Potsdam: Mellow Mark gewann den Echo und war bei Voice of Germany, jetzt ist er Rettungssänitäter

Der Echo steht obenauf. Newcomer 2003. Das ist lange her. Das Regal ist selbst gezimmert – ein paar Holzkisten, unlackiert, randvoll mit Erinnerungen. Zerlesene Bücher. CDs und Platten. Der German Reggae Award 2005 fürs beste Album. Die Plüschtiere der Kinder. Den Echo gibt’s nicht mehr. Man könnte sagen, dass es den Künstler, der die Stahl-Trophäe vor 18 Jahren entgegen genommen hat, auch nicht mehr gibt. Das wäre nicht falsch. Doch es wäre auch nicht ganz richtig, denn Mellow Mark lebt noch immer für die Musik – aber er lebt nicht mehr von ihr. Das Leben nach dem Echo und Reggae Award: Ein Block in der älteren der beiden Waldstädte. Auf dem Klingelschild steht Schlumberger. Die Stimme aus der Gegensprechanlage klingt heiter. Die Tür summt auf. Im Treppenhaus ist es schummrig. Weiter oben klappt eine Wohnungstür: Mark Schlumberger (46) heißt Gäste willkommen, ehe sie auch nur in Sichtweite sind. Sein Gruß hallt über drei Stockwerke. Seit fünf Monaten wohnt er hier: zwei Zimmer, Küche, Bad. Die Einrichtung: Studentenbudenzauber mit Hochbetten und kreativem Chaos. Im Balkonzimmer stehen ein kleiner Esstisch, drei Stühle. Über dem Sofa hängen Gitarren, an der Wand gegenüber steht ein E-Piano. Mark Schlumberger ist froh, diese Wohnung zu haben, und wirkt dennoch fehl am Platz. Eine Übergangslösung, bis wieder bessere Zeiten anbrechen. So hofft er jedenfalls. Doch der Lichterglanz der großen Konzertbühnen ist verblasst. Das Musikgeschäft befindet sich seit Jahren im Umbruch, der CD-Verkauf im freien Fall. Es scheint auf den ersten Blick wie eine Fügung: Als Mark Schlumberger eine Familie gründet (die Töchter sind heute zehn und sieben Jahre alt), bricht für ihn auch beruflich etwas Neues an. Er wird von „Komm auf Tour“ engagiert, einem Projekt, das Schülerinnen und Schüler bei Berufsorientierung und Lebensplanung unterstützen will. Mit diesem Job kann der Musiker beides haben: Er kann sich Zeit für seine Familie nehmen und trotzdem vor Publikum stehen, Musik machen, moderieren. Unterwegs mit „Komm auf Tour“, dann der „totale Zusammenbruch“: Mellow Mark macht sich zum richtigen Zeitpunkt von den Launen und Zwängen der Musikbranche unabhängig. Zehn Jahre lang tingelt er mit „Komm auf Tour“ durch die Lande, genießt ein festes, kalkulierbares Einkommen, von dem er einen Teil in seine Musik, in Singles, Alben und Videos investiert. Dann kommt der März 2020: Endstation Corona. Die Schulen schließen, alle Veranstaltungen werden abgesagt. Mark Schlumberger steht mit leerem Terminkalender und leeren Händen da: „Der totale Zusammenbruch meiner Existenz als selbstständiger Künstler.“ Die Pandemie und der Lockdown treffen ihn mit voller Wucht und reißen die letzte Stütze ein, die von seiner einstmals heilen Welt geblieben ist. In der Mitte des Lebens ist ihm geschehen, was vielen geschieht: Die Liebe hat nicht gehalten, der Traum von Haus und Hof bei Beelitz ist ausgeträumt. Scheidung. Auszug. Als sich das Coronavirus in Deutschland breit macht, ist Mellow Mark auf der Suche nach einer Wohnung und nach Zuversicht – und kann beides nicht finden. Heute, ein Jahr später, sagt er: „Ich war komplett auf Null.