Nach Gerichtsentscheid: Potsdam nimmt Testpflicht zurück und schließt den Handel komplett

Die Erleichterung währte kurz. Das Verwaltungsgericht Potsdam hat am Dienstagmittag die Corona-Testpflicht für Geschäfte in der Landeshauptstadt in einem Fall für rechtswidrig erklärt. Die Potsdamer „Allgemeinverfügung über eine Testpflicht zum Zutritt zu Verkaufsstellen des Einzelhandels“ vom 24. März gelte – zumindest für den einzelnen Fall eines Händlers – nicht mehr. Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Hornbach-Baumarktes, der seinen Sitz im Gewerbegebiet Friedrichspark im Potsdamer Norden hat, angeordnet. Schubert: „Testen ist zumutbar“: Doch das bedeutete noch nicht das Aus für die Testpflicht – weil es auch nur um einen einzelnen Widerspruch ging. Das Rathaus hält sie generell für richtig. „Wir halten es grundsätzlich für zumutbar, dass auch Kunden von Baumärkten einen negativen Test vorlegen müssen, bevor sie einkaufen gehen. Sichere Öffnungen kann es derzeit nur mit Testen geben“, sagt Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), und: „Das Virus unterscheidet nicht zwischen einem Baufachmarkt und einer Boutique.“ Doch entschied sich die Verwaltung schließlich, die Allgemeinverfügung mit der Testpflicht aufzuheben. Denn es gab weitergehende Beschlüsse. Handel muss komplett schließen: Weil Potsdam den dritten Tag in Folge über der Inzidenz von 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen lag, werden die Öffnungen vom Monatsanfang wieder zurückgenommen. Am Dienstag betrug die Sieben-Tage-Inzidenz 105,4 – nach 116,5 am Montag und 100,9 am Sonntag. Es gab sieben gemeldete Neuinfektionen. In Potsdams Krankenhäusern werden derzeit 21 Covid-19-Patienten behandelt, 16 davon intensivmedizinisch. Lesen Sie auch: Corona-Krise: Potsdamer Traditionsgeschäft Schuh Baar bittet um Spenden Shopping im Corona-Modus: So funktioniert die Testpflicht in Potsdam So funktioniert das Modell „Click & Collect“ in Potsdam Die Stadt setzt die von Bund und Ländern beschlossene „Notbremse“ um. Der Einzelhandel muss wieder vollständig in den Lockdown – also zurück ins „Click & Collect“, bei dem nur Bestellungen abgeholt werden dürfen. Das gilt bereits am Mittwoch, dem 31. März, teilte die Stadt. Eine entsprechende Bekanntmachung erfolgt noch am Dienstag im Amtsblatt. Der Einzelhandel muss schließen – außer Läden für Waren des täglichen Bedarfs, wie Supermärkte, Drogerien, Bäcker oder Apotheken. Auch Gedenkstätten, Museen, Ausstellungshäuser, Galerien, Planetarien, Archive und öffentliche Bibliotheken bleiben zu. Offen bleiben dürfen unter anderem auch noch Baumärkte, Blumenläden, Optiker, der Tierbedarfshandel, Sanitäts- und Reformhäuser, Tankstellen, Banken, Reinigungen, Werkstätten und Stände auf Wochenmärkten mit zugelassenen Sortimenten. Land verweigert Möglichkeit für Modellprojekte: Um die Teststrategie weiter zu auszuprobieren, will Potsdam eine Modellkommune werden. So sollten das Einkaufen und Museumsbesuche mit Tests und digitaler Nachverfolgung per App sowie einer wissenschaftlichen Begleitung ermöglicht werden. Die Stadt hatte bereits einen Vertrag über die Nutzung der neuen Luca-App geschlossen und das Modell beim Land beantragt, das dafür die Corona-Eindämmungsverordnung ändern müsste. Doch diesen Passus strich das Land kurz vor der Bekanntgabe der Verordnung am Dienstagnachmittag wieder aus dem Entwurf. In einer Beratung mit den Oberbürgermeistern und Landräten sei vereinbart worden, im Land vorerst keine Modellprojekte wie in Tübingen oder Rostock zu gestatten, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bei der Vorstellung der neuen Eindämmungsverordnung. „Bis zum 18. April sehe ich die Möglichkeit dafür nicht.“ Schubert: „Zahl der Neuinfektionen im Blick behalten“: Schubert hätte sich durchaus einen Versuch gewünscht, zeigt aber Verständnis für die Entscheidung des Landes. „In der jetzigen Situation auf Modellprojekte zu verzichten, ist nachvollziehbar“, sagte er in einer Reaktion, „wir hätten uns gefreut, unter klar definierten Bedingungen vom Land als Modellkommune eingestuft zu werden und Einzelhandel beziehungsweise Museen und Theatern öffnen zu können. Jetzt aber gilt es zunächst die Zahl der Neuinfektionen und die beginnende Belastung der Krankenhäuser im Blick zu behalten.