Der Berliner Kabarettist Tilman Lucke zeigt sein Programm „Verdummungsverbot“ in Potsdam

Zum Sommerfest des Bürgerhauses Stern präsentiert Tilman Lucke sein Programm „Verdummungsverbot“. Mit der MAZ sprach er vorab über Haltung und Unterhaltung. Herr Lucke, wie wird man Kabarettist? Tilman Lucke: Ich habe bereits als Jugendlicher gerne Gedichte geschrieben, Klavier gespielt und mich für Politik interessiert. Außerdem stehe ich gerne auf der Bühne. Als mir meine ehemalige Schule in Öhringen bei Heilbronn einen Testlauf für ein abendfüllendes humoristisches Programm bot, war im Anschluss die Entscheidung gefallen. Was zeigten Sie damals? Es war 2005, als die Bundestagswahl vorgezogen wurde. Ich nannte es „Nebenbei bemerkelt“, und weil es zwölf Tage nach der knappen Wahl von Angela Merkel war, musste ich natürlich aktuell auf die Wahlergebnisse eingehen. Es war noch gar nicht klar, ob sie Kanzlerin werden würde, weil sie nicht so viele Stimmen hatte wie erhofft und Schröder am Sessel kleben blieb. Ich schrieb bis zur letzten Minute an dem Programm. Das war aufreibend, auch weil ich alles zum ersten Mal machte, aber das Ergebnis hat sich gelohnt. Mit großem Jugendbonus: Da waren Sie erst 21. Ja, der Jugendbonus war sicher groß, und noch heute halten mich manche für jünger als ich bin. Es ist zweischneidig, wenn man in Verbindung mit dem Alter gelobt wird, wenn es heißt: „Der ist so jung, dafür kann er das ja schon gut.“ Aber ich habe nie jugendbezogene Inhalte gespielt. Hatten Sie keine Bedenken, ob sie sich durchsetzen? Ich wusste, dass es kein vorgefertigtes Berufsbild gibt und dass es nicht leicht werden würde. Aber obwohl ich schon zwei Jahre Geschichte und Mathematik studiert hatte und Lehrer werden wollte, war meine Leidenschaft stärker. Es hätte auch scheitern können, aber ich fühlte, dass ich es realistisch einschätzte. Inzwischen geben Sie selbst Kabarettkurse. Genau, ich biete im Winter einen Ferienkurs im Süden und seit zehn Jahren einen Osterkurs im Berliner Kabarett „Distel“ an, der in eine öffentliche Aufführung mündet. Teilnehmer können in einer kleinen Gruppe Texte vorbereiten und unter Anleitung schreiben. Wir proben, und ich mache sie bühnenfit. Es gibt auch eine Einführung in die Funktionen von Komik und ein paar einfache Regeln, die einem helfen, um zum Beispiel für private Feiern Beiträge zu verfassen. Die Leute haben unterschiedliche Vorkenntnisse, von Anfängern bis Halbprofis, das macht den Reiz aus. Es sind auch welche dabei, die den Kabarettkurs nur als einmaligen Ausflug in diese Welt sehen, über die freue ich mich auch. Relevanz macht den Unterschied: Was kennzeichnet einen guten Kabarettisten? Er ist relevant, mit dem was er sagt; hat Themen, die ihn und die Leute interessieren. Er hat etwas Eigenes, eine eigene Note, und versteht es zu unterhalten. So, wie mein Kollege Jürgen Becker sagt: „Kabarett ist schön und gut, aber man muss auch mal ’nen Witz machen können.“ Zu Relevanz zähle ich auch die Haltung – nicht als Prediger, als moralisch Erhobener, sondern um Gedanken an die Hand zu geben. Haltung wird zurzeit sehr häufig gefordert. Ja, vor allem von Leuten, die sich für progressiv halten, wird der Begriff inflationär verwendet. Es gibt auch Kabarettisten, die fast religiös eine Haltung von anderen fordern. Dabei ist es eine Perversität des Begriffs, das Gegenteil von Haltung, wenn man einfach nur sagt, was gewünscht ist – weil es nicht immer aus der eigenen Überlegung entspringt. Sind Sie denn schon angeeckt? Ein, zwei Mal habe ich ein Buh geerntet. Das finde ich aber besser, als wenn man sich aus opportunistischen Gründen irgendwo einreiht. Man macht es sich leicht, wenn man die „geforderte“ Meinung einfach wiedergibt. Das passiert sehr oft, ist aber weniger interessant oder originell. „Merkel lag vier Jahre im Wachkoma“: Sie haben schon etliche Preise erhalten. Was wird da eigentlich ausgezeichnet? Es gibt spezielle Auszeichnungen, die auf eine Sache abzielen, wie den Stuttgarter „Troubadour“ für Chansons. Da hatte ich Text und Melodie selbst geschrieben. Insgesamt ist es eine Wertschätzung: Es heißt nicht, „der muss gut sein“, sondern, „der kam da ganz gut an“. Verraten Sie zum Schluss noch, was den Zuschauer im Bürgerhaus Stern erwartet. Es ist ein Rundumschlag zur Weltlage, der die Entwicklungen rund um Corona mit einbezieht. Es findet im Saal statt, mit Klavier, ich darf auch singen. Die bevorstehende Wahl in den USA und sonstige Autokratien werden Thema sein, und ich baue mein Biene-Maja-Lied über das Bienensterben ein. Außerdem beschäftigt mich die Frage: In welchem Zustand ist die große Koalition vor der Bundestagswahl? Wird Scholz wie seine zahlreichen Vorgänger unter die Räder kommen, weil er dort nach seinem Profil sucht? Bleibt Frau Merkel, unsere klebende Legende, anders als versprochen vier weitere Jahre im Wachkoma? Und wer das verpasst, kann mich im Herbst wieder mit meiner Late-Night-Show „Frisch gepresst“ in der „Distel“ sehen. Freitag, 28. August, 17 Uhr Sommer-Event (Eintritt 9 Euro), 19 Uhr Kabarett „Verdummungsverbot“ (Eintritt 10 Euro). Bürgerhaus Stern*Zeichen, Galileistr. 37-39, Potsdam. Reservierung: 0331 600 67-61/-62 oder info@buergerhaus-stern.de Sie wollen immer bestens informiert sein, was sich in Ihrer Stadt verändert, aber nicht ständig die News checken? Dann haben wir genau das Richtige für Sie: Unseren kostenlosen Newsletter „Potsdam ganz nah“. Zweimal wöchentlich nehmen wir Sie mit auf einen Streifzug durch die Landeshauptstadt und geben Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Nachrichten. Aber wir blicken auch hinter die Kulissen. 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