Interview: Psychologin Nadine Spörer über die Vereinbarkeit von Homeschooling und Homeoffice

Viele Eltern stehen gerade vor der Herausforderung, Homeoffice und Homeschooling gleichzeitig zu bewältigen. Die Psychologin Nadine Spörer von der Universität Potsdam spricht im Interview darüber, wie wichtig Struktur sowie Reflexionspausen sind und warum der angekündigte Wechselunterricht psychische Erleichterung bringen kann. Frau Spörer, Sie referieren am Donnerstag im Rahmen der Reihe „Potsdamer Köpfe“ „Über die (Un-)Möglichkeit, Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut zu bringen“. Ist es denn eine Unmöglichkeit? Nadine Spörer: Auf diese Frage gibt es tatsächlich viele Antworten, weil dabei viele Faktoren mit einfließen. Ein ganz wichtiger Punkt ist, wie flexibel die Eltern ihr Homeoffice gestalten können. Also inwiefern sie dazu in der Lage sind. Denn die fixe Größe in dieser Situation ist die Arbeitszeit des Kindes. Sie ist durch den Schulalltag festgelegt. Sie passt aber nicht immer unbedingt zu den Arbeitsbedingungen der Eltern. Hier kommt es tatsächlich zu Konflikten. Denn die Erwachsenen sollten sich auf die Kinder einstellen und nicht umgekehrt. Da spielt es natürlich eine große Rolle, wie die Familie strukturiert ist, wie groß sie ist, auf wie viele Schultern die Betreuung verteilt werden kann. Nun sind Eltern keine ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer, gibt es Tipps, wie sie ihren Kindern trotzdem ein stabiles Lernumfeld bieten können? Eine gute Strategie ist, das Lernen in verschiedene Phasen zu gliedern. Zum erfolgreichen Lernen gehört nicht nur der Fokus darauf, dass die Aufgabe gelöst wird, sondern auch eine Vorbereitungs- und eine Nachbereitungsphase, in der reflektiert werden kann. Was ist gut gelungen? Was ist weniger gut gelungen? Aber auch: Was könnte man anders angehen? Innehalten ist also wichtig? Sich mit Pausen zu belohnen ist tatsächlich essenziell. Auch, um die Kraft zum konzentrierten Arbeiten zurückzuerlangen. Das können kleine Pausen sein, in denen draußen getobt wird, ein Hörspiel gehört wird oder kurz die Computerkonsole angeschaltet werden darf. Das alles fordert von den Eltern viel Zeit und Kraft, besonders wenn die Kinder jünger sind. Absolut. Je älter die Kinder sind, je leichter fällt es ihnen grundsätzlich, sich selbst gut zu regulieren und auch zu organisieren. Bei älteren Schülerinnen und Schülern funktioniert auch die Reflexion über das eigene Lernen viel intuitiver. Je jünger die Kinder sind, desto intensiver ist die Betreuung. Der erste Schritt für Eltern ist hier, zunächst einmal das Wissen zu haben, dass die Reflexionsphasen wichtig sind. Auch tolle Leistungen sollten keine Selbstverständlichkeit sein. Was gut klappt, wird oft übersehen, zu oft liegt der Fokus auf den Fehlern. Das zu durchbrechen, kann die Motivation stärken. Wie gelingt es dabei, ein angemessenes Autoritätsverhältnis zu wahren? Das ist definitiv ein sehr schwieriger Punkt, weil die Rollen zu Hause verschwimmen. Die Beziehung zu den Lehrerinnen und Lehrern ist eine ganz andere als zu den Eltern und das ist sie auch aus guten Gründen. Nicht umsonst studieren Lehrende sehr lange und lernen, wie Themen vermittelt werden können. Eltern sind nicht dafür ausgebildet, beispielsweise dem Kind das Lesen beizubringen und dürfen diesen Anspruch auch nicht an sich stellen. Sonst ist Überforderung programmiert. Sie stehen aber jetzt genau vor solchen Aufgaben. Wie können Eltern die Überforderung vermeiden? Im Idealfall sollten die Eltern zu Hause nur die Aufgaben begleiten müssen, die zur Festigung des Stoffes dienen. Die Vermittlung neuer Inhalte sollte weiterhin von den Lehrerinnen und Lehrern übernommen werden. Wichtig ist auch, dass man das Gespräch mit den Lehrkräften sucht, wenn es hier Unklarheiten gibt. Ich habe das Gefühl, das wird in diesem Lockdown besser kommuniziert als im ersten und