Impfstoff-Mangel in Brandenburg: 9000 Impftermine abgesagt

1400 Anrufe hat es gedauert. Dann erst sind Stefan Gutschmidt und seine Frau bei der Brandenburger Impf-Hotline durchgedrungen. „Auf dem Handy kann man die Zahl der Anrufe ja sehr gut nachverfolgen“, sagt Stefan Gutschmidt. Nicht für sich selbst wollte der 49-jährige Potsdamer einen Impftermin vereinbaren, sondern für seinen 86-jährigen Vater. Die Geduld zahlte sich aus, ihm wurde der 26. Januar zugesagt, am 16. Februar sollte die nötige zweite Folgeimpfung folgen. Doch nun ist wieder alles offen: Wie die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg (KVBB)am Freitag noch einmal bestätigte, werden aufgrund Lieferschwierigkeiten des mRNA-Impfstoffs von BioNTech/Pfizer bis auf Weiteres keine neuen Impftermine für die Impfzentren Potsdam, Cottbus und Schönefeld vergeben, bestehende Termine werden verschoben. Und so bekam auch Familie Gutschmidt eine Absage. Allerdings nicht per Brief, wie das Land es ursprünglich angekündigt hatte, sondern per Telefonanruf. Bisher kein neuer Corona-Impftermin: Wie das Gesundheitsministerium auf Anfrage bestätigte, sei das der korrekte Ablauf, die betroffenen Personen sollen über das Callcenter persönlich informiert werden. „Wenn derjenige nicht erreicht wird, gibt es eine Bandansage sowie einen erneuten Anruf“, sagt Ministeriumssprecher Gabriel Hesse. „Am Telefon wird dann auch gemeinsam ein neuer Termin gesucht.“ Von Seiten der KVBB hieß es am Freitag, dass und die Betroffenen persönlich über die Call Center sowie auch schriftlich per E-Mail und Brief informiert werden. Sobald wieder ausreichend Impfstoff im Impfzentrum verfügbar ist, sollen die Betroffenen sofort unaufgefordert telefonisch kontaktiert werden, um neue Termine zu vereinbaren. „Die Call-Center melden sich, die Bürgerinnen und Bürger müssen nichts weiter veranlassen“, heißt es in der offiziellen Mitteilung. Stefan Gutschmidts Vater habe bisher allerdings lediglich eine automatische Mail von der KVBB bekommen. Titel: „Bestätigung Ihrer Terminabsage“, weiter unten dann ein Feld mit dem Link „Neuen Termin buchen“. Doch der Link führt nicht etwa zu einem Kalender, sondern zu dem Hinweis: „In Brandenburg sind aktuell leider Online-Impftermine nicht möglich“, sobald es wieder genügend Impfstoff gibt, werde man kontaktiert. „Bitte warten Sie auf unseren Anruf. Sie selbst müssen nichts weiter veranlassen“, heißt es. Dennoch ist Gutschmidt verunsichert. „Wir wissen nicht wirklich, wie es jetzt weitergeht, das ist schon sehr ärgerlich.“ Der Hohn sei außerdem, dass in der Mail assoziiert werde, man habe den Termin selbst abgesagt. „Da steht ’Sie haben den Termin erfolgreich abgesagt’, dabei habe ich ja gar nichts abgesagt.“ Viele verärgerte Betroffene aus Potsdam und Umgebung: Und Gutschmidt ist mit seinen Erfahrungen nicht alleine. Mehrere Betroffene aus Potsdam und dem Umland haben sich an die MAZ gewandt und ähnliche Erlebnisse geschildert. „Heute hat der Impfterminservice mir telefonisch den Impftermin am 26.01.2021 abgesagt“, schreibt ein Potsdamer, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen würde. „Dann bekam ich als E-Mail die beiliegende Nachricht, dass ich abgesagt hätte. Vorher hatte ich wochenlang am Telefon um einen Termin gekämpft. Ich bin 85 Jahre alt und habe nicht mehr viel Zeit.“ Ähnliche Fälle schildern auch Betroffene aus dem Umland: Eine Busendorferin erzählt von ihrer 92-jährigen Mutter aus Neuseddin, die dringend auf eine Aufnahme in einem Pflegeheim wartet. In beiden Pflegeheimen, bei denen eine Anmeldung vorliegt, fanden schon Impfungen statt. „Es wurde mir gesagt,das es für die Heimaufnahme notwendig ist, dass sie auch geimpft ist“, schreibt sie. „Heute nun meldete sich wieder jemand vom Callcenter des Impfzentrums und sagte beide Termine für meine Mutter in der Metropolishalle einfach ab.“ Ihre verzweifelte Erklärung, dass dies nicht ginge, da die Mutter dringend in einem Pflegeheim aufgenommen werden müsse, weil sie allein in ihrer Wohnung gar nicht mehr zurecht komme, sei ignoriert worden. „Was ist das für ein Chaos,wer ist dafür verantwortlich? So geht man nicht mit Menschen und schon gar nicht mit alten Leuten um. Keine Organisation, Absprachen die nicht eingehalten werden, Durcheinander kein Miteinander.