Nach dem Aus für C&A: Stirbt die Potsdamer Innenstadt aus?

Wenn C&A im Frühling die Türen in der Brandenburger Straße schließt, verlässt einer der großen Player die Potsdamer City. Stirbt die Einkaufsmeile aus? Nein, sagt Bärbel Schälicke, die Vorsitzende der AG Innenstadt. Aber um gegen den Online-Handel bestehen zu können, gilt es nun einmal mehr, zusammenzurücken. C&A hat den Rückzug aus der Potsdamer Innenstadt angekündigt – hat Sie das überrascht? Bärbel Schälicke: Ja und nein. Das Kaufhaus fällt einem nicht sofort ins Auge, auch wenn der Standort ein sehr schöner ist. Aber entweder fehlt die Schaufensterfront oder die Dekorationen sind es – ich möchte da keinen verletzen, aber die Sichtbarkeit ist einfach nicht so präsent wie etwa bei Karstadt oder H&M. Trotzdem überrascht mich die Aufgabe, denn C&A ist in Potsdam nur dort vertreten – das Stern-Center ist weit draußen. Die Innenstadt ist die Visitenkarte, hier trifft man sich, hier kommen auch die Touristen her. Für große Häuser ist die Innenstadt das Aushängeschild, da sollte man vertreten sein. Deswegen überrascht mich der Rückzug. Mehr zum Thema: C&A-Filiale verlässt Potsdam früher als bisher erwartet Die Verkaufsfläche ist eine der größten in der City – was wünschen Sie sich dafür? Auf alle Fälle wieder ein Textilhaus, am liebsten ein hochwertiges. Davon gibt es nicht so viele in dieser Größe, eigentlich wirklich nur Karstadt und H&M, alle anderen sind ja deutlich kleiner. Eine Innenstadt verträgt aber mehr große Mitbewerber. Große Häuser sind wichtig für eine Stadt? Ja, sehr. Das Internet, das sich zum Einkaufen immer mehr ausbreitet, ist ein riesiger Mitbewerber, gegen den eine Innenstadt bestehen muss. Übrigens auch aus Nachhaltigkeitsgründen, denn im Onlinehandel wird vieles bestellt und dann retourniert und vernichtet. Man kann sich nur wünschen, dass das eigentliche Einkaufserlebnis mit anfassen, anprobieren, beraten werden wieder mehr an Bedeutung gewinnt. Das hat man nur im stationären Handel. Auch die Gespräche mit den Verkäuferinnen und mit den anderen Kunden gehören ja zum Erlebnis. Der Mensch braucht Interaktion. Und natürlich hat es unsere Innenstadt auch verdient, mehr wahrgenommen zu werden. Weil wir eben viele schöne kleine Geschäfte haben, gehören auch große dazu. Und was befürchten Sie? Leerstand – das ist immer das Schlimmste für eine Innenstadt. Ich denke und hoffe, dass der Vermieter schon Gespräche führt, um Leerstand abzuwenden. Zum Frühjahr werden oft neue Verträge geschlossen, ich bin optimistisch, dass es auf der Fläche schnell einen Nachmieter gibt. „Ein ständiger Wechsel tut niemandem gut“: Im Moment stehen wieder eine Handvoll Läden allein auf der Brandenburger Straße leer – auch in der Nachbarschaft ist ein ewiges Hin und Her zu beobachten. Positiv betrachtet, könnte man sagen, dass es den Potsdamern auf ihrer Einkaufsmeile nie langweilig wird... Ich persönlich finde es sehr wichtig, dass der Kunde nicht ständig neue Geschäfte hat. Es ist wichtig, dass der Kunde sich auf Beständigkeit verlassen kann. Der Eigentümer muss genauso interessiert sein, einen langfristigen Mieter zu haben. Es tut niemandem gut, wenn ein ständiger Wechsel herrscht. Finden Sie das Umziehen der Geschäfte schwierig? Es werden ja die Standorte mitunter getauscht, alteingesessene Ecken sind auf einmal woanders. Natürlich ist das schwierig, man geht ja gezielt zu einem Geschäft – und wenn das plötzlich woanders ist, muss man sich umgewöhnen. Auch für die Händler ist das schwierig, die brauchen ja eine Zeit, um angenommen zu werden. Wenn man dann mittendrin den Standort wechselt, tut das niemandem gut. „Kernöffnungszeiten sind wichtig“: Welchen Einfluss hat die AG Innenstadt eigentlich auf das Angebot in der City, auf die Mischung der Geschäfte, auf die Mieten? Das alles ist immer eine Sache zwischen Mieter und Eigentümer, da hat die AG Innenstadt null Einfluss. Es kam schon vor, dass Eigentümer uns fragten, ob wir Interessenten kennen – da gibt es ja zahlreiche Akteure, die IHK, die Stadt, der Einzelhandelsverband. Die Zusammenarbeit und die Kommunikation sind wichtig. Aber ansonsten haben wir alle keinen Einfluss. Bärbel Schälicke (68) ist seit Sommer 2018 Vorsitzende der AG Innenstadt, der rund 100 Händler angehören. Seit dem Beginn ihrer Lehre im Jahr 1966 ist sie im Handel tätig. Zu DDR-Zeiten war sie Exquisit-Verkaufsstellenleiterin und Model. Nach der Wende machte sie sich selbstständig. Der AG Innenstadt ist Bärbel Schälicke von Beginn an eng verbunden. So gründete sie 1995 die AG City mit, die 2003 mit der Werbegemeinschaft Potsdam zur AG Innenstadt fusionierte. Bis 2013 war Bärbel Schälicke für die AG als Innenstadtkoordinatorin tätig. nf Was macht für Sie eine attraktive Innenstadt aus? Für mich persönlich? Ein gesunder Verkaufsmix, ein Branchenmix, wo Handel, Gastronomie, handwerkliches Gewerbe, Kunst und Kultur vorhanden sind und verschiedene Veranstaltungen stattfinden – auch Sonntags, so dass die Geschäfte öffnen können. Die Innenstadt ist ja nicht klein, das hat alles seinen Platz. Auch Kernöffnungszeiten sind wichtig, damit die Kunden nicht vor verschlossenen Türen stehen. Kleine Geschäfte braucht man genauso wie die großen. Miteinander – wir brauchen uns gegenseitig. Und nicht zuletzt ist wichtig, dass die Kunden aus der Peripherie kommen können. Man kann nicht die gesamte Innenstadt autofrei machen – auch Kunden, die aufs Auto angewiesen sind, müssen die Innenstadt erreichen können. Es hat nicht jeder das Privileg, in der Innenstadt oder an der Bahn- oder Bushaltestelle zu wohnen. Solange die Infrastruktur nicht stimmt, kann man den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen. Man kann das Ideal einer schönen Innenstadt nur gemeinsam erreichen. Mehr zum Thema: Brandenburger Straße in Potsdam bekommt ein neues Pflaster Potsdam autofrei: Das sagen Händler und Anwohner dazu Potsdamer Innenstadt: Viele Läden im Lindenhof müssen schließen Von Nadine Fabian und Saskia Kirf

Interview mit AG-Vorsitzender - Nach Schließung von C&A: Stirbt die Potsdamer Innenstadt aus?