Kreativer Lockdown: Potsdamer Musiker sperrt sich selbst im Atelier ein

Für den Musiker Robert Bernier ist der Lockdown nicht nur eine wirtschaftliche Belastung. Dem professionellen Entertainer aus Potsdam fehlt die Bühne, auf der er sich präsentieren kann. Deshalb hat er spontan entschieden, ab sofort rund um die Uhr aufzutreten. Seit Sonntagabend läuft eine Webcam, die ihn permanent in seinem Atelier zeigt. „NeverEndingRobi“ hat er den Live-Stream auf seinem Youtube-Kanal „RobertBernierMusic“ genannt – der nie endende Robert. „Die Idee dazu hatte ich schon im ersten Lockdown. Da steht man als Musiker auf einmal da und hat nichts zu tun, kann nicht machen, was man liebt, nämlich für Menschen spielen. Als sich andeutete, dass ich nun wieder sehr viel Freizeit bekomme, habe ich mich eingeschlossen, um zu gucken, was dann passiert“, erzählt der 34-Jährige. 22 Quadratmeter im ersten Stock – dazu ein Körbchen zur Außenwelt: Die Kameras zeigen allerdings nicht sein Wohnzimmer, sondern sein Tonstudio im Kreativhaus Rechenzentrum. Das Atelier ist 22 Quadratmeter groß, sein Lockdown-Leben spartanisch: Immerhin finden zwischen Instrumenten, Stativen und Lautsprechern auch eine große Couch und ein bequemer Stuhl. Eine Teeküche des Kreativhauses und eine Toilette sind zehn Meter entfernt. Er hat einen Wasserkocher, einen Kühlschrank und eine Schüssel mit einem Lappen für die Hygiene. Wie lange will er bleiben? „Meine Freundin meint, dass ich in einer Woche wieder daheim bin“, sagt er. „Aber ich habe mir keine Frist gesetzt. Das hängt von meinen Zuschauern ab, die mich durchfüttern müssen.“ Denn Robert Bernier hat sich einige strenge Regeln auferlegt: Er darf nur essen, was ihm Menschen in einen kleinen Korb legen, der vor dem Kosmos-Mosaik in der Dortustraße auf dem Gehweg steht. Mit einer Strippe kann er ihn ins Atelier im ersten Obergeschoss ziehen. Er muss Aufgaben erfüllen, die seine Zuschauer ihm auferlegen: Die zweite Regel: Im Chat kann man ihm Aufgaben auferlegen, die er im Laufe seines Aufenthalts erfüllen muss. So soll er seinen Zuschauern in einer Wahrsager-Sendung die Karten legen. Seine Schwester hat ihn zu einer Stunde morgendlichem Yoga verdonnert. „Ich kenne mich damit gar nicht aus. Das ist fies“, sagt er. Und freut sich dennoch auf die drohende Blamage vor Publikum. Für die tägliche Prime Time hat er Konzerte angekündigt, am Mittwoch will er ab 20.15 Uhr eine Karaoke-Show mit dem Publikum vor dem Fenster machen, wo mittlerweile auch eine Bank steht, die Robert Bernier zu „Konzertcouch“ umgetauft hat. Befreundete Musiker sollen ihn für Konzerte und Jam-Sessions besuchen. Regelmäßig werden seine Aufgaben und seine aktuelle Wunschliste für das Körbchen im Stream eingeblendet: Toastbrot, Käse und Wurst steht darauf, auch ein mindestens zehn Meter langes Seil als Ersatz für die dünne Strippe wünscht er sich. Und Tarot-Karten, damit er seine Aufgabe erfüllen kann. Fenster- und Streamkonzerte rund um die Uhr: An seinem Körbchen hängt auch ein Schellenkranz mit einem Schild: „Für spontanes Fensterkonzert hier klingeln“ steht darauf. Denn eine dritte Regel des kreativen Lockdowns besagt: „Ich muss jederzeit für ein Konzert am Fenster oder im Stream verfügbar sein. Wer nachts um vier ein Lied von mir hören will, kann mich raus klingeln“, sagt Robert Bernier. Seit Montagmittag hängt der Schellenring aus dem Fenster. Robert Bernier hatte gerade erst das Mikrofon und die Lautsprecher am Fenster installiert, als es das erste Mal klingelte. Eine ganze Gruppe Erstklässler kam vorbei – und verlangte nach Musik. „Ich hab zwei Lieder gespielt und dann ganz viele Süßigkeiten bekommen“, sagt er. Am Dienstag um die Mittagszeit sind die Schüler plötzlich wieder vor seinem Fenster. „Sie wollten unbedingt noch mal herkommen und ihn hören“, sagt Erzieherin Sabine Neuhaus. Bernier spielt „Biene Maja“ für die Kinder, die tanzen und applaudieren. Anstelle von Süßigkeiten legen sie ihm Obst und Gemüse in den Korb - denn gesunde und plastikfreie Ernährung sind gerade Thema im Unterricht und für den Mann im kreativen Lockdown besonders wichtig. Die Erzieherin spendiert ein paar gekochte Eier. Das ist eine kleine Erlösung für Robert Bernier, der bislang vor allem Süßigkeiten bekommen hat. Und eine Flasche Pfefferminz-Likör. Sie reiht sich in die rund dreißig Flaschen ein, die sich seit langem in Berniers Studio angesammelt haben – bei Abenden mit Musikern und dem Potsdamer Kneipenchor. Eine Aufgabe, die der Musiker im Stream bereits bekommen hat: daraus ein Musikinstrument bauen. Mit der noch vollen Flasche soll er außerdem Songs gurgeln, die die Zuschauer erraten müssen. „Ich bin Entertainer, eine menschliche Jukebox“: Doch Robert Bernier gefallen diese Herausforderungen. „Ich bin kein Singer-Songwriter, ich bin Entertainer, eine menschliche Jukebox“, sagt er von sich. Diese Unterhaltung des Publikums hatte ihm im ersten Lockdown gefehlt. Das Projekt „NeverEndingRobi“ ist schon nach nur zwei Tagen eine kleine Erlösung für seinen kreativen Output. „Ich hatte noch kaum eine freie Minute.“ Er hofft aber auch auf Langeweile für die eigentlichen Projekte, die noch in ihm schlummern. Von Peter Degener

Potsdam: Der eingesperrte Entertainer – und die Welt schaut ihm zu