Die Zensur in Mathe muss stimmen. Wer bei Ulla Schünemann in der Handweberei in Alt-Geltow in die Lehre gehen möchte, muss gut rechnen können. 815 Fäden laufen über den großen Kettbaum. Daraus entstehen 55 Zentimeter lange Leinen-Geschirrtücher. „Wie viele Fäden auf einen Zentimeter kommen, muss exakt berechnet werden – oft schnell im Kopf,“ erzählt Schünemann.
Die 59-Jährige weiß genau, welche Tritte sie an dem Webstuhl setzen muss, damit die Schäfte sich heben oder senken und der Leinenfaden auf dem Schiffchen hindurchschießen kann. Rund eine bis anderthalb Stunden braucht es im Schnitt für einen Quadratmeter Stoff. „Handgewebt in Geltow“ steht später auf dem Etikett.
Seit 1939 besteht der Webhof nun am Standort Alt-Geltow. Ihre Mutter Annemarie Schünemann kam durch einen Gesellenaustausch 1943 zum Betrieb von Henni Jaensch-Zeymer. Ulla Schünemann übernahm 1978 den Traditionsbetrieb. Nach der Wende kam dann das Aus. Bis auf einen Lehrling musste sie alle entlassen.
Mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Brandenburger Arbeitsministeriums konnte 1992 das „Aktive Museum – Kunsthandweberei Henni Jaensch-Zeymer“ eröffnen. Heute ist sie die größte und älteste noch aktive Handweberei in Deutschland, erzählt Schünemann stolz. Eines Tages könnte Tochter Bianca, ebenfalls gelernte Weberin, den Webhof übernehmen. Ihre Schwester Nadine betreibt im Hof ein Café mit hausgemachtem Kuchen.
Teilnehmer aus der Region
Atelier am See – Maßschneiderei, Am Plessower See 132, 14542 Werder, 03327/71976; Samstag 10 bis 17, Sonntag 10 bis 17
Handweberei „Henni Jaensch-Zeymer“/Museum, Am Wasser 19, Geltow, 14548 Schwielowsee, Tel. 03327/ 55272, Dienstag-Sonntag 11 bis 17 Uhr
Keramikwerkstatt; Weinbergstraße 31, 14548 Schwielowsee/Caputh, Tel. 033209/210568, Freitag, Samstag, Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Kunstguss Andreas Wurziger, Kuckucksweg 78, OT Geltow, 14548 Schwielowsee. Tel. 03327/55720, Sonntag 10 bis 18 Uhr
Rund 2500 bis 3000 Besucher kommen jedes Jahr in die Weberei. Finanzieren kann sie sich davon aber nicht. Hauptsächlich lebt sie vom Verkauf der produzierten Stücke im anliegenden Laden.
Von Tischwäsche über Schlafdecken bis hin zu Hosen können die Besucher hier alles kaufen. Den höheren Preis für die handgewebte Ware seien sie bereit zu zahlen. „Die Leute begreifen, wie Stoffe entstehen. Sie spüren die Qualität und wertschätzen es ganz anders,“ erzählt Schünemann.
Am 23.März starten die Europäischen Tage des Kunsthandwerks. Besucher können für drei Euro Eintritt den Weberinnen über die Schulter schauen und die bis zu 300 Jahre alten Webstühle bestaunen.
Von Anne Knappe