sacrower See mit der Havel verbindet, gerät mehr und mehr zum fauligen Tümpel. Nur eines von wenigstens vier Problemen, denen sich eine Bürgerinitiative entgegenstemmt. Die einst im BER-Flugrouten-Streit gegründete und siegreiche BI „Schützt Potsdam“ gehört zu den Schrittmachern, von denen es eine Handvoll in Sacrow gibt. Da wäre natürlich die Feuerwehr, die Frühjahr für Frühjahr ein geradezu legendäres Osterfeuer entfacht, an dem sich Alteingesessene und Zugezogene gleichermaßen einfinden. „Keiner, der den Termin nicht in seinem Kalender anstreicht und blockt“, sagt Achim Haid-Loh. Da wären Ars Sacrow mit erstklassigen Ausstellungen, Lesungen, Film- und Musikabenden, die Kirchengemeinde, die Angler, die Laubenpieper und der Sportverein. Sie alle mischen auch im selbstverwalteten Beirat „Bürger für Sacrow“mit: Eine wichtige Instanz in Potsdams einzigem Ortsteil, der keinen Ortsbeirat hat – also kein offizielles Gremium mit Rederecht in der Stadtpolitik. „Ein historisches Unding“, sagt Achim Haid-Loh. „So fallen wir regelmäßig bei allen Dingen durchs Rost.“ Um sich wenigstens einmal im Jahr bei der Stadtspitze Gehör für die großen und kleine Probleme im Ort zu verschaffen, bittet der Bürgerbeirat seit 2001 zum traditionellen Rosenmontagstreff. „Es hat schon etwas von einem gallischen Dorf, wenn der Oberbürgermeister mit seiner Entourage bei uns Hof hält“, sagt Achim Haid-Loh. Ein scherzhafter, aber doch ernst gemeinter Wink. Ja, die Sacrower sind ein wehrhaftes Volk. Achim Haid-Loh gehört zum Vorstand der BI. Er möchte, dass Sacrow bleibt, was es ist: „Ein kleines Idyll, ein kleines Naturparadies zwischen den Hauptstädten. Ein Ort mit guter, frischer Luft, mit Ruhe und klarem Sternenhimmel, mit Kunst, Kultur und Historie, mit unterschiedlichen Sozietäten und mit dörflichem Zusammenhalt.“ Knapp 250 Plakate – mehr als Sacrow Einwohner hat – hat die BI im Dorf verteilt und an Zäune und Laternen geknüpft. Parolen für Potsdams Ohren: „Mike Schubert, warum tun Sie nichts?“ – „Vodafone, was soll das?“ – „Axel Vogel, warum lassen Sie das zu?“ – Und darum geht es: Der Sendemast: Das Mobilfunkunternehmen Vodafone will einen 44 Meter hohen Sendemast in Sacrow errichten. Eine Verschandelung der einmaligen Kulturlandschaft, meint die BI, denn der weithin sichtbare Mast würde das Ortsbild dominieren. Die BI fordert, den Mast zu verlegen und hat mehrere Alternativstandorte vorgeschlagen – bislang ohne Erfolg. Nun könnte der Protest noch einmal an Verve gewinnen, denn gegen den Sendemast wehren sich inzwischen auch die Nachbarn im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Der Verkehr: Die Landeshauptstadt bastelt am neuen Stadtteil Krampnitz – droht Sacrow die Berlin-Pendler-Blechlawine? Nein, sagt die Landeshauptstadt. Sehr wohl, widersprechen die Sacrower, die Vorboten seien längst da. Die Prognose der Verkehrsplaner geht davon aus, dass im Jahr 2030 täglich bis zu 750 Autos durch Sacrow rollen . Sie halten die B2 für die günstigste Route zwischen Potsdam und Spandau und erwarten, dass nur wenige die etwa zehn Minuten längere Strecke über Sacrow und Kladow nutzen. Die BI zählt dank einer fest an der Ortsdurchfahrt installierten Messanlage schon heute bis zu 1500 Fahrzeuge pro Tag mit zum Teil erheblichen Geschwindigkeitsübertretungen. Der Schiffgraben: Die Verbindung zwischen Sacrower See und Havel ist zum stinkenden Relikt der deutsch-deutschen Teilung verkommen. Nachdem die Brücke über den Wasserlauf zugeschüttet und in den Erdwall für den Durchfluss Röhren eingebaut worden waren, wurden diese wiederum vergittert, um DDR-Bürger an der Flucht in den Westen zu hindern. Mehr als drei Jahrzehnte nach der Wende gibt es die Gitter noch immer. Weil sie auch Laub, Äste, Unrat und Schlamm aufhalten, sind die dahinterliegenden Röhren verstopft – der Graben verlandet zusehends, die Frischwasserzufuhr für den Sacrower See ist versiegt. Der Graben gleicht einem schwarzen Pfuhl. Dessen Ausdünstungen stinken zum Himmel. Der See: Kippt er oder kippt er nicht? Mit Sorge schauen die Sacrower auf einen der schönsten Seen Potsdams. Nicht allein der Wasseraustausch via Schiffgraben setzt dem Sacrower See zu. Weil sein Pegel sinkt, büßt er nun auch seinen Schilfgürtel und damit seine natürliche Kläranlage ein. Ist es der Klimawandel? Sind es zunehmende Grundwasserentnahmen? Bis diese Fragen hinlänglich geklärt sind, könnte neben der Renaturierung des Schiffgrabens die bereits Anfang der 1990er von der Stadt angeschaffte Sauerstoffanreicherungsanlage erste Abhilfe schaffen. Wie ein Geisterschiff lugt sie aus der Mitte des Sees: seit Jahren abgeschaltet, kontinuierlich gewartet – doch aus Kostengründen bisher nicht wieder in Betrieb genommen. Alle Geschichten unserer großen Potsdamer Stadtteil-Serie lesen Sie unter: potsdam.maz-online.de Das Datenjournalismus-Projekt „Potsdam ganz nah“ ist gefördert durch das Kartographen Mercator Stipendien-Programm für JournalistInnen – eine Initiative des gemeinnützigen Vereins Fleiß und Mut e.V. Von Nadine Fabian