Corona-Quarantäne mit Kleinkind: Ein Erfahrungsbericht aus Potsdam

Am vorletzten Tag sagt mein Sohn, dass er endlich wieder in die Kita möchte. Er, der an jedem einzelnen Morgen erstaunlich argumentstarke Diskussionen darüber anfängt, dass er eigentlich lieber zu Hause auf dem Sofa bleiben möchte, dass er weder ins Auto noch in den Fahrradanhänger steigen wolle, dass seine Freundinnen und Kumpels im Kindergarten heute alle nicht da seien – er vermisst die Kita. Klar, seit eineinhalb Wochen sind wir als so genannte Kernfamilie in unserer Wohnung kaserniert: Das Kind ist in Quarantäne. Das bedeutet, dass wir Eltern zwar zur Arbeit oder einkaufen dürfen, unser Dreijähriger aber nicht spazieren gehen, sich kein Brötchen beim Bäcker aussuchen, nicht auf den Spielplatz, nicht zu Oma und Opa, natürlich nicht in die Kita. Wir sind damit nicht allein, in unserer Einrichtung stehen zwei Gruppen samt Erzieherinnen unter Quarantäne, stadtweit sind es zeitgleich mit uns zwischen 850 und 1150 Menschen. Menschen, die, so der offizielle Absonderungsbescheid des Gesundheitsamts, der im streng-gelben Umschlag daherkommt, der Beobachtung durch das Amt unterliegen. Sie müssen „Untersuchungen und Entnahmen von Untersuchungsmaterial durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes an sich vornehmen lassen“, können vorgeladen werden, müssen über ihren Gesundheitszustand Auskunft geben, im Zweifel auch fremde Menschen in die Wohnung lassen – „zum Zwecke der Befragung oder der Untersuchung“. 30 Minuten Kontakt zu infiziertem Kind bedeuten Quarantäne: Der dreijährige Quarantänling zeigt sich herzlich unbeeindruckt von derlei Anordnungen, er geht lieber ins Wohnzimmer, spielen. Er war, das erfahren wir im Gespräch mit dem Ermittlerteam des Gesundheitsamtes, etwa eine halbe Stunde lang zeitgleich mit einem Corona-positiven Kind in der Kita. Vom Moment dieses Kontakts an muss er also in die häusliche Absonderung. Immerhin ist kein Sommer, denke ich noch. Zu dritt in unserer Dachgeschosswohnung ohne Balkon, in der im Juli und August regelmäßig weit über 30 Grad Celsius zu messen sind – eine Tortur. Doch auch im Winter ist die Komplettbetreuung in den eigenen vier Wänden kein Erholungsurlaub. Unser Kind ist es gewohnt, zu toben und zu rennen, fast täglich gehen wir nach der Kita noch eine Stunde spazieren oder auf den Spielplatz, um ihn auszupowern. Die Großeltern liefern nun Spiele an, der Kleine sprengt sämtliche empfohlenen Fernsehzeiten, wir backen Kekse, wir dekorieren Kekse, wir essen Kekse. Der tägliche Anruf vom Gesundheitsamt: Nach ein paar Startschwierigkeiten ruft jeden Tag ein freundlicher Soldat aus dem Amt an, fragt nach dem Gesundheitszustand meines Sohnes. Die Gespräche dauern maximal 30 Sekunden. Dass der Kleine seit Tagen heftigen Husten hat, weiß das Amt – einen Covid-Abstrich im Testzentrum in der Metropolishalle organisieren wir Eltern aber gemeinsam mit unserer Kinderärztin und den Menschen in der Hotline des Kassenärztlichen Verbandes (KVBB). Lesen Sie auch: Corona in Potsdam: Das sind die aktuellen Zahlen aus der Landeshauptstadt Quarantäne-Tagebuch: Mitarbeiter aus dem Omi-Opi-Haus in Potsdam erzählen, wie es ihnen geht Potsdam Corona Glühwein: Alkoholverbot in der Öffentlichkeit Eine Reihentestung aller, die Kontakt zum erkrankten Kind hatten, gibt es nicht und einen Test für unser symptomatisches Kind erachtet keiner