Corona in Potsdam: Vorwürfe gegen das Bergmann-Klinikum verschärfen sich

Verschweigen, abwiegeln – vertuschen? Das Ernst-von-Bergmann-Klinikum hält die Stadt weiter hin. Wie berichtet, hat das Klinikum die Unterlagen zum Ausbruch des Coronavirus innerhalb des Krankenhauses nach Androhung eines Zwangsgeldes von bis zu 50.000 Euro am Donnerstag zwar vorgelegt – diese sind laut Stadt aber unvollständig. So fehlen unter anderem Angaben zu Covid-positiven Mitarbeitern und damit wichtige Informationen, um Infektionswege innerhalb des Krankenhauses und möglicherweise hinaus in die Stadt und die Region rekonstruieren zu können. Eine für Freitag einberufene Sondersitzung des Aufsichtsrates dazu wurde nach MAZ-Informationen nach rund vier Stunden unterbrochen und soll am Dienstag fortgesetzt werden. Am heutigen Samstag tagt zudem der Hauptausschuss zum Thema. Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung: Zu beiden Terminen waren der vorsitzende Geschäftsführer Steffen Grebner und die medizinische Geschäftsführerin Dorothea Fischer geladen. Gegen sie und drei leitende Ärzte hat die Stadt Ordnungswidrigkeitsverfahren eröffnet, das sie an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Inzwischen hat zudem die Deutsche Stiftung Patientenschutz Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung gestellt. Fest steht bisher: Seit mehr als zwei Wochen hält das Klinikum Informationen zurück, die für die Aufarbeitung und Nachverfolgung der außer Kontrolle geratenen Coronavirus-Verbreitung innerhalb des Krankenhauses elementar sind. Die Klinikspitze begründet die Entscheidung mit den laufenden Verfahren: Man wolle sich nicht selbst belasten. Recherchen der MAZ zeigen: Dieses Hinhalten hat System. Schon früh hat das Klinikum dem Krisenstab der Stadt wichtige Informationen vorenthalten – spätestens aber, seit dort der erste Patient mit Covid-19 gestorben ist. Das tägliche MAZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Brandenburg täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Am 26. März hatten Klinikum und Stadt den Tod eines mit dem Coronavirus infizierten 88-Jährigen öffentlich gemacht. Was damals niemand sagte: Der Mann starb nicht etwa isoliert auf der Infektiologie, sondern auf der Geriatrie. Die Altersmedizin, das hat das Klinikum eingeräumt, gehört zu den am stärksten vom Virusausbruch betroffenen Stationen. Wann dort der erste covid-positive Patient erkannt wurde, ließ das Klinikum auf MAZ-Anfrage offen. In einem Artikel des Wochenmagazins „Der Spiegel“ hat die Chefärztin am 25. März „den ersten offiziellen Corona-Patienten auf ihrer Station“ identifiziert. Infektionen auf der Geriatrie: Gruppenarbeit und viele Besucher: Die Geriatrie gehört zu den betriebsamsten Stationen. Dort sollen ältere Menschen nach Behandlungen im Krankenhaus und Operationen wieder zu Kräften und Mobilität kommen. Verschiedene Therapien und Trainings – oft in Gruppen – bestimmen den Alltag. Zum Team der Altersmedizin gehören deshalb nicht nur Ärzte und Pfleger, auch Sozialarbeiter, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden und weitere Spezialisten gehen dort ein und aus. Einmal in der Woche kommen die Klinikclowns zu Besuch. Obwohl das Leben jenseits der Krankenhausmauern seit dem 16. März ausgebremst ist und strenge Kontaktbeschränkungen gelten, finden auf der Station nach MAZ-Informationen zum Beispiel die Gruppentherapien und das gemeinsame Essen noch bis zum 27. März statt. Eine Anfrage beim Klinikum dazu blieb ohne Antwort. Bergmann-Klinikum nimmt doch Corona-Patienten auf Patientenschutz-Stiftung stellt Strafanzeige gegen Bergmann-Klinikum Was genau in den Tagen Ende März innerhalb des Krankenhauses passiert, hält das Klinikum zum Teil bis heute unter Verschluss. Die Sequenzen der Linelist, die der Stadt noch immer nicht vollständig vorliegen, betreffen die Wochen vor dem 2. April. „Wir haben einen Ausbruch“: Bekannt ist, dass das Klinikum in der Nach auf 28. März eine Häufung von positiven Test-Ergebnissen entdeckt – laut „Spiegel“ „waren oder sind“ zu diesem Zeitpunkt die meisten Betroffenen auf der Geriatrie. Deren Chefärztin habe am Morgen erklärt: „Wir haben einen Ausbruch.“ Mittags beginnt das Klinikum, stationäre und künftige Patienten sowie Mitarbeiter reihenweise zu testen. Dabei soll zunächst nur das Personal von Geriatrie, Nephrologie, Chirurgie und Urologie abgestrichen werden. Nach MAZ-Informationen verständigen sich die Mitarbeiter untereinander – und meutern. Deutlich mehr Mitarbeiter als vom Klinikum vorgesehen erscheinen zum Test und bestehen darauf, abgestrichen zu werden. Die Sorge, infiziert zu sein, ist groß. Verdachtsfälle auf mehreren Stationen: Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagt, er sei am 28. März von Klinikchef Steffen Grebner angerufen und informiert worden, dass es Verdachtsfälle auf mehreren Stationen gibt. Dass am Klinikum etwas vor sich geht, ist da nicht mehr zu