Einschmelzen, erhalten oder verhüllen: Die Diskussion um das Glockenspiel der Garnisonkirche in Potsdam reißt nicht ab

Die Diskussionen um den Umgang mit dem Potsdamer Glockenspiel sind immer noch nicht abgeschlossen. Der Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, das Iserloher Glockenspiel einschmelzen zu lassen, die Bronze zu verkaufen und den Erlös dem Kulturhaushalt der Stadt Potsdam zu Gute kommen zu lassen, ist von den Antragsstellern am Donnerstagabend im Kulturausschuss zurück gestellt worden. Die Zurückstellung soll solange gelten, bis der Bericht zur Phase zwei des entsprechenden Prozesses im Zusammenhang rund um die Fläche Garnisonkirche und Rechenzentrum vorliegt. Dafür stimmten die Stadtverordneten einstimmig. Das Iserlohner Glockenspiel ist die Kopie des historischen Geläuts, dass die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ rund um den vom Verteidigungsministerium als rechtsextrem eingestuften früheren Bundeswehr-Offizier Max Klaar 1991 auf der Plantage aufstellen ließ. Einschmelzung oder Klettergerüst? Die Debatte um Erhalt oder Nichterhalt des Glockenspiels wurde entfacht, nachdem Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) im Sommer 2019 die Abschaltung des Glockenspiels und seiner Melodien „Lobe den Herrn“ und „Üb’ immer Treu und Redlichkeit“ verfügt hatte. Dem Einschmelzungs-Antrag der Grünen folgte ein Änderungsantrag der Fraktion Die Andere, welche den Erhalt von mindestens zwei Glocken und die Dokumentation der Historie des nachgebauten Glockenspiels vor Ort forderte. Außerdem brachte sie den Vorschlag ein, die tragenden Elemente des Glockenspiels zu einem Klettergerüst umzubauen. Carsten Linke (Die Andere) hielt an diesem Konzept auch am Donnerstagabend weiter fest. Das vollständige Einschmelzen dürfe auf keinen Fall passieren, wie er sagte. Sinnvoller sei es, die Glocken zu erhalten, sie in verschiedenen Einrichtungen auszustellen und über sie aufzuklären. Auch die Umgestaltung in ein Klettergerüst unterstütze er weiterhin. Die Plantage als eventueller Aufklärungsort: Hans-Jürgen Scharfenberg (Die Linke) sprach sich hingegen entschieden gegen eine Erhaltung des Glockenspiels aus, den Änderungsantrag der Anderen bezeichnete er als „sehr bedenkenswert.“ Als Ort der historischen Auseinandersetzung entstehe schließlich bereits der Garnisonkirchenturm. Saskia Hüneke von den Grünen verteidigte zunächst – wenn auch zurückhaltend – die Einschmelzungsidee, betonte später aber auch, dass die Diskussion noch einmal vertieft werden sollte. „Das Unbehagen mit dem Glockenspiel zu leben, ist erhalten geblieben, wir sollten die Geschichte aber weiterhin betrachten.“ Die Frage sei nur, ob man dafür das gesamte Glockenspiel benötigte. Auch „die Vorstellung das überall zu verteilen hat nicht meine Sympathie“, sagte Hüneke. Für sie sei die Plantage der geeignete Ort, um über die Historie zu informieren. Dringend wichtig sei dabei die Namen der verschiedenen Spender aufzudecken. Hintergrund der Spender ist noch immer unklar: Wie berichtet ist noch immer nicht klar, wer hinter den zahlreichen Namen von Spendern und Verbänden steckt, die auf den Glocken und der Stiftertafel am Fuß des Gerüsts stehen. Auch ein von der Stadt beauftragtes historische Gutachten über die umstrittenen Inschriften auf den Glocken und den Hintergrund der Aufstellung durch konservative Militärkreise in Iserlohn