“ Mit dem bisherigen Vorgehen war es der Stadt gelungen – anders als den benachbarten Kreisen – die Inzidenz lange unter 100 zu halten und Geschäftsöffnungen lange Zeit zu ermöglichen. Schon seit dem 1. März bietet Potsdam kostenlose Schnelltests für die Bürgerinnen und Bürger an. Das Netz an Teststellen war ausgebaut worden. Zuletzt bot auch die Drogeriekette dm an zwei Standorten Corona-Tests durch fachkundige Mitarbeiter an. Aussagen zu Kitas fehlen noch: Keine Neuregelungen gibt es in der Eindämmungsverordnung zu Kindertagesstätten. „Da der Ministerpräsident angekündigt hat, dass sich die Landesregierung am Dienstag nach Ostern zum Thema Umgang mit Kitas und Schulen verständigt, wird auch die Landeshauptstadt vorerst keine Maßnahmen ergreifen“, kündigt Schubert an, „einer möglichen landesweiten Regelung sollte nicht vorgegriffen werden.“ Handelsverband fordert Modellprojekt: Unterstützung für die Idee vom Einkaufen mit Test und App bekommt Schubert vom Handelsverband Berlin-Brandenburg. Dort favorisiere man das Modell – aber nur ohne Terminpflicht in den Geschäften, so wie es Berlin vormache, sagte Geschäftsführer Nils Busch-Petersen gegenüber der MAZ. Die Kombination „Test und Termin“ sei gescheitert, wie sich gerade am Sonnabend erst gezeigt hatte, als kaum Kunden zu den Potsdamer Händlern kamen. Laut Busch-Petersen muss es eine Strategie weg vom Wechsel „auf-zu-auf-zu“ im Handel geben. „Ich wünsche der Landesregierung den Mut zu Einzel-Experimenten“, sagte er, noch bevor Woidke den Modellprojekten vorerst eine Absage erteilte. Allerdings erwartete der Handelsverbandsvertreter auch schon einen harten Lockdown mit Schließungen im Handel. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam ist nicht zufrieden – weder mit der Verwaltungsgerichtsentscheidung noch mit der neuen Landes-Verordnung. „Die Landeshauptstadt hat immerhin versucht, als Modellkommune Erfahrungen zu sammeln, wie Einzelhändler öffnen könnten“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Mario Tobias. Modellansätze seien trotz der Corona-Herausforderungen wichtig, „um Unternehmen und Kunden wieder eine Perspektive der Sicherheit und Planbarkeit zu geben“. Zudem fürchtet Tobias nun erneut einen „Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen und Urteile in den Ländern und Kommunen“. Gericht: Testpflicht-Verfügung mit formellen Mängeln: Der Eilantrag hatte nach Angaben des Gerichts Erfolg, „weil sich die angegriffene Allgemeinverfügung nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist. Zur Überzeugung der Kammer leidet die Allgemeinverfügung bereits an dem formellen Mangel, dass sie inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist.“ Es bleibe unklar, „ob mit der angefochtenen Allgemeinverfügung für Baufachmärkte neben der Anordnung des Nachweises eines tagesaktuellen negativen Tests auch die vorherige Terminvergabe an alle Kunden und Kunden eingeführt werden sollte, die nach der Landesverordnung u.a. für diese Branche gerade nicht gilt“. Grundsätzliche Zweifel an Testpflicht: Die Allgemeinverfügung der Stadt als solches gilt vorerst weiter. Allerdings zweifelt das Gericht sie auch grundsätzlich an: „Die Begründung der Allgemeinverfügung weist widersprüchliche Angaben zur Angemessenheit und Erforderlichkeit auf, sodass auch insoweit die angefochtene Allgemeinverfügung als rechtswidrig erscheint.“ Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig, die Stadt Potsdam könnte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einlegen (Aktenzeichen VG 6 L 258/2). Das hat sie am Dienstagnachmittag ausgeschlossen. Sie wird die Allgemeinverfügung aufheben. Von Alexander Engels

Einzelhandel Potsdam: Baumarkt klagt - Gericht kippt Testpflicht - Inzidenz hoch - Geschäfte müssen schließen