verhehlen: Vor dem Haupthaus bildet sich eine Warteschlange derer, die zum Covid-Test wollen. Als Schubert am Morgen des 29. März in der Sitzung des Krisenstabs des Klinikums erscheint – so schildert er es – habe man ihm folgende Zahlen präsentiert: 17 positive Fälle, davon neun auf der Intensivstation, davon acht beatmet. Am Abend selben Tages hat das Klinikum das Gesundheitsamt über eine Häufung von Fällen informiert. Am 30. März, so Schubert, geht gegen 10 Uhr bei der Stadt die offizielle Meldung des Klinikums über einen abrupten Anstieg der positiven Fälle ein – konkret: 58 positive Patienten, neun beatmet auf der Intensivstation. Bergmann-Klinikum legt Corona-Liste vor – doch die ist unvollständig Corona-Krisenstab schreibt an die Mitarbeiter des Potsdamer Klinikums Am Nachmittag treten der Oberbürgermeister, die Amtsärztin und die Klinik-Geschäftsführer vor die Presse: den Begriff „Ausbruch“ verwendet niemand. Dennoch erhöht sich ab diesem Moment der Druck auf die Klinikleitung – und zwei Fragen werden immer drängender: Wie konnte es zu dem Ausbruch kommen? Und wie ist die Situation unter Kontrolle zu bringen? Daran, dass das Klinikum die Krise allein in den Griff bekommt, glauben der Oberbürgermeister und auch Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht. Am Abend des 30. März einigt man sich, das Robert-Koch-Institut (RKI) um Hilfe zu bitten. Am Morgen des 31. März stellt die Stadt ein Amtshilfeersuchen – und verhängt Tags darauf den Aufnahme- und Verlegungsstopp. Parallel – so schildert es der Oberbürgermeister – beginnt das Ringen mit dem Klinikum um Antworten zum Ausbruchgeschehen. Das Bergmann verweigert umfassende Informationen, legt lediglich Zahlen vor – jegliche Angaben zu Stationen, infizierten Mitarbeitern oder ähnlichem fehlen. Am 2. April fordert das Gesundheitsamt das Klinikum zum ersten Mal schriftlich auf, die sogenannten Linelists sowie ein Verlegungsprotokoll herauszugeben. Vergeblich. Die Stadt thematisiert die Auseinandersetzung mit dem Klinikum nicht, noch am Ostermontag hält die Amtsärztin die Öffentlichkeit in dem Glauben, dass es diese Linelist im Klinikum überhaupt nicht gibt. Erst nachdem die MAZ am Dienstag erfährt, dass das Klinikum diese Dokumentation sehr wohl führt, räumt die Stadt den Konflikt mit dem Klinikum ein und Schubert, der inzwischen auch politisch zunehmend unter Druck gerät, nennt Details. Ärzte haben meldepflichtige Fälle nicht mitgeteilt: Danach erhält die Stadt am 4. April zwar eine Liste mit Abverlegungen aus der Geriatrie, aber auch die ist unvollständig. Dennoch reichen die Daten, die der Stadt bis dato vorliegen, offenbar aus, um feststellen zu können, dass leitende Ärzte dem Gesundheitsamt meldepflichtige Fälle nicht mitgeteilt haben. Doch was tun? Da die Klinik in dieser akuten Krise gerade auf das Führungspersonal dringend angewiesen sei, habe er zunächst den milden Weg gehen wollen, berichtet Schubert. Sein Vorschlag: ein Ordnungswidrigkeitsverfahren ohne Strafverfahren – geführt von Amtsärztin Böhm. Prüfung der Vorwürfe durch die Staatsanwaltschaft: Er hält Rücksprache mit den Fraktionsvorsitzenden, die allerdings auf unabhängige Aufklärung und die Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft drängen. Nur einen Tag später, am 7. April, fällt dann nach Vorlage des Berichts des Robert-Koch-Instituts die Entscheidung: Die Verfahren werden auf die beiden Geschäftsführer des Klinikums ausgeweitet – und zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Am selben Tag fordert das Gesundheitsamt das Klinikum ein weiteres Mal schriftlich zur Herausgabe der Linelists auf. Nun antwortet das Bergmann und verweigert ausdrücklich die Herausgabe der Listen mit Datum vor dem 2. April. Das Klinikum begründet die Entscheidung mit den laufenden Verfahren und der Gefahr, dass sich die Betroffenen mit der Herausgabe der Daten selbst belasten. Ein Argument, das die Stadt nicht gelten lassen will. Unter Androhung eines Zwangsgelds fordert man das Klinikum am 15. April ein weiteres Mal schriftlich auf, die Listen binnen 24 Stunden vorzulegen. Am 16. April dann die Ernüchterung: Das Klinikum hat zwar Listen vorgelegt – allerdings lückenhaft. Bleibt die Frage: Warum weigert sich das Klinikum, die Listen herauszugeben? Liegen sie doch nicht vollständig vor? Oder sind darin Informationen zu finden, die das Klinikum zurückhalten will? Ob die Aufsichtsratssitzung am Freitag Klarheit gebracht hat, ist offen. Dem Vernehmen nach wurde ein Beschluss über die mögliche Abberufung der Geschäftsführung auf Dienstag vertagt. Bis dahin hat das Klinikum noch einmal die Chance, Informationen nachzuliefern. Man soll während der Sitzung die Ereignisse im Klinikum Stück für Stück aufgearbeitet haben. Dabei ging es um Sachlagen und Meldeketten. Von Nadine Fabian, Ildiko Röd und Anna Sprockhoff

Covid-19 in Potsdam - Corona im Bergmann: Vorerst keine Entscheidung über Abberufung der Potsdamer Klinikchefs