und Potsdam, konnte das nicht aufklären. Der 33-jährige Historiker Dominik Juhnke hatte sich von September 2020 bis Januar 2021 im Auftrag der Stadt für das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) mit der Aufgabe befasst. Ein 48-seitiges öffentliches Papier, sowie vier nicht-öffentliche Aktenordner mit Dokumenten, Interviews und einer Chronik sind das Ergebnis seiner Recherche, die er in aller Kürze auch am Donnerstag im Kulturausschuss vorstellte. Er plädierte dafür, herauszufinden, was genau auf den Inschriften zu lesen ist. „Ein hoch spannendes Objekt der Zeitgeschichte“: „Man sollte herausfinden, wer das im Einzelnen ist. Aber das ist sehr schwer.“, sagte er in der vergangenen Woche gegenüber der MAZ. „Wer hat sich als Kameradschaft oder als Ehemaligenverband der Wehrmacht getroffen? Wer lebt noch und sind die noch erreichbar? Diese Arbeit hab ich nur punktuell machen können.“ Am Donnerstag betonte er, dass die Studie keinem Selbstzweck diene, sondern einen Umgang mit dem Glockenspiel aufzeigen soll. „Ich nehme mir den Luxus heraus, keine politische Meinung zu vertreten“, sagte er. Das Glockenspiel sei „ein hoch spannendes Objekt der Zeitgeschichte“, das eine Chance biete, sich mit der Potsdamer Stadtgeschichte auseinanderzusetzen. Garnisonkirchen-Kritiker Philipp Oswalt, wandte als Gastredner im Kulturausschuss ein, dass das Glockenspiel zwar keine expliziten rechtsradikalen Inschriften trage, implizite Benennungen und Bezüge aufgrund der Biografien der Spender aber durchaus vorhanden seien. Es sei deswegen umso wichtiger, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. „Herr Klaar ist kein Einzelkämpfer, das Glockenspiel kein isoliertes Projekt“, sagte Oswalt. „Es hat auch Einfluss auf die Garnisonkirche, das muss mit diskutiert werden.“ Lesen Sie auch Glockenspiel der Garnisonkirche Potsdam: Gutachten des ZZF liegt vor Das Glockenspiel der Garnisonkirche einschmelzen? Eine überhitzte Idee! Potsdamer Garnisonkirche: Kletterturm statt Glockenspiel auf der Plantage Garnisonkirche Potsdam: Stiftung gegen Vernichtung aller Glocken Garnisonkirche Potsdam: Ausstellung im neuen Lernort über Reichsflaggen und den Wiederaufbau Verhüllung des Glockenspiels? Auch Frank Reich (SPD) betonte die Verbindung zur Garnisonkirche und sagte, dass die Einschmelzung nicht der richtige Weg sei, weil man „sich nicht aus der Geschichte herausschleichen könne“. „Geschichte ist nicht eindimensional, das hat das Gutachten auch sehr beeindruckend gezeigt. Wir müssen lernen mit der komplexen Geschichte Potsdams umzugehen.“ Man könne sich seine Geschichte nicht aussuchen, sie auszublenden wäre der falsche Weg. Er schlug vor, das Glockenspiel zu verhüllen, bis weitere Entscheidungen getroffen seien. Zustimmung fand er damit bei Sarah Zalfen (SPD): „Es würde sichtbar machen, dass wir in eine neue Phase eintreten“, sagte sie. Letztendlich einigten sich die Stadtverordneten darauf, dass akut keine Entscheidung über den weiteren Umgang mit dem Glockenspiel getroffen werden müsste, die Diskussion soll im Herbst wieder aufgenommen werden. Kultur-Fachbereichsleiterin Birgit-Katharine Seemann wies zudem darauf hin, dass es am 14. April die Möglichkeit zur Vertiefung der Thematik gebe. An dem Datum sei eine Onlineveranstaltung zum Thema Glockenspiel geplant, an der auch Historiker Dominik Juhnke teilnehmen wird. Von Sarah Kugler