Ein Jahr mit Doppelbelastung: Pfarrer Tobias Ziemann blickt auf 2020 zurück

Corona ist allgegenwärtig, doch für sie ist der Rückzug ins Homeoffice keine Option: die Männer und Frauen, die ihren Job weiter vor Ort machen, weil es anders nicht geht – die an der Supermarktkasse sitzen und hinterm Lenkrad des Linienbusses, die im Krankenhaus, in der Kita und in der Pflege für andere da sind, Essen und Pakete ausliefern. Sie sind unsere Heldinnen und Helden der Krise. Die MAZ stellt einige von ihnen vor. Heute: Pfarrer Tobias Ziemann (37). Selten war die Weihnachtsbotschaft dringender: Lange war die christliche Weihnachtsbotschaft nicht mehr so dringend und wahr wie in diesem Jahr. So sagt es Tobias Ziemann, Pfarrer der Erlöserkirche: „Gott begibt sich vom Himmel in unsere Welt, er macht sich dorthin auf, wo es unbequem ist.“ Und unbequem ist es in diesem Jahr auf vielen Ebenen, ungewiss in Bezug auf jegliche Planung – auch in der Kirche. Für Ziemann stand zwar bereits Anfang Dezember fest, dass er in der Erlöserkirche keinen Heiligabend-Gottesdienst halten würde, an den Feiertagen waren sie allerdings noch angedacht. Seit Montag ist nun klar: In Potsdam werden keine Gottesdienste zur Weihnachtszeit stattfinden, die Erlöserkirche hat bis zum 10. Januar alle Veranstaltungen abgesagt. „Das ist wirklich traurig, ein nie dagewesener Zustand. Karfreitag, Ostern und Weihnachten sind ausgefallen“, sagt Ziemann. „Aber es ist nur vernünftig, so weh es tut.“ Die Erlöserkirche hat auf YouTube einen hörbaren Adventskalender organisiert, dessen Videos noch immer unter dem Kanal „Erlöserkirche Potsdam“ abrufbar sind. Zu finden sind dort „Türchen“ mit Musik und Texten zum Anhören. Ebenfalls dort zu finden ist ein einstündiges Adventskonzert für Trompete und Orgel aus der Erlöserkirche Potsdam. Gespielt werden unter anderem „Tochter Zion, freue dich“, „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ und „Maria durch ein’ Dornwald ging“. Am Heiligen Abend wird ab 15 Uhr eine Christ-Vesper aus der Erlöserkirche online abrufbar sein. Den Link finden Sie unter www.evkirchepotsdam.de/gemeinden/erloeser. Pfarrer Tobias Ziemann ist unter dem Namen „papapastor“ selbst online auf Instagram und Twitter aktiv. Auch wenn er nach eigener Aussage nicht mehr so viel Zeit für die Sozialen Medien hat, sind auf seinem Twitterkanal unter anderem Audiogottesdienste zum Nachhören zu finden. Für sein Lieblingsmedium, das Radio spricht er außerdem öfter Texte ein. Auch die die Messe der katholischen St.-Peter-und-Paul-Kirche wird an Heiligabend um 19 Uhr im Livestream übertragen. An den Feiertagen besteht in der Zeit von 14 bis 17 Uhr die Möglichkeit zum persönlichen Gebet an der Krippe in der Propsteikirche. Für alle Live-Weihnachtsgottesdienste im Pastoralen Raum gilt eine Anmeldepflicht über die Internetseite der Kirche. „Es ist insgesamt sehr schwierig“: Verbundenheit soll es trotzdem geben, vielleicht durch Kerzen, die alle in die Fenster stellen, sagt der 37-Jährige. So sollen sich auch die Menschen aufgenommen fühlen, die über die Feiertage alleine sind. „Sie aufzufangen, ist jedes Jahr ein Dilemma, aber in diesem Jahr eine besondere Herausforderung.“ Überhaupt sei es schwierig, die Seelsorge im gewohnten Ausmaß zu gewährleisten. Nicht nur wegen der Kontaktbeschränkungen, sondern auch, weil Ziemann 2020 die Pfarrtätigkeiten im Sprengel quasi alleine wahrnehmen muss. Seine Kollegin Mechthild Metzner, die seit 2014 Pfarrerin der Erlöserkirche ist, kann seit Anfang des Jahres aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten. „Es ist eine große Doppelbelastung, ich konnte allgemein viel weniger Besuche wahrnehmen und die Menschen sind eher zurückhaltend mich anzurufen“, sagt Ziemann, der seit 2017 Pfarrer im Sprengel Erlöser ist, zu dem neben der Erlöserkirchengemeinde auch die Gemeinden Heilig-Kreuz und Geltow gehören. Ein besonders trauriges Feld sei die Arbeit mit Senioren oder auch mit Kranken, bei denen ebenfalls nur seltene Besuche mit Abstand möglich gewesen sind. „Es ist insgesamt sehr schwierig.