“ Maren Stein aus Nuthetal hatte für ihren 95-jährigen Vater und dessen 88-jährige Lebensgefährtin Impftermine in Schönefeld organisiert, die jetzt ebenfalls abgesagt wurden. „Ich soll wieder kontaktiert werden, wann das passiert, weiß ich nicht“, sagt sie. Zu dem Ärger über das Organisationschaos kommt die Sorge um ihren Vater: „Toi, toi lebt er noch sehr selbstständig, aber wenn er jetzt ins Krankenhaus müsste, hätte ich Angst.“ Ihrer Meinung nach, dürfe die schlechte Organisation nicht so runtergeredet werden. „Klar ist das eine Mammutaufgabe, aber so wie es läuft, ist es sehr ärgerlich.“ Ein Herr aus Kleinmachnow berichtet emotional von der Absage des Impftermins von seinem 89-jährigen Vater, der schwer behindert sei: „Mein Vater war darüber sehr enttäuscht und sehr verärgert. Was ist das für ein durcheinander und wie geht man mit den älteren Menschen um die so viel Hoffnung in das Impfen legen?“ Zerstörte Hoffnung mündet in Verzweiflung: Gerade diese zerstörte Hoffnung sei fatal, sagt die Potsdamer Psychologin Kerstin Werder-Mörschel. Die Aussicht auf die Impfung sei für viele Menschen das Licht am Ende des Tunnels gewesen. „Sie waren kurz davor die Hilflosigkeit, welche die Pandemie in ihnen auslöst zu reduzieren und dann sagt jemand April, April“, sagt sie gegenüber der MAZ. „Das produziert eine Ohnmacht, die in tiefe Verzweiflung oder Wut resultiert, es ist eine Katastrophe.“ Persönlich hat sie es bei ihren eigenen Eltern miterlebt, wie sie auch auf Twitter schreibt: Sie hätten bei der Absage der Termine bitterlich geweint. Und es sind nicht nur die Älteren, die unter den Absagen leiden. „Viele schaffen es alleine nicht einmal den Impftermin per Telefon zu tätigen, das erledigen dann Angehörige, genauso wie die Fahrten zu den Impfzentren.“ Menschen, die kein funktionierendes Familiensystem haben, haben es noch schwerer. Insgesamt steige die Therapienachfrage in ihrer Praxis: „Ich habe rund 30 Anfragen pro Woche, die Zahl hat sich verdoppelt.“ 9000 Umbuchen für Impfungen müssen organisiert werden: Für die Lage hat sie ähnlich wie Stefan Gutschmidt nur teilweise Verständnis. Wenn kein Impfstoff vorhanden sei, könne auch nicht geimpft werden. „Aber das hätte man alles ein bisschen besser planen können, Corona dauert ja jetzt fast schon ein Jahr“, sagt Gutschmidt. Es entstehe das Gefühl, dass in der Politik Überforderung herrsche. Für das Ministerium sei die aktuelle Situation allerdings eine ziemliche Herausforderung, wie Sprecher Hesse sagt. Von den Impfstopps sind neben Potsdam auch die Impfzentren in Cottbus und Schönefeld betroffen, rund 9000 Umbuchungen müssten jetzt organisiert werden. „Klar ist die Situation nicht schön“, so Hesse. „Aber wir bitten um Verständnis, das ist ein neuer Prozess, wir werden von Woche zu Woche schneller.“ Lesen Sie auch: 9000 Impftermine in Brandenburg müssen umgebucht werden Impfstoff-Knappheit in Potsdam: Keine neuen Termine im Impfzentrum Odyssee mit dem Impf-Telefon: Zwei Rentner aus Ostprignitz-Ruppin berichten Impfchaos: Brandenburg muss Termine doch umbuchen Priorität liegt auf den Pflegeheimen: Für die Impfzentren Elsterwerda, Frankfurt (Oder), Oranienburg, Brandenburg, Eberswalde, Prenzlau, Luckenwalde und Kyritz können laut der KVBB ab Sonntag, 24. Januar, wieder Termine unter der 116117 vereinbart werden. Alle notwendigen Zweitimpfungen, die für einen vollständigen Impfschutz nötig sind, seien gesichert. Jeder, der eine erste Impfung erhalten habe, werde auch eine zweite bekommen. Auch in Pflegeheimen werde weiter geimpft. Dort liegt laut Hesse nun unter anderem auch in Potsdam die Priorität, die hohen Todeszahlen in den Heimen seien alarmierend. Insgesamt stünde ab der nächsten Woche 25 Prozent weniger Impfstoff als geplant zur Verfügung, die Lieferaussicht besteht nur noch bis Mitte Februar. Wann Gutschmidts Vater endlich geimpft werden kann, wird sich hoffentlich demnächst klären. „Er ist relativ eigenständig und lebt in einer eigenen Wohnung“, sagt Stefan Gutschmidt. „Doch wie sollen das ältere Menschen alles durchblicken, die keine Hilfe von Angehörigen bekommen?“ Die Hoffnung, auf die eigene Impfung verschwimme außerdem auch immer weiter in der Ferne. „Ich hatte eigentlich auf den Sommer gehofft, doch wenn das so weiter geht, wird das wohl nichts.“ Von Sarah Kugler

Impfstoff-Mangel in Brandenburg: 9000 Impftermine abgesagt - Umbuchungen geplant