Potsdam Ausstellung Kritische Kunst in der Garnisonkirche – „Es war eine emotional aufgeladene Situation“ Interview mit Wieland Eschenburg

Drei Tage lang hatten über 30 Künstler den Rohbau des Turms der Garnisonkirche zur Galerie gemacht. Die Ausstellung „Blickwinkel 1.0“ sollte „Stadträume, Sichtachsen und Positionen“ thematisieren – nun kann man online noch einmal durch die Schau spazieren. Wieland Eschenburg, Kommunikationsvorstand der Stiftung Garnisonkirche, spricht im Rückblick über die Schau und auch den Eklat um kurzfristig von den Kuratoren ausgeschlossene Kunstwerke. Herr Eschenburg, die Ausstellung „Blickwinkel 1.0“ hat für großes Interesse gesorgt und war dennoch nur sehr kurz im Turm der Garnisonkirche zu sehen. Nun gibt es eine Art digitale Version. Wie funktioniert das? Wieland Eschenburg: Mit einer Präsentation der Ausstellung, die nur drei Tage geöffnet ist, wird man dem Engagement der Künstler und denjenigen, die die ganze Arbeit gemacht haben, nicht gerecht. Mein herzlicher Dank gilt Lars Kaiser und Jeanne von Dijk. Sie haben etwas Wunderbares auf die Beine gestellt. Am Tag vor der Eröffnung haben wir aus diesem Grund einen 3D-Rundgang erstellen lassen, den wir jetzt auf unsere Webseite und die Webseite der Ausstellung stellen. Das ist so etwas wie ein Katalog, den man sich noch einmal in Ruhe anschauen kann. Man kann sich durch alle Ausstellungsräume bewegen und in jedem Raum die Kunstwerke nochmal betrachten. Jedes Werk ist verlinkt. Es gab nach der Eröffnung Vorwürfe der Zensur und der Einschränkung der Kunstfreiheit. Wie bewerten Sie im Nachhinein die Entscheidung von Ihnen und den Kuratoren, mehrere Werke auszuschließen? Wir haben ein vertrauensvolles Verhältnis miteinander. Lars Kaiser und Jeanne van Dijk hatten in Abstimmung mit uns eine eigenständige Kuratorenschaft übernommen, in die wir nicht hineingeredet haben. Was wir gemeinsam erreichen wollten, war eine Öffnung des Ortes für die künstlerische Stadtgesellschaft, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei waren wir uns einig, dass bei der ersten Ausstellung keine Themen im Vordergrund sein sollen, die sofort polarisieren und Aufmerksamkeit um der Aufmerksamkeit willen auf sich ziehen. Auch im Nachhinein finde ich es deshalb richtig, dass von diesem Ansatz nicht abgewichen wurde. Simone Westphal hatte sich als eine von wenigen Künstlern mit dem Ort mit einem neu geschaffenen Kunstwerk auseinandergesetzt. Wäre ihre Filzfigur von Adolf Hitler nicht eine Bereicherung der Schau gewesen? Die Figur, die sie gefilzt hat, passt genau zum inhaltlichen Ansatz der Stiftung, ganz klar: Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben. Ich finde die Filzfigur, die sie gemacht hat, sehr, sehr stark. Simone Westphal hat eine Gedankenwelt damit verbunden, sich gefragt, „was wäre wenn“. Mit ihrem Werk kann man aus der Geschichte lernen. Ob die Figur auch in der Ausstellung eine Bereicherung gewesen wäre, weiß ich nicht. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war ich überzeugt, dass sie nicht zum von uns für diese erste Ausstellung im Turm gewählten Ansatz passt. Deshalb habe ich den beiden Kuratoren auch gesagt, dass ich die Präsentation dieses Werkes und des Werks von Bernd Chmura in dieser Ausstellung nicht für richtig halte. Aber ja, Simone Westphals Werk passt zum Ort, wie wenige andere Arbeiten. War es dann nicht ein Fehler, das Werk auszuschließen? Vielleicht war es ein Fehler, ja. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war es eine emotional aufgeladene Situation. Die Kuratoren waren bis zur Erschöpfung dabei auf einer laufenden Baustelle die Ausstellung aufzubauen. Und wenn dann das verabredete Konzept plötzlich nicht umgesetzt wird, ist es auch richtig „Stop“ zu sagen. Wenn wir eine Woche vorher über die Ideen diskutiert hätten, hätte es vielleicht einen anderen Weg gegeben. Wir scheuen uns nicht vor kraftvollen Werken, die Diskussionen auslösen. Kulturministerin Manja Schüle, die ja die Schirmherrin der Ausstellung war, empfahl Ihnen, sich mit den Künstlern zusammenzusetzen und die unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren. Ist das geschehen? Ich habe mittlerweile mit Frau Westphal gesprochen. Wir hatten ein gutes Gespräch und haben überlegt, wie man die Filzfigur in Projektarbeit mit Schülern einbinden kann. Ich will mich auch mit Bernd Chmura verabreden. Wollen Sie nach der Kritik etwas am kuratorischen Konzept ändern? Die erste Schau ist ein Lernprozess. Es ist völlig offen, wie die nächste Ausstellung aussieht. Beim nächsten Mal werden wir die Dinge, die wir präsentieren, zum Abgleich früher beieinander haben müssen. Trotz aller emotionalen Diskussion über die Ausstellung bin ich sehr glücklich, dass wir sie gemacht haben. Wir haben vielen Menschen den Blick für das Tun an diesem Ort geweitet. Wir hatten fast 1000 Gäste, die von den unverputzten Ziegelmauern und dem unvermuteten Inhalt dieses Ortes fasziniert waren. Die Resonanz hat uns bestärkt, auch in solcher Projektarbeit weiter zu machen. Wie sehen die Planungen für „Blickwinkel 2.0“ aus? Das ist eine spannende Frage. Wir hatten ja „Blickwinkel 1.0“ eigentlich im März ausstellen wollen und im Oktober dann eine zweite Schau geplant, aber durch Corona hat sich alles verschoben. Jetzt beginnt aber der Innenausbau des Turms. Es werden nun Fußböden gemacht, Wände eingezogen. Die einmalige Situation des Rohbaus geht gerade zu Ende. In der Weise, wie im Oktober können wir eine Ausstellung deshalb nicht noch einmal machen ohne den Bauablauf zu bremsen. Wir überlegen gerade, wie wir den Ort dennoch inhaltlich bespielen können, in welchen Lücken das ginge. Eine Idee ist eine Klangwelt. Uns ist wichtig, dass der Raum auch schon während der Bauphase weiter punktuell erlebbar bleibt. Die Bespielung der Baustelle soll deutlich machen, dass wir ein inhaltlicher Partner in der Stadt sein wollen, nicht solistisch unterwegs sind sondern mit ausgestreckten Armen auf die Stadtgesellschaft zugehen. Wo steht der Bau eigentlich gerade? In der Höhe bei 26,5 Meter. Gerade wurde die Hauptdecke über der sechsten Etage gegossen. Sie besteht aus 80 Tonnen Stahlgeflecht und 600 Kubikmeter Beton. Darauf wird der ganze Turm ruhen. Wir sind im Zeitplan, aber hoffen auf einen milden Winter, weil sonst natürlich nicht gemauert werden kann. Von Peter Degener