“ Viele Menschen in und um Potsdam denken in der Corona-Pandemie über einen beruflichen Neuanfang nach – weil sie es wollen oder weil sie es müssen. In unsere Serie „Plan B“ erzählen wir ihre Geschichten. Sie haben die Krise als Chance begriffen und einen neuen Job begonnen? Sie haben bereits viel früher den Schritt gewagt und ihren Job an den Nagel gehängt, um sich einen Traum zu erfüllen? Oder kennen Sie jemanden, der aus einem Ende einen vielversprechenden Neuanfang gemacht hat? Melden Sie sich gern telefonisch unter 0331/2 84 02 63 oder per E-Mail an potsdam-stadt@MAZ-online.de Mellow Mark findet in Potsdam den Weg ins Rettungswesen: Weil er in seinem Job keine laufenden Betriebskosten hat – also kein Büro, keinen Firmenwagen, keine Mitarbeiter – gibt’s auch keine Corona-Soforthilfe. Und weil strenge Kontaktbeschränkungen gelten, fällt auch das Couchsurfing flach. „Es war wirklich sehr, sehr schwierig“, sagt Mark Schlumberger. Eine Verschnaufpause ermöglichen ihm Freunde, die sich im Lockdown an die Ostsee zurückziehen und ihm die Wohnung überlassen: Endlich findet er die Ruhe, sich zu sortieren. Nach zehn Jahren als Botschafter in der Berufsorientierung packt sich Mark Schlumberger am eigenen Schlafittchen: „Ich konnte mich ja gut selbst beraten: Was kann ich? Was ist gefragt und was bricht nicht gleich wieder weg?“ Die wichtigste Frage: „Wie willst du deine Lebenszeit verbringen?“ – Was ist Plan B? Die Antworten auf all diese Fragen führen Mark Schlumberger ins Rettungswesen: Im Juni 2020 beginnt er die dreimonatige Ausbildung am Bergmann-Klinikum. Er paukt theoretische Grundlagen, absolviert ein klinisches Praktikum und eines auf der Rettungswache und als dritter Mann auf dem Rettungswagen. Der erste Einsatz, den er nach bestandener Prüfung fährt, ist eine drohende Frühgeburt. 2012 sang er bei Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“: Gern wäre Mark Schlumberger in Potsdamer Rettungswesen geblieben, allein schon wegen der Töchter, die hier zur Schule gehen und regelmäßig bei ihm wohnen. Gebraucht wird er aber im Landkreis Teltow-Fläming. Die Rettungswache in Mahlow ist für seine Dienste Start- und Zielpunkt. „Am Anfang habe ich noch von Schichten gesprochen“, so Schlumberger. Ein Kollege habe ihm den Unterschied näher gebracht: „Wenn zum Beispiel eine allein lebende Oma nachts aus dem Bett fällt und uns zu Hilfe ruft, ist es ein Dienst, den ich leiste – den ich gern leiste und auf den ich stolz bin.“ Das mag pathetisch klingen, aber Mark Schlumberger kann auch anders. Als Rettungssanitäter zu arbeiten, sagt er, sei „total cool“ und gut fürs Karma, denn er tue jeden Tag Gutes. „Diese Aufgabe bringt mich auch persönlich weiter: Ich sehe das Leben mit all seinen Facetten – und das sind nicht nur Schmerz und Trauer, ich sehe jeden Tag auch Zusammenhalt, Dankbarkeit und Hoffnung. Ich verstehe gar nicht, weshalb nicht viel mehr Leute sagen: Hey, ich mach den Job!“ Lesen Sie auch: So hat eine Potsdamerin aus der Corona-Krise die Chance für einen Neuanfang gemacht Grube – der perfekte Ort für Gänse, Schweine, Bauern und Plan B Wissen seine Kollegen, mit wem sie da eigentlich unter Sirenengeheul und Blaulicht von Notfall zu Notfall jagen? Er habe sich zurückgehalten, sagt Mellow Mark. Dass seine Videos einst auf Viva gelaufen sind, dass er 2012 bei Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“ für Brandenburg angetreten ist und 2017 bei „The Voice“, dass er noch 2018 getourt ist: So was erzähle man nicht nebenbei. „Aber im Rettungswagen läuft natürlich auch mal das Radio – und Musik verbindet, Musik bringt einen ins Gespräch.“ Egal, wie tief unten er im vergangenen Jahr auch war: Die Musik war immer da. „Ohne Musik wäre das Leben sehr hart – Musik ist mehr als Unterhaltung.“ Er spiele für sein Publikum und er spiele für sich. Er werde dranbleiben und gute Vibes verbreiten: als Reggae-Artist, Stand-Up-Musiker, Singer-Songwriter, One-Man-Band-Nomade – und jetzt auch Rettungssanitäter. Von Nadine Fabian