meiner Gesprächspartner im Gesundheitsamt als notwendig. Unsere Ärztin und die KVBB sehen das komplett anders. Denn obwohl die Situation ernst genug für eine Quarantäne ist: Die Eltern und Geschwister der Kita-Gruppen, die Partner der Erzieherinnen und deren Kinder können sich alle anstecken und das Virus weiter in der Stadt verbreiten. Dieses Vorgehen entspricht den Richtlinien des Robert Koch Instituts, aber verständlich ist es für uns nicht. Corona-Test ist negativ: Zwei Tage nach dem Test wissen wir: Der Husten ist zwar hartnäckig, aber harmlos, der Sohn hat kein Covid-19. In Berlin wäre die Quarantäne damit beendet. In Brandenburg haben wir zu diesem Zeitpunkt noch eine Woche vor uns. Unser Amts-Soldat hat jetzt Urlaub, wir versuchen, dem Kind das Herumsitzen ebenfalls als Erholung zu verkaufen. Das klappt eher so mittelgut. An Arbeit ist für mich nicht zu denken, also baue ich Überstunden ab, weil man als betreuendes Elternteil zwar gemäß Beschluss des Bundesfamilienministeriums für den Verdienstausfall entschädigt wird, aber dabei ein Drittel weniger Lohn bekommt. Wäre ich selbst Kontaktperson, würde ich voll bezahlt werden – fair ist das nicht. Natürlich sind in der Zuhausezeit viele Momente schön. Wir können täglich gemeinsam kochen, mein Sohn lernt, Kartoffeln zu schneiden. Wir erfinden ein Putz-Perpetuum-Mobile, indem ich staubsauge und er dabei Kekse knuspernd (die selbstgebackenen) hinter mir her läuft. Wir spielen in der Wohnung Fußball, lesen unzählige Geschichten, ich verliere Dutzende Male im Memory, wir puzzeln, schreiben einen Brief an den Weihnachtsmann. Kurz nach draußen – zum Corona-Test: Als direkt vor der Tür eine Baustelle entsteht – für kleine Kinder ein Unterhaltungshöhepunkt – schaffen wir es, die Besichtigung des Baggers mit einem Mini-Spaziergang zum Auto zu verbinden: Weil wir zum Coronatest müssen, dürfen wir kurz raus. Durch das Kinderzimmerfenster sehen wir zusammen den ersten Schnee fallen. Wir zählen die Sterne, die an den Nachbarhäusern hängen. Eine Bekannte ist mit ihrem Zweijährigen bereits zum zweiten Mal in Quarantäne, eine Freundin mit vier Kindern und einem Lehrer-Ehemann bangt seit Monaten täglich vor dem einen Anruf aus dem Amt. Ein anderer Vater im Freundeskreis hat gerade die Quarantäne mit seinen sechs Kindern zwischen Kita- und Uni-Alter verbracht und dabei online Tagebuch geführt. Ein Freund berichtet von seinem positiven Schnelltest: Corona ist überall, jeder ist mittlerweile irgendwie betroffen. Rekordzahlen aus dem Frühjahr übertroffen: Zugleich steigen die Infektionszahlen weiter und weiter, die Sieben-Tages-Inzidenz in Potsdam übersteigt zum Ende unserer Absonderung erstmals die bisherigen Rekordzahlen aus dem Frühjahr. Damals waren allerdings fast alle Infektionen mit den Ausbrüchen im Klinikum in Verbindung zu bringen, heute ist das Geschehen nicht mehr zu kontrollieren. Längst zucke ich zusammen, wenn in einem Film Menschen eng zusammenkommen. Draußen, in der echten Welt, wird derweil diskutiert, ob man sich noch zum Glühweintrinken treffen darf, während trotz allem die Bundesliga läuft. Dann, an einem Montag, endet die Quarantäne. 14 Tage sind vorbei, unser Vertretungssoldat im Amt entlässt uns beeindruckend unspektakulär zu Mitternacht aus der Häuslichkeit. Am nächsten Morgen möchte unser Sohn nicht in die Kita – endlich wieder etwas Normalität. Von Saskia Kirf