Garnisonkirche Potsdam: Weiterer Zensurfall in Kunstausstellung?

Im Streit um vermeintliche Zensur zur Ausstellung „Blickwinkel_1.0“ auf der Garnisonkirchenbaustelle zum Tag der deutschen Einheit gibt es neue Vorwürfe. Erst zum Tag der offenen Ateliers am Sonntag ist bekannt geworden, dass dem Publikum neben kritischen Arbeiten von Bernd A. Chmura und Simone Westphal auch eine Arbeit des MAZ-Cartoonisten Jörg Hafemeister vorenthalten worden sein soll. In Hafemeisters kurzem Animationsfilm „In der Diktatorenresidenz“ aus dem Jahr 2014 tauschen sich Adolf Hitler und Walter Ulbricht beim Bier über das Wiederaufbauprojekt Garnisonkirche aus. „Sie sind wieder da“: Die Kulturlobby Potsdam eröffnete am Sonntagnachmittag im Backstageraum des Rechenzentrums eine kleine Sonderschau „Sie sind wieder da“ mit den „drei bisher ungezeigten künstlerischen Positionen, die ursprünglich für die Ausstellung ,Blickwinkel Potsdam_1.0’ in der Garnisonkirchenbaustelle angefertigt wurden – dort aber kurzfristig nicht gezeigt wurden“, wie es in der Ankündigung hieß. Chmura präsentiert unter dem Titel „Die Kulissenstütze“ auf einem Pappplakat einen mit militaristischem Zierrat behängten Garnisonkirchturm, der von einem zum Hitlergruß ausgestreckten Arm in der Schräge gehalten wird. Simone Westphal zeigt als „Figur Nr. 24“ einen Hitler aus Filz im farbbeklecksten Arbeitskittel mit abgehacktem rechtem Arm. Ihre These: Die Geschichte hätte anders verlaufen können, wenn der Österreicher als Kunstmaler Erfolg gehabt hätte. Die Zensur von Chmuras und Westphals Arbeiten wurde bereits breit diskutiert. Dass auch ein Hafemeister ausgemustert worden sein soll, wäre neu. Der Künstler selbst berichtete am Sonntagabend auf MAZ-Anfrage, dass der Film zur Ausstellung nicht gezeigt wurde, obwohl er selbst noch Technik dafür herbeigeschafft hätte. Kurator Lars Kaiser widerspricht teilweise: Zur Vernissage sei der Film „im Rechner gelaufen“, am zweiten und dritten Ausstellungstag aber gab es laut Kaiser ein technisches Problem: „Wir haben es nicht geschafft, den Laptop aufzuklappen.“ Nicht alle Kritiker sind kleine Ulbrichts: Hafemeister, eher ein Befürworter des umstrittenen Aufbaus, äußerte sich nicht zuletzt irritiert, weil sein Animationsfilm Garnisonkirchenkritiker sehr viel mehr auf die Schippe nehme als die Befürworter. Im Begleittext versichert er: „Selbstverständlich ist Ulbricht, der sich seinerzeit für die Sprengung der Garnisonkirche stark gemacht hat, in keiner Weise mit Hitler gleichzusetzen. Und nein, selbstverständlich halte ich die Gegner der Garnisonkirche nicht für kleine Ulbrichts.“ Dann kommt mit einem Aber sein Werben um Verständnis auch der Befürworter: „Aber: Die, die sich für den Wiederaufbau der Garnisonkirche einsetzen, halte ich eben auch nicht für kleine Hitlers. Umso wichtiger wird es sein, wie sich die wiederaufgebaute Garnisonkirche der Geschichte stellen wird.“ Lesen Sie auch: Kunst auf der Garnisonkirchenbaustelle Erste Kunstausstellung im Sockelbau eröffnet Kein Platz für kritische Kunst Ministerin soll sich für Kunstfreiheit einsetzen Warum seine Arbeit in der Ausstellung nicht mehr lief, könne er nicht sagen, so der Cartoonist am Sonntagabend. Seine Vermutung: „Hitler hatte einfach Hausverbot.“ „Mir war das zu platt“: In gewisser Weise hatte Kaiser das im ersten Streit um die ausgemusterten Werke gegenüber MAZ bereits bestätigt: „Wir haben uns gesagt, dass wir keinen ,Hitler’ auf der Ausstellung haben wollen, denn das erwartet jeder. Die Kunst kann mehr als nur einen Hitler zu bedienen. Mir war es zu platt.“ Auch Wieland Eschenburg, als Kommunikationsvorstand der Stiftung Garnisonkirche quasi Hausherr und Gastgeber der von der Bürgerinitiative Mitteschön geförderten Ausstellung, kritisierte damals: „Es geht nicht, dass plötzlich ein Duktus in die Ausstellung gebracht wird, der von den Arbeiten der 35 beteiligten Künstler ablenkt und in genau die Schwarz-Weiß-Malerei übergeht, die wir unterbinden wollen.“ Namhafte Künstler und Galeristen haben mittlerweile in einem offenen Brief an Kulturministerin Manja Schüle (SPD) gegen die Zensur protestiert und eine Stellungnahme gefordert: „Sie haben am 2. Oktober als Schirmherrin die Ausstellung eröffnet und in ihrer Rede die Künstler ermuntert, sich kritisch mit dem Zeitgeschehen auseinanderzusetzen“, heißt es in dem Schreiben: „War die kritische Auseinandersetzung mit dem Ort der Garnisonkirche bei dieser Ausstellung nun gewollt, wie in Ihrer Eröffnungsrede und im Pressetext zur Ausstellung verkündet, oder war nur ein ganz bestimmter Blickwinkel verlangt bzw. wurde der Blickwinkel stark eingegrenzt?“ Sie zitierten die Ministerin mit den Worten: „Kunst muss auch weh tun dürfen und sich mit bedeutenden gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen.“ Laut Chmura gab es bis Sonntagabend keine Reaktion aus dem Ministerium auf den offenen Brief. Info Ausstellung im Rechenzentrum, geöffnet am Dienstag und Mittwoch noch einmal jeweils von 14 bis 17 Uhr. Von Volker Oelschläger