“ Rücksicht auf die Schwächeren nehmen: Auch deswegen, weil Ziemann vor allem zu Beginn der Pandemie zwischen den Fronten vermitteln musste: „Als nach dem ersten Lockdown wieder Gottesdienste stattfinden durften, gab es die Menschen, die von Anfang an große Sorgen und Ängste hatten und die anderen, die alles heruntergespielt haben.“ Für ihn sei ganz klar der christliche Weg der richtige, was bedeute, Rücksicht auf die Schwächeren zu nehmen, ihre Angst ernst zu nehmen. Dabei allen gerecht zu werden, trotz allem ein Gefühl der Gemeinschaft zu vermitteln und die vielen Verantwortlichkeiten unter einen Hut zu bekommen, war und ist in diesem Jahr nicht immer leicht. Die Liste der Herausforderungen, vor den Ziemann in diesem Jahr stand und immer noch steht ist lang. Darunter die Organisation der Notbetreuung in den Kitas der Erlöserkirchengemeinde – sie ist Trägerin des Evangelischen Kindergartens an der Erlöserkirche und des Kindergartens im Heilig-Kreuz-Haus in der Kiezstraße „Ich habe bis heute keine zufriedenstellende Lösung dafür gefunden und sicher wird es im nächsten Jahr wieder ein Thema sein.“ Lesen Sie auch Keine Gottesdienste zu Heilig Abend in Potsdam Turm der Zixdorfer Kirche außerplanmäßig gerettet Geltow - Der Neue im Pfarrsprengel – MAZ - Märkische Allgemeine Heilig Kreuz und Erlöserkirchengemeinde Potsdam fusionieren Glockengeläut per Funksteuerung: In der Bornstedter Kirche wurde der Glockenstuhl ausgetauscht Heftig aber vernünftig: Er erzählt von Hochzeiten und Taufen, die immer wieder verschoben oder abgesagt werden mussten. Von Beerdigungen, die extra verschoben wurden, um dem Lockdown zu entgehen und dann direkt in die nächsten Beschränkungen gerutscht sind. „Jemand, der im April verstorben war, wurde erst im November beigesetzt und trotzdem durften nur wenige Angehörige dabei sein.“ Verzweifelt oder gar jammernd klingt Ziemann nicht, nur ein wenig traurig. Beispielsweise, wenn er erzählt, dass er am Reformationstag viele Menschen wegen der Kontaktbeschränkungen nicht in die Kirche lassen durfte. „Das war heftig!“ Oder wenn er davon spricht, wie sehr ihm das gemeinschaftliche Singen fehlt. „Es ist eine Form der Kommunikation, die sehr wichtig für die Gemeinde ist.“ Vernünftig seien die Einschränkungen natürlich trotzdem, daran gebe es nichts zu rütteln. „Ich möchte auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken“: Doch nicht alles in diesem Jahr war schlecht. Mit seinen Konfirmanden zum Beispiel hat er neue Wege des Unterrichts gefunden, alle vierzehn Tage treffen sie sich auf Zoom. Und: „Ich habe angefangen vieles zu hinterfragen, was sonst als normal gilt“, sagt Ziemann, der in diesem Jahr sein 10. Ordinationsjubiläum feiert. Anfang Dezember mussten er und seine Familie in Quarantäne, plötzlich musste vieles improvisiert werden. „Wenn etwas anders läuft, kann es trotzdem schön sein und nur weil das Äußere nicht gut ist, muss es das Innere nicht auch sein.“ Auch wenn er selbst noch nicht fertig mit dem Nachdenken über dieses Jahr ist, ist der Pfarrer überzeugt: „Wir bekommen das hin, ich möchte auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken.“ Den Geist Gottes werde man weiterhin spüren, ihn im Unbequemen finden. „Ich glaube daran, dass Licht da ist, besonders jetzt zu Weihnachten.“ Von Sarah Kugler