zugleich ist es gut, dass die Grundschulen nun zumindest teilweise wieder öffnen. Ab 22. Februar soll in den ersten bis sechsten Klassen der sogenannte Wechselunterricht eingeführt werden, wie genau die Schulen diesen umsetzen, obliegt ihnen selbst. Bringt die Öffnung Erleichterung für Eltern? Tatsächlich muss man sagen, dass sich die Situation für die meisten Eltern gar nicht so stark ändern wird, weil die Schülerinnen und Schüler in Gruppen eingeteilt werden und überwiegend weiterhin zu Hause unterrichtet werden müssen. Die Hoffnung ist aber, dass Kinder im Homeschooling virtuell gut in den Unterricht in der Schule eingebunden werden. Nadine Spörer ist 45 Jahre alt und arbeitet seit Oktober 2010 als Professorin für Psychologische Grundschulpädagogik an der Universität Potsdam. Sie leb t in Potsdam. Dort studierte sie auch Psychologie und promovierte 2004. Ihre Dissertation erhielt eine Auszeichnung durch die Universitätsgesellschaft Potsdam e.V. mit dem Preis für die beste Promotion des Jahres 2004. Spörer ist unter anderem Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (Fachgruppe Pädagogische Psychologie) sowie der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (Sektion: Empirische Bildungsforschung) Am heutigen Donnerstag, 18. Februar hält sie den Online-Vortrag „Über die (Un-)Möglichkeit, Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut zu bringen“ in der Reihe „Potsdamer Köpfe“. Der Vortrag findet von 13 von 14 Uhr über Zoom statt. Die Anmeldung ist noch möglich und erfolgt per Mail an: altenhoener@prowissen-potsdam.de Ergibt die teilweise Öffnung dann in Bezug auf die psychische Belastung überhaupt einen Sinn? Man darf die Schule als große soziale Veranstaltung nicht unterschätzen. Dass die Schülerinnen und Schüler zumindest teilweise ihre Freunde und Klassenkameraden wieder sehen, mit ihnen Vis-à-vis Interessen und Ansichten teilen und sich austauschen können, ist enorm wichtig. Dieser soziale Verband kann auch auf das Lernen motivierend wirken und hoffentlich neue Verbindungen schaffen. Inwiefern? Indem sich durch den aktiven Austausch eventuell auch virtuelle Lerngruppen zusammenfinden, dass man wieder mehr zueinander findet und vor allem anderen die Vereinsamung zu Hause durchbricht. Vernetzung ist also das Stichwort? Unbedingt. Auch für die Eltern ist sie unglaublich wichtig. Unter normalen Umständen würde man sich auch mit anderen Eltern austauschen, Aufgaben verteilen. Das ist jetzt natürlich schwieriger, aber man kann schauen, welche Kontakte möglich sind, ob es nicht zumindest eine feste Entlastungsperson im Umfeld gibt. Die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen, kann enorm helfen. Lesen Sie auch: Schulöffnungen, Spucktests, Alkoholverbote: Diese Corona-Regeln gelten jetzt in Brandenburg Brandenburgs Lehrer wehren sich juristisch gegen Wechselunterricht Zurück in die Klassenzimmer: So planen Potsdamer Grundschulen den Wechselunterricht Was raten Sie Alleinerziehenden, die in vielen Fällen ganz auf sich allein gestellt sind? Sie befinden sich in einer ganz schwierigen Situation, die natürlich extrem belastend ist. Wichtig ist hier, sich so gut es geht feste Phasen für Arbeit und Betreuung einzurichten und mit den Kindern möglichst klar zu kommunizieren, was wann stattfinden kann. Jede Familie muss das natürlich sehr individuell für sich betrachten und nach ihren eigenen Bedürfnissen handeln. Es gibt also keine allgemeingültigen Regeln für ein erfolgreiches Homeschooling im Homeoffice? Nein. Ich kann ein Potpourri anbieten und das Wissen über vorhandene Möglichkeiten vermitteln. Belohnungen für Kleinigkeiten sind ein guter Anfang. Wichtig ist hierbei, dass sie erst nach der Arbeit, der erfüllten Aufgabe erfolgt. Kleine Schritte, kleine Häppchen helfen auch, um motiviert zu bleiben. Aber was funktioniert, hängt immer von individuellen Bedingungen in den Familien ab. Von Sarah Kugler